NÜRNBERG: FLAMMENMEER ALS BÜHNENRETTUNG
Richard Wagners “Siegfried” am 26. April 2015 in der Oper/NÜRNBERG
Vincent Wolfsteiner, Peter Galliard. Foto: Ludwigs Olah
Georg Schmiedleitner (Bühne: Stefan Brandtmayr; Kostüme: Alfred Mayerhofer) unterstreicht in seiner zuweilen etwas hemdsärmeligen Inszenierung die krampfhafte Suche des jungen Siegfried (hervorragend: Vincent Wolfsteiner) nach seiner Identität. Im ersten Akt kämpft er in einem ausgebrannten Haus mit seinem ungeliebten Ziehvater Mime (bissig: Peter Galliard). Die Sozialisationsstufen des jungen Mannes sind sehr kompliziert, denn Mime hat ihn zur Tötung des Riesen Fafner (recht grell: Nicolai Karnolsky) förmlich herangezüchtet. In dem Haus wird fleißig gebügelt und Wäsche aufgehängt und man erkennt sogar einen Kühlschrank, in dem sich ein abgetrennter Kopf befindet. Mit dem Entsetzen wird in grotesker Weise gespielt. Siegfried erscheint mit Bärenkopf, viele “Brüder” scheinen ihm zunächst zu folgen. Aber auch der Charakter der satirischen Komödie wird von Schmiedleitner immer wieder herausgestellt – vor allem im zweiten Akt bei der Begegnung zwischen den beiden verfeindeten Brüdern Alberich (imposant: Martin Winkler) und Mime.
Im zweiten Akt befinden wir uns auf einer Art zerbrochener Autobahnbrücke, die sogar an Hans Castorf denken lässt. Sie wird in unheimlicher Weise von innen mit einem glühenden Licht beleuchtet und bläst sich immer wieder von selbst auf. Fafner und Mime werden von Siegfried auf offener Bühne getötet. Der Waldvogel ist mit Luftballons zu sehen und humpelt an Krückstöcken über die Brücke. Metaphysische Momente sucht man hier leider vergebens. Im dritten Akt begegnet der Wanderer einer dekadenten Gesellschaft, der er kurzerhand den Garaus macht. Siegfried stellt sich ihm in den Weg und haut das Schwert kurzerhand in Stücke. Die anschließende Eroberung Brünnhildes, die er durch das Flammenmeer hindurch befreien will, ist überhaupt der beste Einfall dieser mit optischen Schwächen kämpfenden Inszenierung. Ein schwarzer Vorhang fällt herab, seitlich erblickt man eine viereckige Flammenhölle, die sich ausbreitet. Dadurch rettet Georg Schmiedleitner gleichsam das eher schwache szenische Geschehen. Blutrot ist schließlich das Gewölbe, in dem Siegfried Brünnhilde findet. Die Tuchfassaden werden weiß, beide richten sich eine rustikale Wohnzimmeratmosphäre mit Fernsehbeleuchtung ein und sinken auf dem Sofa nieder. Ein schwacher Einfall. Dass Siegfried und Brünnhilde im Grunde genommen nicht zueinander passen, zeigt Schmiedleitner ebenso plausibel. Sie leben zuletzt nur noch nebeneinander her. Ein weiteres Problem dieser Inszenierung sind die Kostüme von Alfred Mayerhofer, die sehr beliebig wirken und in ihrer Schlichtheit kaum Ausdruckskraft besitzen. Rein musikalisch ist diese Aufführung wesentlich ergiebiger, denn Marcus Bosch vermag aus der Staatsphilharmonie Nürnberg eruptive Ausbrüche klug hervorzuzaubern. Vor allem den Staccato-Charakter dieser Partitur (die Wagner übrigens für sein bestes Werk hielt) arbeitet Bosch mit dem engagiert musizierenden Orchester durchaus feurig heraus. Das Legato der fließenden Streicherbewegung beim Erscheinen des Waldvogels wird hier sogar noch besser getroffen als der harmonische Zauber des berühmten “Waldwebens”. Auch das nächtliche Hell und Dunkel fängt er rein musikalisch gut ein – besser als in der Inszenierung, die nur mit Lichtkegeln spielt. Selbst der Wanderer zeigt Spuren von Humor. Das Vorspiel der Anfangsszene zum dritten Akt mit seinen vielschichtig verwobenen Leitmotiven gelingt Marcus Bosch ergreifend, die geballte motivische Dichte besitzt packende Schlagkraft. Hymnisch-ekstatischer Schwung gewinnt wiederum die Schlussszene mit Siegfried und Brünnhilde, doch
Rachael Tovey als Brünnhilde könnte hier aus ihrer starken Stimme mehr machen, wenn sie die Spitzentöne länger aushalten würde. Dies gilt insbesondere für das abschließende C-Dur-Fugato der Schlussnummer “Leuchtende Liebe, lachender Tod!” Vor allem im dritten Aufzug bemüht sich Marcus Bosch intensiv um das Wort-Ton-Verhältnis, das schwer zu realisieren ist. Er hält sich akribisch an Wagners genaue Angaben zu Dynamik und Artikulation. Und trotz der akustisch beengten Verhältnisse im Nürnberger Opernhaus gelingt es Marcus Bosch als umsichtigem Orchesterleiter über weite Strecken, ein transparentes Verhältnis zwischen Musik und Text herzustellen. Die Hörner halten bei Siegfrieds Motiv ihre Trichter direkt in die Höhe – dieser ungewöhnliche Wagnersche Einfall verfehlt auch in Nürnberg seine unmittelbare Wirkung nicht. Auch die sphärenhafte E-Dur-Atmosphäre des “Siegfried-Idylls” fängt Marcus Bosch mit der Staatsphilharmonie Nürnberg gut ein. Die Gefahr lärmenden Überschwangs ist zwar nicht immer gebannt, aber die Sängerinnen und Sänger werden von ihm mit sorgfältiger Akribie auf Händen getragen. Davon profitiert auch die erhaben wirkende Erda von Rita Kapfhammer und der strahlkräftige Waldvogel von Leah Gordon. Vor allem trifft Bosch die dramatisch-psychologische Verwendung instrumentaler Klangfarben recht überzeugend. Die dunkle Farbe des Auftritts von Mime und Wanderer im ersten Akt wird konsequent durchgehalten. Nur teilweise setzen sich die schnellen rhythmischen Passagen von Siegfrieds Unbändigkeit vom eigentümlich-finsteren Wanderer-Klang ab. Bratschen, tiefe Streicher, Fagotte und Tuben beschreiben suggestiv Mimes dunkle Machenschaften. Die Bratschen sind hier immer dann markant zu hören, wenn Mime sich meldet – bis hin zu seinem “Triumphgesang”: “Alberich selbst, der mich einst band”. Die drohende Nähe des Drachen Fafner ist harmonisch deutlich zu spüren – und dies nicht nur bei den Tuben. Leitmotive aus “Rheingold”, “Walküre” und “Götterdämmerung” zeigen bei dieser Interpretation deutlichen Charakterisierungsreichtum, der sich immer weiter steigert. Ein weiterer Pluspunkt: Die Sängerinnen und Sänger werden vom Orchester nie zugedeckt. Die Wucht des Schmiedeliedes trifft Marcus Bosch mit dem Orchester ebenfalls in fesselnder Weise – das “Notung”-Motiv der ersten Trompete durchbricht messerscharf die tiefen Blechbläserakkorde. Die idyllisch-pastorale Atmosphäre des zweiten Aktes lässt Marcus Bosch allerdings eher im Hintergrund, dadurch tritt die ungeheure Brutalität des Drachenkampfes massiv hervor. Sehr gut herausgearbeitet werden die vielschichtigen Charaktere bei der Szene mit Erda und dem von Antonio Yang mit des Basses Grundgewalt verkörpertem Wanderer. Wie stark Fafners Tod aber ein entscheidender Wendepunkt im Leben Siegfrieds ist, kann man bei dieser nicht immer gelungenen Inszenierung deutlich nachvollziehen. Roland Bosnyak spielt das “Siegfriedruf”-Hornsolo mit ungestümer Virtuosität auf offener Bühne. Er scheint mit dem Titelhelden sogar zu kämpfen. Die absteigende fallende Septime prägt sich tief ein. Alberichs ungeheure Bosheit und sein Drang nach der Weltherrschaft gewinnen in der grandiosen Darstellung Martin Winklers große Intensität – insbesondere bei seiner gewaltigen Auseinandersetzung mit dem Wanderer im zweiten Akt. Für Vincent Wolfsteiners überragenden Siegfried gab es großen Publikumsjubel.
Alexander Walther