
Macbeth vor seinen Angst-Visionen
PARIS / Théâtre des Champs-Elysées
Giuseppe Verdi MACBETH
15.Mai 2015
Wahnsinns-Szenen auf der Filmleinwand und im Orchestergraben
„Macbeth“ ist ein absolutes Meisterwerk von William Shakespeare, aber vielleicht nicht die am meisten stringente Oper von Giuseppe Verdi, der sich 1865 noch einmal gründlich an seinem Jugendwerk aus 1847 arbeitete. Als er für die Aufführungen in Pariser das obligatorische Ballett für den dritten Akt komponieren musste (aus der eine große Hexenszene wurde), versuchte er der ursprünglichen Nummernoper, die noch sehr dem italienischen „melodramma“ verpflichtet war, mehr psychologische Tiefe zu geben. So strich er die fröhliche Auftritts-Kavatine der Lady Macbeth und komponierte stattdessen die Unheil-vorhersagende Arie „vieni, t’affretta!“. Damit avancierte die Lady mit den Hexen zur eigentlichen Hauptperson der Oper - und ist Macbeth nur ein kleiner Spielball in ihren Unheil produzierenden Händen. Diese verschiedenen Fassungen des Werkes, wurden nun ungewollt sichtbar in der jetzigen Produktion des „Macbeth“ am Théâtre des Champs-Elysées. Denn der Regisseur und Ausstatter Mario Martone konnte mit dem ursprünglichen „melodramma“ offenbar wenig anfangen, das er nur sehr sparsam, um nicht zu sagen „holprig“ inszenierte. Doch im Hexenballett und in der Nachtwandler-Szene der Lady outete Martone sich als Filmregisseur, mit zwei langen Videos (Kamera: Renaud Personnaz), die szenisch das am meisten Interessante des Abends waren.

Roberto Frontali und Susanna Branchini
Die Sänger waren offensichtlich auch im Hinblick auf den Film engagiert worden: Roberto Frontali ist ein älterer Mann mit kahlem Kopf, vollkommen im Bann seiner hochattraktiven, dreißig Jahre jüngeren Frau, der sehr expressiven Susanna Branchini. Während die Männer etwas lächerlich wirken in ihren mittelalterlichen Rüstungen, mit denen sie mühevoll auf (echte!) Pferde steigen müssen, um schwere Schwerter zu schwingen, läuft bei den Frauen alles viel flotter ab, abstrahiert mit viel Rauch, Spiegeln und vor allem den beiden Filmen. Auf der Leinwand sehen wir die Angst-Visionen des Macbeth, interessant gedeutet als die Eifersuchtsphantasien eines alten Mannes, der befürchtet, dass seine junge Frau mit seinen feschen Gegnern davonläuft. Der zweite Film beschreibt im langen Vorspiel der Nachtwandel-Arie die Fantasien der Lady, auf der Leinwand beeindruckend gespielt durch drei Tänzerinnen: Raffaella Giordano, Sveva Sconamiglio und Cinzia Sita. Nicht leicht, um danach „in echt“ auf der Bühne zu erscheinen! Doch Susanna Branchini spielt ihre Wahnsinnsarie so gut, wie wir sie selten auf einer Opern-Bühne gesehen haben. Dabei gelingt es ihr, alle ihre stimmlichen Schwierigkeiten in dieser schweren Rolle zu kaschieren, indem sie diese in „Expressivität“ umwandelt. Der Regisseur und der Dirigent helfen ihr dabei und Verdi wäre wahrscheinlich auch nicht unzufrieden gewesen. Denn gerade für diese Rolle wollte er keine schön singende Primadonna, sondern „una voce brutta“. Doch warum hat er nicht auch allen anderen Arien der Lady mehr Wahnsinn gegeben? Denn dort überzeugte Susanna Branchini leider nicht und wir sind besorgt, dass eine solch begabte junge Sängerin – in manchen Passagen erinnerte sie an die junge Leontyne Price – jetzt schon Aida und (diesen Sommer) Abigail in der Arena von Verona singt.
Frontali wird in der nächsten Spielzeit als Macbeth an die Wiener Staatsoper kommen. In Paris blieb er leider im Schatten des mehr als exzellenten Banquo von Andrea Mastroni – am Anfang einer großen Karriere – und des vorbildlichen Macduff von Jean-François Borras (der nun auch immer regelmäßiger in Wien auftritt). Die meisten anderen Rollen wurden mit den Mitgliedern des Choeur de Radio France besetzt, der im dritten Akt ganz wunderbar klang. (Warum war er in den beiden ersten Akten nur so sparsam besetzt?)
Es war offensichtlich Daniele Gatti, Chefdirigent des Orchestre National de France seit 2008, der diese Oper gewählt hat (und wahrscheinlich auch das italienische Team) und man konnte auch sofort hören warum. Denn für einen Verdi-erfahrenen Dirigenten wie ihn sind die verschiedenen Schichten des Werkes besonders interessant. Gatti konnte durch gekonntes „Zurückhalten“ der Musiker und interessante Kontraste der Oper die Tiefe geben, die sie szenisch leider nur in den Wahnsinnsarien bekam. Damit zeigt Gatti noch einmal sein Können – und verstehen wir, warum er vor Kurzem anscheinend „einstimmig“ (!) zum Chefdirigenten des Concertgebouw-Orchesters in Amsterdam gewählt wurde.
Waldemar Kamer
MERKEROnline – Paris
Photos : Vincent PONTET