Wiener Staatsoper: Siegfried 20.5.2015. Triumph für Simon Rattle und Stephen Gould
Stephen Gould, Evelyn Herlitzius. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Es ist die 18. Aufführung in dieser Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf gewesen. Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper stand wieder der geadelte Brite Simon Rattle. Ihm liegt das sogenannte „Scherzo“ des Rings, das dem Satyrspiel der antiken Tetralogie nachgebildet wurde. Unter seiner Ägide spielte auch ein Orchester, das über eine langjährige Wagner-Erfahrung verfügt und diese Tradition mit Stolz pflegt. Besonders schönen gelangen ihm das „Waldweben“ mit seiner lyrischen Ruhe im zweiten Akt und soghaften Wirkung auf den Zuhörer. Das Vorspiel zum dritten Akt und die Verwandlungsmusik zum Brünnhildefelsen waren dann von einer besonders lebhaften Dynamik unterlegt und voll drehte Rattle dann im Finale auf, der zu einem regelrechten pompösen Triumpf Marsch ausartete.
Der US-amerikanische Heldentenor Stephen Gould, der 2004 an der Wiener Staatsoper als Paul in Konrgolds „Die tote Stadt“ debütiert und hier auch den Siegfried gesungen hat, bewies wieder einmal, dass er zur Zeit wohl einer der besten Interpreten dieser Rolle ist. Er singt besonders wortdeutlich und besticht dabei durch sein intelligentes Spiel. Von Beginn an bietet er die stärkste Leistung an diesem Abend.
Evelyn Herlitzius, die auch mit der Siegfried-Brünnhilde ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper gab, wirkte auf mich im Vergleich zu ihrer Leistung in der Walküre etwas enttäuschend. Zwar verfügt sie über eine strahlende Höhe im forte, in den piano-Stellen, etwa beim Erwachen aus ihrem komatösen Dornröschenschlaf fällt jedoch ein störendes Tremolo der Stimme auf, sodass ihr Vortrag sehr unausgewogen auf mich wirkte. Den finalen Spitzenton bei “lachender Tod“ ließ sie dann leider ganz weg, oder habe ich ihn bloß von meinem Sitz aus nicht gehört?
Tomasz Konieczny bot an diesem Abend als Wanderer eine stimmliche Überraschung. Die beiden großen Wotan-Partien im Rheingold und der Walküre an zwei Tagen hintereinander zu singen, dürfte seiner Stimme nicht allzu gut bekommen haben. Zwei Tage Pause dann und ein wie ausgewechselter Wanderer stand auf der Bühne, der mit wunderbar phrasierendem Bariton über sich selber hinauswuchs. Zu einer besonders pikanten Genreszene geriet dann auch die „Wissenswette“, wenn Mime auf Wotans Worte „nun rede, weiser Zwerg“ ungläubig sein Haupt schüttelt als ob er sagen wollte „Meint der gar mich?“ im Verlauf der sattsam bekannten Wissenswette stellte sich mir plötzlich die Frage, wer würde eigentlich Wotans Haupt abschneiden, hätte dieser die Wette verloren, und weiter: Ist es denn überhaupt noch eine faire Wette, wenn der herrische Gott ohnehin weiß, dass er nicht zu besiegen ist, zumindest nicht durch Mime. Da bedarf es dann im dritten Akt schon eines furchtlosen Helden, seines Enkels Siegfried. Aber natürlich sollte man solche Details nicht mit Logik hinterfragen, das hat Richard agner offenbar auch nicht gemacht oder ihn gestört. In der Eile ließ der Sänger dann noch seinen Speer auf der Bühne zurück und kehrte kurzerhand wieder, um das Zepter seiner Macht noch schnell mit sich zu nehmen.
Herwig Pecoraro war ein herrlich bösartiger Mime mit Hang zur Groteske. Am besten gefielen mir die von Wagner nicht komponierten, aber vom Regisseur möglicher Weise erdachten gesungenen Seufzer und Schluchzer und ähnliche gutturale Reaktionen. Dass man ein „zullendes Kind“ aufzieht und nicht „zu“zieht, dürfte wohl nur ein Versprecher des Sängers gewesen sein. Während der Schwertschmiede defilierte der großartige Gestalter dann im Stechschritt und, nachdem Siegfried Nothung endlich gegossen hat, setzte er sich noch eine Krone auf und fühlte sich, in einem Anfall von Wahnsinn, bereits als zukünftiger Herrscher der Welt.
Der US-amerikanische dramatische Bariton Richard Paul Fink gab sein überzeugendes Rollendebüt an der Wiener Staatsoper in der Rolle des Alberich und stand in Häme seinem Bruder um nichts nach. Wortdeutlich in seiner Auseinandersetzung sowohl mit Wotan zu Beginn des zweiten Aktes als auch später dann mit Mime verfügt er neben einer ausgezeichneten Diktion auch noch über eine besonders agile Rollengestaltung. Durchdringend hallt dann auch sein höhnisches Gelächter im Rhythmus des Hämmerns seines Bruders auf einem Amboss zu Beginn der Oper nachdem Siegfried Mime gefällt hat.
Mikhail Petrenko gab einen klangvollen und finsteren Fafner, der zunächst als Wurm nur aus der Tiefe sang und dann in einem imposanten Auftritt als überlebensgroßer Riese aus einer Öffnung des Bühnenbodens in die Höhe fuhr. Diese turmartige Erhöhung habe ich schon 1998 bei Klingsor im Parsifal in Nürnberg gesehen. Sie ist also nichts Neues, aber immer wieder äußerst effektvoll.
Etwas enttäuschend hörte sich dann leider der schrille Waldvogel von Annika Gerhards an, die mit dieser Rolle ihr Debüt an der Wiener Staatsoper gegeben hatte.
Die Erde von Janina Baechle ließ eine wahre Urmuttertiefe hören, die lediglich nach oben hin fallweise etwas angestrengt ausfiel.
Und am Ende der Vorstellungen gab es nur ein zaghaftes Buh für Evelyn Herlitzius, das jedoch im Keim erstickt wurde. Alle anderen Mitwirkenden und Sir Rattle wurden vom Publikum begeistert und zu Recht gefeiert.
Harald Lacina