Leipzig / Oper: „SIEGFRIED”– 26.4.2015 (Pr. 12.4.2015)
“Der
Waldvogel lehrt Siegfried (Christian Franz), die Vogelstimme”
Foto: Tom Schulze
Wie in Richard Wagners gesamtem “Ring des Nibelungen” fließen auch in „Siegfried“, dem 3. Teil der Tetralogie, die Urkräfte der Natur, die Wagner musikalisch lebendig werden lässt und die im „Rheingold“ ihren Anfang nehmen, und die symbolhaften Gestalten aus Mythos und Sage der “Walküre” zu Erkenntnis und Deutung der Welt und Weltgeschichte zusammen. Rosamund Gilmore wollte mit ihrer Neuinszenierung eine Mischung aus Naturkräften, Märchen, Weltdeutung und Komödie schaffen, was sich in den gekonnten Bühnenbildern von Carl Friedrich Oberle in einer Mischung aus angedeuteten Monumentalbauten, Moderne, Romantik der Entstehungszeit und Theaterzauber mit viel Dampf und geschickter Beleuchtung auch optisch wiederspiegelt. Nur die Kostüme, vorwiegend Alltagskleidung wie aus dem Kaufhaus (Nicola Reichert) führen zum großen Teil wieder in die zurzeit übliche Trivialität, während sich kleinere Bühnen (noch) eine gute Kostümschneiderei leisten.
Nicht nur die Bühnenbilder wurden von Akt zu Akt immer besser und eindrucksvoller, auch Sänger, Dirigent und Orchester steigerten sich immer tiefer in die Problematik des Werkes und Theatralik der Inszenierung hinein.
John Lundgren war von seinem ersten Auftritt an ein sehr eindrucksvoller Wotan/Wanderer mit ungebrochener Energie, stimmlicher Präsenz, großer Klarheit und sehr guter Artikulation. In würdevoller Unaufdringlichkeit und doch die Szene immer beherrschend, wirkte er sowohl gesanglich als auch darstellerisch in jeder Situation glaubhaft und konnte sich auch bei dramatischen Zuspitzungen gegen das lautstarke Orchester durchsetzen.
Der Bayreuth-erfahrene Christian Franz, der die Titelpartie bereits an der MET und der Hamburger Staatsoper gesungen hat, wirkte trotz angekündigter Beeinträchtigung durch Pollenallergie – bis auf das wenig glückliche Kostüm – sehr glaubhaft als der naive, unwissende Tor, der auf der Suche nach seiner Identität nach seinen, ihm unbekannten, Eltern forscht und große Taten vollbringt. Gegen Ende des 3. Aktes steigerte er sich nach dem Sieg über Fafner, der Entledigung Mimes, Entmachtung Wotans und dem erkämpften Zugang zum Brünnhildenfelsen zu seiner gewohnten Topform. Die Liebe zu Brünnhilde ließ Siegfried, den Helden, seine eigentliche Mission vergessen und den Sänger offenbar sogar seine Allergie.
Jürgen Linn konnte – als laut Regie – sehr moderner Alberich überzeugen. Rúni Brattaberg ließ seine profunde, volltönende und wohlklingende Stimme als Fafner ertönen, nur Dan Karlström, von der optischem Größe als Zwerg Mime bestens geeignet, schien der Rolle nicht ganz gewachsen. Er wirkte wie ein überängstlicher Zwerg, schwach an Gesang und Darstellung. Nur sein höhnisches Lachen gelang. So stellte er kaum eine Bedrohung für Siegfried dar.
Ganz anders dagegen die Erscheinung der Erda von Nicole Piccolomini, die im schillernden brokatseidenen Kleid mit langer Schleppe glänzte und mit einigen, sich windenden Schleppenträgerinnen im Gefolge nicht nur die Assoziation an den Lindwurm erweckte, sondern mit Stimme, Darstellung und besonderer gesanglicher Gestaltung eine Erda von Format und auf hohem Niveau verkörperte.
Sehr verheißungsvoll begann Elisabet Strid als Brünnhilde, die 2013, im Wagnerjahr, am Grünen Hügel debütierte, konnte aber dann doch nicht ganz halten, was die ersten Passagen versprachen.
Eine gute Lösung war die Erscheinung des Waldvogels in Form einer Tänzerin, die zunächst in Siegfrieds Gedankenwelt im 2. Akt als Vision seiner Mutter, weiß gekleidet als junge Braut auf der mit Wildwuchs bewachsen Brücke erscheint, einem Symbol zwischen Mythos, Sagenwelt und Neuzeit, die auch, rötlich angestrahlt und Unheil verkündend, die Höhle überdeckt, wo Fafner schläft und wacht. Nachdem die Mutter ermattet gestorben ist, entsteht konform mit der Textvorlage daraus der Waldvogel in Form einer jungen grazilen Tänzerin, die den personifizierten Waldvogel sehr echt imitierte, parallel dazu unsichtbar und angemessen gesungen von Eun Yee You. Später erscheinen noch drei weitere gleiche Waldvögel, sehr anmutige Tänzerinnen, die sich bald in der monumentalen Fassadenwand bewegen, die auf die Neuzeit und die Manipulierung der Welt durch Geld und Kapital hinweist.
Schließlich und folgerichtig erscheint dann Fafner mit viel Dampf als überdimensionaler Kapitalmagnat a la Wallstreet aus der Tiefe auf einem protzigen roten Sofa mit barocken Goldfüßen und mit zunächst eifrigen, aber hilflosen, um ihren Boss herumwuselnden „kleinen Magnaten“ – eine gelungene Erinnerung an das Kapitalproblem, das sich durch die Jahrhunderte zieht.
Dass in dieser Inszenierung viel Ballett eingesetzt wird, erscheint zwiespältig. Die tänzerische Darstellung des Waldvogels illustriert gekonnt die Handlung, das „Zeige“-Ballett im 1. Akt, wo auf Mimes drei Rätselfragen an Wotan – je nach Bedarf – erst eine Art merkwürdig abstrahierter Nibelungen aus einer Art Rasen- oder Schilffläche sich erheben und eine Weile im Hintergrund agieren, dann zu (mehreren) Riesen und schließlich zu einer Art Götter mutieren, noch akzeptabel, aber das Ballett mit zahlreichen (auch wenig attraktiven) Tänzerinnen am Schluss des 3. Aktes, wo nach einem Moment der Aufhebung der Diskrepanz zwischen Liebe und Macht die Utopie einer besseren Welt aufleuchtet, wenig angemessen und eigentlich überflüssig. Dass Grane, Brünhildes Pferd, als „Zaumzeug“- bzw. Pferdegeschirr-behangener junger Mann durch die oben abgebrochene, dreistöckige Hausfassade wie aus der Römerzeit irrlichtert, bedarf erst der Erklärung.
Trotz langer Dialoge wurde es dank eingesetzter Bühnentechnik nie eintönig. Gute optische Wirkungen der aufwändigen Kulissen mit Teilen wie aus der römischen Antike, romantischen Details und Attributen der Jetztzeit, Einsatz der Drehbühne, Felsen die verschoben werden, sich schließen und verschwinden und den Feuerzauber als rote Lichtglut freigeben, sorgen im genauen Konsens mit der Handlung für Abwechslung und Verdeutlichung der Zusammenhänge. Rötliche Blitze, Dampf und Lichterscheinungen unterstützen im richtigen Moment die Handlung. Man hatte auch Gelegenheit, die deutschen Übertitel zu lesen, die bei Wagner, wo der Gesang die Akteure voll in Anspruch nimmt, sehr hilfreich sind.
Manches sollte auch witzig wirken. Wotan erscheint mit großem Speer und Musterköfferchen, aus dem Siegfried später ein Hemd entnimmt, damit er nicht gar so abgerissen bei Brünnhilde erscheint. Dass erst Wotan und dann Alberich sich auch mal per Fahrrad über die Bühne bewegen, ein Gag seit 30 Jahren, beeindruckte kaum. Entsprechend der Oper hinterließen doch die dramatischen Momente den stärkeren Eindruck.
Ulf Schirmer und das Gewandhausorchester unterstützten den Bühnenzauber (am stärksten im 3. Akt), mitunter mit lautstarker Dramatik, aber auch mit sanftem Violinsolo, guter Tuba und Hornsolo als Siegfrieds Horn, erst leicht unrein wie von dem jungen Held, der es zum ersten Mal probiert, geblasen, dann klar und in echter Verbindung mit der Bühne.
Rosamund Gilmore wollte mit ihrer Neuinszenierung eine Mischung aus Naturkräften, Märchen, Weltdeutung und Komödie schaffen, was ihr auch gelang. Ob es aber die vielen Wagner-Fans, denen „ihr“ „Ring“ heilig ist, auch so sehen?
Ingrid Gerk