Das Theater Mülheim an der Ruhr zeigt Feydeaus “Monsieur Chasse” am 28. April 2015 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
KRANK VOR EIFERSUCHT
Copyright: Andreas Koering
In der subtilen Inszenierung von Roberto Ciulli (Regiemitarbeit: Simone Thoma; Bühne: Gralf-Edzard Habben; Kostüme: Heinke Stork) kann sich Georges Feydeaus Komödie “Monsieur Chasse oder wie man Hasen jagt” in einer dunklen Wohnzimmeratmosphäre mit Gewitter-Szenen gut entfalten. Der von Albert Bork virtuos gemimte Monsieur Duchotel besucht hier regelmäßig seinen Freund Cassagne (facettenreich: Rupert J. Seidl), um mit ihm auf dem Land auf die Jagd zu gehen. Da dieser von seiner Ehefrau getrennt lebt, möchte er sie gerne des Ehebruchs überführen, um sich dann von ihr scheiden zu lassen. Steffen Reuber spielt hintersinnig den Arzt Monsieur Moricet, der hinter dem Rücken seines Freundes Duchotel dessen Frau Leontine (ausdrucksstark: Petra von der Beek) begehrt. Die Liebesnacht mit ihr gerät zu einem visuellen Höhepunkt mit der suggestiven Klaviermusik von Matthias Flake, die auch “Samson und Dalila” von Camille Saint-Saens zitiert. Leontine muss schließlich feststellen, dass ihr Mann weder Hasen noch Kaninchen nachstellt. Der ist nur krank vor Eifersucht und trägt schließlich ein Hirschgeweih. Schließlich tritt der von Klaus Herzog burschikos mit Mäuseschwanz gespielte Polizeikommissar Bridois auf, der Licht ins Beziehungsdunkel zu bringen versucht. Es will jedoch auch ihm nicht gelingen, die Frau von Cassagne des Ehebruchs zu überführen. Zwar melden sich verschiedene Liebhaber wie der nonchalante Gontran (beweglich: Marco Leibnitz), aber außer der von ihm als “Corpus delicti” reklamierten Hose ist auch hier von der Polizei nichts herauszubekommen. Schließlich teilt Duchotels Freund Cassagne der verblüfften Gesellschaft mit, dass Duchotel noch nie auf der Hasenjagd gewesen sei. Alles ist nur Verstellung und Bluff. Leontine sagt sich zuletzt von ihrem Verehrer und Liebhaber Moricet los: “Zwischen uns ist es aus…”
Verwicklung, Verwechslung, schnelle Rede und Komik des Vaudevilletheaters kommen bei dieser Inszenierung eher leise zum Vorschein. Doch der bissige Satiriker Georges Feydeau erhält durchaus sein Recht. Sätze wie “Ich verachte die käufliche Liebe, ich habe nur Respekt vor den Seitensprüngen einer anständigen Frau” prägen sich tief ein. Angesichts der doppelten, zerbrochenen Moral ist auch der Polizist machtlos. Stille und Pausen schaffen bei der Inszenierung von Roberto Ciulli allerdings Platz für echte Gefühle. Der Abscheu vor einer Gesellschaft, die sich nur gegenseitig bespitzelt und ausschnüffelt, anstatt zu lieben und zu leben, wird hier eindringlich auf die Spitze getrieben. Als Analytiker des Betrugs reklamiert Feydeau immer wieder die Komik des Zufalls und die Technik der Entdeckung für sich – und Roberto Ciulli folgt ihm dabei aufs Wort. Deutlich wird hier vor allem, wie die Natur der Triebwünsche die gesellschaftlichen Beziehungen ungeheuer ins Wanken bringt. Davon ist auch die ganze Gesellschaft “d’Athenes 40″ betroffen – prägnant verkörpert von Carla Gesthuisen, Klaus Herzog, Marco Leibnitz, Ellen Meder, Carlotta Salamon und Simone Thoma. Die Figuren wirken bei dieser Inszenierung oftmals ohnmächtig, verweigern sich der ultimativen Forderung nach mehr Offenheit, unbewusste Rebellion gegen die heuchlerische Gesellschaft bricht sich Bahn. Der “Liebesverrat” der Frauen ist dabei aber nur halbherzig – dies zeigt auch Moricets unglückliches Verhältnis zu Leontine. Durch eine Liebesbeziehung will sie ihre innere Tiefe aufspüren. Der Tod des Kanarienvogels wird aber zum größten Schmerz ihrer Seele. Die Menschen gewinnen bei dieser Komödie keinen Zugang zu sich selbst. Das kommt trotz mancher dramaturgischer Brüche am besten zum Vorschein. Der Mensch, den Leontine zu ihrem Liebhaber macht, interessiert sie letztendlich nicht. Die Amour fou mit Moricet ist deswegen zum Scheitern verurteilt. Insgesamt vermittelt diese Inszenierung einen melancholischen Zauber mit leiser Ironie. Sinnlosigkeit und Leere des Lebens treten hervor. Man begreift, wie sehr sich die Protagonisten damit quälen. Das gilt auch für die von Volker Roos als nervöse Matrone gemimte Madame Latour.
Alexander Walther