Stuttgart
„DER ROSENKAVALIER“ 12.4. 2015(WA) – Ein Straussen-Ei als Morgengabe
Rosenüberreichung: Sophie Marilley (Octavian) und Ana Durlovski (Sophie). Copyright: A.T.Schaefer
Über 20 Jahre lang repräsentierte Götz Friedrichs den Schluss schon modern interpretierende, ansonsten klassisch geradlinige Inszenierung in der Augenschmaus-Ausstattung von Jürgen Rose den hohen Standard für viele Repertoire-Aufführungen. Als Stefan Herheim für eine Neuinszenierung im Jahr 2009 angekündigt wurde, waren die Befürchtungen begreiflicherweise groß. Konnte da überhaupt etwas Besseres oder zumindest Ebenbürtiges nachfolgen? Soviel war klar: Herheims bekannt aufwendige Bilderflut würde bei einem ohnehin schon turbulent angelegten Stück wie Strauss/Hofmannsthals Komödie für Musik ganz gewiss nicht für Langeweile sorgen. Und das Ergebnis war denn auch in summa ein so überwältigend phantasiereicher Blick auf das Innenleben der Figuren; trotz einiger zu breit ausgewalzter und überdeutlicher Hinzufügungen sowie phasenweise überbordender Vorgänge in den kulminierenden Ensemble-Szenen blieb dank Wahrung und Unangetastetheit der wesentlichen Dinge der faszinierende Gesamteindruck eines groß(-artigen) Opernerlebnisses haften.
Die Wiederaufnahme nach 4 Jahren schien deshalb sehr willkommen, auch weil damals bei selbst mehrmaligem Sehen die Fülle der überraschenden Details nicht zu Gänze in Erinnerung bleiben konnte. Somit bot diese Neueinstudierung unter Nutzung aller Ressourcen des Hauses die fast erneute Spannung einer Premiere. Allein das Bühnenbild von Rebecca Ringst, ein nach oben und unten fahrbarer, kuppelförmiger transparenter Riesenkäfig, bewegliche Galerieteile im Hintergrund, die immer wieder von bildlichen Assoziationen überblendet sind, die Requisitenbereitstellung per Drehbühne sowie wallender Bodennebel für die traumhaft überhöhten Ruhe-Szenen, fordert den höchsten und einem Uhrwerk gleich präzisen Einsatz der Technik. Aber auch die Ankleider haben alle Hände voll zu tun, denn Gesine Völlms zeitgerecht aufwendige, teilweise Tieren nachempfundenen Kostüme sind ebenso Phantasmagorien und Alpträume der Marschallin wie auch Zeichen charakterlicher Wesensverwandtschaften zu den dargestellten Personen. Das Zentrum bildet Leiblakai Leopold in Gestalt Pans, der mit seinen reichlich körperbehaarten und die Genitalien etwas übertrieben herum baumeln lassenden Satyr-Kumpanen u.a. die Dienstboten Faninals sexuell bedrängt, aber auch in die Rolle des Flötisten, des Arztes und des im Beisl servierenden Kammerdieners schlüpft und letztendlich auch die Funktion Mohameds übernimmt. Nachdem Octavian und Sophie mit ihrem Vereinigungstraum unter sternenfunkelnder Kuppel im Boden verschwunden sind, rafft sich Pan nach dem Verzehr einer Scherbe der von Ochs zertrümmerten gläsernen silbernen Rose noch auf, um Sophies Taschentuch aufzugreifen und triumphal damit zu winken, ehe er zum letzten Orchesterakkord verblutend zusammenbricht. Ungeachtet der durchgehenden Sinnhaftigkeit ist dies eine beeindruckende schauspielerisch-mimische Leistung von Thomas Schweiberer, der im Prinzip fast den ganzen Abend auf der Bühne steht.
Bevor der inszenatorische Faktor, mit dessen vollumfänglicher Beschreibung mehrere Seiten gefüllt werden könnten, überhand nimmt, wenden wir uns der verdienten Würdigung des Musikalischen zu. Beim Stuttgarter Publikum stimmt es immer wieder traurig, dass Richard Strauss Musik offensichtlich immer noch viele Menschen überfordert und die hohen Anforderungen an die Interpreten bei entsprechender Umsetzung nicht recht eingeschätzt werden (können). Das beginnt beim Staatsorchester Stuttgart, das unter der Hand des hier schon mehrfach bewährten Marc Soustrot sowohl den deftigen als auch den eleganten und nachsinnenden Seiten der Partitur mit der entsprechenden Klangkultur gerecht wird und den oft komplizierten Strukturen mit Übersicht und weitgehender Durchhörbarkeit begegnet. Die Streicher entfalten dabei einen ebenso seidigen Glanz wie es die Holzbläser mit viriler Kunstfertigkeit und das Blech mit sattem Strahl vollbringen. Die Drosselung der Lautstärke gelingt zwar nicht an allen erwünschten Stellen, doch die Stimmen fügen sich allesamt groß und tragfähig genug in das orchestrale Bett. Im Ganzen eine hohen Ansprüchen genügende, besonders harmonische Momente mit großem Atem auskostende Umsetzung, die leider zu schwach honoriert wurde.
An der Spitze der Solisten stand Rollen-Debutantin Simone Schneider. Die in den letzten Jahren vom Koloratur- zum Jugendlich-dramatischen Fach gewechselte Sopranistin ist eine Marschallin mit damenhafter Grandezza und so bereits in der Erscheinung eine Idealbesetzung. Der über Silber-Qualitäten verfügende Sopran vermag die Leichtigkeit des Tonfalls, den poetischen Grad des Textes genauso auszufeilen, wie die melodischen Höhepunkte mit gleichmäßig flutendem Tonstrom zu veredeln. Die zweite Rollen-Debutantin, Ana Durlovski, brauchte als Sophie eine kleine Anlaufzeit, um ihren melancholisch umhauchten Sopran mit der gewohnten Ruhe zu entfalten. Doch die Anfangs-Nervosität war bald überwunden und wich einer mit viel Höhenglanz und zwischen Schüchternheit und Aufbegehren schwankender Emphase versehenen Interpretation. Auch Sophie Marilley benötigte als rollengerecht silberner Rosenkavalier Zeit, ihren mit einer gewissen Aggressivität geführten Mezzosopran von Überdruck zu befreien und erwies sich dann, auch dank ihres männlichen Typs mit weich schwingenden Lyrismen sowie einer ordentlichen Portion Mariandl-Tragikomik als treffliche Besetzung.
Der gefoppte Ochs: Friedemann Röhlig mit Ensemble. Copyright: A.T.Schaefer
Der weiblichen Übermacht begegnete Friedemann Röhligs Baron Ochs mit genug Selbstbewusstsein und der gekonnten Gratwanderung zwischen Vornehmheit und Tölpelei. Sein potenter, über gute Höhen und Tiefen verfügender, in der Mittellage fülliger Bass unterstützt ihn dabei nach Maß durch das gewaltige Text-Pensum inklusive einem ganz nach Vorschrift im piano angesetzten und gehaltenen „Heu“.
Nun zu den tierischen Herrschaften: Michael Ebbecke als Gockel gestaltete einen passend überdrehten und baritonal herrlich eitel gespreizten Neureichen Faninal mit großem Ton, Rebecca von Lipinski setzte als hennengleiche Leitmetzerin die passenden Sopran-Spitzen mit Peng und der hier fast unmöglich zu erzielenden Textverständlichkeit, Torsten Hofmann als Raupe Valzacchi und Stine Marie Fischer als Falter Annina boten von ihren Kostümen und ihren gute Charakteranlagen aufweisenden Stimmen unterstützt treffsicher das Intriganten-Paar, Mark Munkittrick ist hier als Notar wahrlich der begossene schwarze Pudel und zumindest noch vom Schwanz her ein wichtigtuerischer Polizeikommissar mit trocken gefestigtem Bass. Der Sänger beim Lever der Marschallin erscheint gar als Schwanenritter in glänzender Rüstung und entsprechendem Feder-Flügel und wird durch Gergely Nemetis kultiviert timbrierten und dank nicht zu gedehnter Tempi frei und höhenstabil geführten Tenor zur viel Aufmerksamkeit heischenden Einlage. Nur Heinz Göhrig darf als die beiden Haushofmeister und Beisl-Wirt in den ursprünglichen Livreen auftreten und bekräftigt den Einsatz seines ungebrochen klangvollen Tenors mit einer bombensicheren aufs hohe C springenden Ankündigung der Marschallin.
Ein Gesamtlob dem Staatsopernchor, Kinderchor und den Statisten als reichlich aufgebotenes Bagagi der Bediensteten, der Beisl-Gäste, der Lever-Teilnehmer, zu denen neben der üppigst ausgestatteten Modistin und des Tierhändlers auch ein stummer Gast gehört: ein Vogel-Strauss, der bei Ochs donnernd durchgesetzter Morgengabe ein Ei legt, das der Marschallin dann als Krönung ihrer „Altweiber-Frisur“ aufgesetzt wird. Es gibt also viel zu bestaunen, zu schmunzeln, im Überfluss des Gebotenen auch zu verwirren, aber im Ganzen ist es ein herrliches Spektakel, dem der Regisseur an den richtigen Stellen die erforderliche Ruhe gönnt. In den kräftigen, aber nicht angemessen überschwänglichen Applaus für das musikalische Personal wäre verdientermaßen auch Anja Nicklich, die die Inszenierung minutiös wiedereinstudiert hatte, mit einzubeziehen gewesen.
Udo Klebes