Deutsche Oper Berlin: Berlioz/Sasha Waltz Roméo et Juliette, 22.4.2015
Formal strenges Bewegungstheater musikalisch weichgespült
Joel Suarez Gomez und Yael Schnell als Romeo und Julia. Foto: Bernd Uhlig
Viel schöne Bilder bleiben hängen, vor allem Yael Schnell als faszinierend starke und dennoch hingebungsvolle Julia. Ihre fließenden Bewegungen, ihre lyrische Akrobatik und muskulöse Poesie erwachsen aus einer höchst differenzierten Choreographie, alles ist inspirierte Schöpfung. Der Pas de deux mit dem drahtig jungenhaften Romeo des Joel Suárez Gómez gerät zum eindringlichen Höhepunkt der Aufführung. Ja, getanzt wird diese symphonie dramatique Op. 17 von Hector Berlioz. Und das mit vielfältigen stilistischen Mitteln des klassischen Tanzens gemixt mit aufeinander synchron abgemischten expressionistischen Ausdrucksgesten. Von eckig zackig bis humorvoll gebrochen und traumvergessen weggleitend reicht die üppige Ausdruckspalette von Choreographin Sasha Waltz, die damit ihre schon in Paris an der Opéra Bastille 2007 und in Mailand 2012 erneuerte Visitenkarte nun in Berlin abgibt. Sozusagen als Endstation, weil hier das Berlioz/Waltzsche Oeuvre dem Repertoirebetrieb eingegliedert werden soll.
Das cremefarbene, in sich aufklappbare Rautenzentrum der Bühne auf schwarzen Grund bietet Platz für gleichzeitig stattfindende dramatische Tanzaktion in Gruppen aneinander, gegenüber und gegeneinander gestellt. Die schon vom Komponisten fragmentarisch erzählte Handlung wird dadurch nochmals aufgedröselt und ineinander verwoben, was gut zur strukturell komplexen und rhythmisch feingliedrigen Partitur passt. Wie das Verena Großkreutz trefflich so formuliert: „Die formale Gestaltung unterwarf Berlioz seiner poetischen Idee und nicht umgekehrt. Dementsprechend wandelte er die gattungstypisch normierte Form um in ein Werk poetischer Entgrenzung, das Programm- und Ballettmusik, Solokantate, Sinfonie und Opernszenen gleichermaßen in sich vereint.“
Die letzte dieser „Opernszenen“ macht der wunderbare Bariton Nicolas Courjal als Frère Laurent, der vermittelnd zwischen die beiden Parteien tritt und sie auf die unendlich große Liebe von Roméo und Juliette hinweist, zu einem wahren Berlioz-Fest. Mit kernig viril timbrierter Stimme beschwört er Versöhnung und Freundschaft. An diese Leistung kann auch Ronnita Miller mit an Martina Arroyo gemahnendem schönem Mezzo im Strophenlied über das Glück der ersten Liebe anschließen. Auch der junge Tenor Thomas Blondelle macht mit seinem Lied von der Traumfee Mab gute Figur.
Eher enttäuschend sind die Leistungen von Dirigent, Orchester und Chor. Da hapert es an präziser Rhythmik, es fehlt das drängende Verlangen in den Streichern, die Ebenmäßigkeit im Ton mancher Choristinnen. Donald Runnicles scheint nicht das ideale Händchen für diese Musik zu haben. Zu romantisch deutsch weichgespült klingt das Orchester, wo es helleres Licht, schärfere Kontur und einen brennenderen Takt bräuchte, über den sich das Berliozsche Sehnen wölben und strecken kann und einen in den mächtigen Sog zieht, den schließlich der Tanz alleine erzeugt. Die Kostüme des Bernd Skodzig im kahlen chiaro-scuro Bühnenbild von Pia Maier Schriever, Thomas Schenk und Sasha Waltz sind zwar schick, verwandelten aber, wenn man es nicht besser wüsste, den Chor in einen Wald singender Designerlampen.
Final hinterlässt der Abend aber dank zweier hochkarätiger Tänzer, einem fantastischen Tanzensemble und dreier vokaler Weltklassesolisten das Publikum zufrieden bis begeistert.
Dr. Ingobert Waltenberger