BERLIN/ Deutsche Oper DON CARLO, 26.4.2015
Gediegene Repertoireaufführung mit dem kanadischen Baritonwunder Etienne Dupuis als Rodrigo, Marquis de Posa
Copyright: Bettina Stöss
2011 war Premiere dieser durchaus repertoiretauglichen und dennoch klugen Don Carlo Inszenierung von Marc Arturo Marelli, der wie stets für Inszenierung, Bühne und Licht verantwortlich zeichnet. Anthrazitfarbene Quader werden wie in einem Computerspiel zu immer neuen Räumen und Symbolen, meist zu einem Kreuz aus Licht auf der sonst leeren Bühne arrangiert. Die Protagonisten sind jede und jeder in seiner Ich-Welt gefangen und interagieren distanziert, selbstverloren, realitätsfern. Diesmal also nicht nur Philipp II als einsamer König, der von Giacomo Prestia zu einer plastischen musikdramatischen Figur modelliert wird. Mit mächtigem Bass, an den richtigen Stellen um Grautöne angereichert, gelingen diesem großartigen Singschauspieler vor allem die gebrochenen Momente und sein Gefangensein in der grausamen Hierarchie der Macht besonders anrührend. Dieser Philipp ist wie Wotan in eigener Fessel gefangen, auch er muss seinen Sohn der höheren Ratio wegen gegen sein Herz und Vatersein opfern. Dieser trübe Titelheld wird vom Italiener Leonardo Caimi (irgendwann einmal stand da Rolando Villazon angekündigt) kräftig ungestüm gesungen. Timbre, Fokus, Farbe und Power in der Mittellage sind da. In den oberen Registern wird es manchmal bei Intonationseintrübungen eng und kehlig. Aber vor allem an rhythmischer Präzision und vokaler Disziplin mangelt es diesem jungen Tenor, der im Programmheft als einer der führenden lyrischen Tenöre seiner Generation gepriesen wird. Und einmal mehr bewahrheitet sich, Material und Emphase sind nicht die alleinigen Tugenden auf einer Opernbühne. Mangelnde Musikalität muss durch ein noch mehr an Disziplin erarbeitet werden. Besonders ohrenfällig wird dies, wenn ein so genialer junger Sänger wie Etienne Dupuis an der Seite des Italieners den Marquis von Posa mit traumwandlerischer Phrasierung und prachtvollem Kavaliersbariton singt. Man muss schon nach den hellsten Opern-Sternen greifen, um sich an solch eine Stimme erinnern zu können. Bruchlos in allen Registern geführt, kraftvoll kernig, mit der goldrichtigen Beimischung von Metall gelingt dem kanadischen Künstler nicht nur ein vokales, sondern auch dramaturgisches Bilderbuchporträt des gerechtigkeitsliebenden und freiheitskämpfenden Adeligen am düster strengen katholischen Königshof. Bisher ist Etienne Dupuis vor allem in Kanada (Montreal, Quebec), in Frankreich und in Berlin aufgetreten. Man müsste taub sein, um dem auch optisch mindestens in der Kategorie von Jonas Kaufmann angesiedelten Sänger nicht eine steile Karriere und große Zukunft als Opernsänger vorauszusagen. Die männliche Riege wird durch Albert Pesendorfer als Großinquisitor und Andrew Harris als Mönch (Karl V.) rollendeckend ergänzt.
Aber auch Elisabetta und Eboli finden in Kristin Lewis und Anna Smirnova hervorragende Vertreterinnen ihres Fachs. Die in Wien lebende Amerikanerin K. Lewis war im Verdi-Jahr so etwas wie die „Aida vom Dienst“. Die Elisabeth von Valois hat sie schon in Florenz gesungen. Frau Lewis macht in dieser für mich vielleicht schönsten Verdi-Rolle, auch an der deutschen Oper in Berlin beste Figur. Mit echtem Edeltimbre, in der Kuppel abgedunkeltem, nicht sehr groß dimensioniertem Sopran, interpretiert Kristin Lewis stimmlich differenziert eine selbstbewusste Königin. In der hohen Lage gibt es ein kleines technisches Problem, weil die Stimme manchmal zu offen und ungeschützt angesetzt wird. Insgesamt aber eine sehr schöne Leistung, die vom Publikum nach dem Rodrige des Etienne Dupuis mit dem größten Applaus bedacht wird. Die eifersüchtige Prinzessin Eboli wurde von der Russin Anna Smirnova, ungestüm mit großem metallenem (Mezzo)Sopran beeindruckend gesungen. Weniger vokales Raffinement, sondern eine Stimmurgewalt und enorme Höhen à la Elena Obraztsova zeichnen Frau Smirnova aus. Das rechnet sich im „O don fatale“ allemal. Aber auch schauspielerisch kommen alle Gefährlichkeit und die dunkel brodelnde Gewalt dieser „verletzten Tigerin“ bestens zur Geltung.
Die Qualität einer Repertoireaufführung und der Standard eines Opernhaues sind aber nicht zuletzt an der Infrastruktur, also Chor, Orchester und der Besetzung der kleineren Rollen ablesbar. Und hier gibt es Erfreuliches zu berichten: Der unermüdliche musikalische Chef der deutschen Oper Donald Runnicles setzt die Verdi’sche Meisterpartitur (italienische 4 aktige Fassung) mit dem Orchester der Deutschen Oper höchst animiert, spannend, subtil feingezeichnet, wenn nötig aber auch mit der entsprechenden bracchialen Geste, um. Die formidablen Heerscharen des Chors (Einstudierung William Spaulding) als Volkes Stimme bilden den politischen Gegenpol zu den tragischen Einzelschicksalen in diesem kein Glück duldenden spanischen El Escorial. Einige kleinere Rollen können jedoch durchaus als Lichtgestalten gesehen werden, zumal wenn sie so hervorragend frisch und strahlend gesungen werden wie der Tebaldo von Alexandra Hutton, die Stimme von oben der Elbenita Kajtazi (die in dieser Inszenierung als Mutter mit Kind auftritt) oder der Graf von Lerma des Gideon Poppe.
Dr. Ingobert Waltenberger
PS.: Information zur Besetzung; Rolando Villazón ist in drei von vier Vorstellungen geplant. Er hat am 23.04. gesungen (ich war dabei) und soll auch am 30.04. und am 03.05. singen. Für den 26.04. war zunächst Roberto Aronica geplant, dann Stefano La Colla und gesungen hat letztendlich Leonardo Caimi. Etienne Dupuis singt übrigens im Mai an der DOB Onegin und Figaro (Barbier)