NEW YORK / Die Met im Kino:
CAVALLERIA RUSTICANA von Pietro Mascagni
PAGLIACCI von Ruggero Leoncavallo
Übertragung in die Kinos: 25. April 2015
Auch in New York regen sich Opernfreunde auf, etwa dass die „Met“ sich entschlossen hat, die von 1970 stammende Zeffirelli-Inszenierung des „Double Feature“, wie man Cavalleria / Bajazzo hier nennt, endlich auszutauschen und durch eine nicht-pittoreske Neuinszenierung zu ersetzen. Nun, der britische Regisseur David McVicar (wie erinnerlich für unseren „Tristan“ in Wien verantwortlich) schuf einen Abend, der in der ersten Hälfte außerordentlich und in der zweiten Hälfte ordentlich war – und das ist nicht wenig.
„Cavalleria Rusticana“ war in jeder Hinsicht der fesselndere Teil der Aufführung. Hier zeigte David McVicar, was man mit einem schlichten Bühnenpodium machen kann, aus dem sich gelegentlich ein Riesentisch erhebt und um das herum einfach nur Sessel stehen (Bühnenbild: Rae Smith). Hier machen die Menschen alles, auch ein Chor, der nie herumsteht oder nur herumgeschoben wird, sondern immer eine Funktion bekommt und dabei die archetypische Situation einer Gesellschaft zeichnet, in der alles vorbestimmt ist und wo jedes Abweichen von den eisernen Gegebenheiten Ausgrenzung oder sogar Tod bedeutet.
Das wird auch von den Sängern, die hier wirklich Sängerdarsteller sind, klar gemacht: Dass Eva-Maria Westbroek, die ja doch immer wie das holländische Blondchen aussieht, das sie ist, eine so faszinierende Santuzza sein würde, überraschte doch – mit vollem Impetus, aber doch nie über die Kippe fallend, wo Gesang zum Verismo-Gebrülle wird, erlitt sie ihr Schicksal mit wirklich ergreifender Intensität.
Marcelo Álvarez, der doppelte Tenorheld des Abends, gestaltete die runde Figur eines egozentrischen Machos, der die lästige Geliebte bloß loswerden will – und dann plötzlich, angesichts seines Todes, sein besseres Ich und die Verantwortung für sie entdeckt. Zu spät, wie man weiß – und nicht nur toll gespielt, sondern auch mit der vollen Schönheit seines durchaus schonungslos eingesetzten Tenors (alle Spitzentöne leuchtend) gesungen.
Bei dem bulligen George Gagnidze wird man den Eindruck nicht los, dass er zwar gewaltig und bedrohlich aussieht, aber die Stimme enorm forciert werden muss, um diesen Eindruck auch akustisch zu erwecken. Immerhin – dass dieser Alfio den Mann umbringen wird, der mit seiner Frau geschlafen hat, das bezweifelt man keine Sekunde…
Wenn bei dieser Lola, Ginger Costa-Jackson, die Qualität ihres Mezzos mit ihrem Aussehen Hand in Hand ginge, wäre sie ein Weltstar, so hat man sich am Zusehen erfreut und beim Zuhören ein wenig gequält. Ein schlichtes, aber eindrucksvolles Charakterbild: die Mamma Lucia der Jane Bunnell.
Diese „Cavalleria Rusticana“, deren Spannung keine Sekunde nachließ, war eine Leistung aus einem Guß, auch dank Fabio Luisi, der den „Verismo“ zwar gewaltig aufpeitschte, aber doch die Ruhe für die verhaltenen und die ausschwingende Schönheit für die lyrischen Passagen der Musik hatte. Wenn allerdings Santuzza und Turridu ihre Nervenschlacht austrugen – dann herrschte Explosionsgefahr…
Nach der Pause war weitgehend dasselbe Team am Werk, aber „Pagliacci“ fiel nicht annähernd so überzeugend aus. Szenisch nicht mehr in der geschlossenen Welt der sizilianischen Dorfgemeinschaft spielend, sondern irgendwo in die vierziger, fünfziger Jahre versetzt, wurde sehr viel auf Aufwand und äußeren Witz gesetzt – anfangen von dem pfauchenden Lastwagen, mit dem die Komödianten einziehen, das Pferd, auf dem Nedda sitzt, bis zu den drei Artisten, die zur Truppe gehören und dann in der Vorstellung die klassischen Torten-Witze (sprich: Schlagobers ins Gesicht) abziehen dürfen.
Sicher der Schwachpunkt dieses Teils des Abends war Patricia Racette, eine viel zu dramatische, sprich messerscharfe Stimme für die Nedda: Wenn „Stridono lassù“ so gnadenlos hart klingt, weiß man gar nicht mehr, warum diese Arie so schön ist… Auch ihr Spiel war holzhammermäßig überzogen, während ihr Liebhaber Silvio von Lucas Meachem zwar einen halbwegs passablen, hell gefärbten Bariton, aber brüllendes darstellerisches Untalent bekam.
George Gagnidze, beim Tonio vom gewaltigen Alfio des ersten Teils bereits erschöpft, sollte schon im Prolog Witzchen mit Mikrophon und Kabeln machen, die nicht sonderlich überzeugend ausfielen. Den Beppo sang Andrew Stenson (der Name so amerikanisch, das Aussehen so asiatisch) mit bravem Spieltenor.
Wie jüngst Jonas Kaufmann in Salzburg (und davor gerne José Cura, auch in Wien) hat Marcelo Álvarez beide großen Tenorrollen an einem Abend gesungen, den Canio mit fast keinen stimmlichen Abstrichen, aber darstellerisch – meist im trunkenen Torkelgang, nicht wirklich zu tragischer Größe auffahrend – eine Spur weniger überzeugend.
Man wird nicht behaupten, dass es ein schwacher „Bajazzo“ war, zumal Fabio Luisi hier die im Vergleich zu Mascagni ganz andere Klangwelt Leoncavallos überzeugend beschwor: Aber so hingerissen man nach dem ersten Teil gewesen war, so ungerührt machte man sich nach dem zweiten auf den Weg nach Hause.
Renate Wagner