Live aus der English National Opera “Coliseum” London: “DIE PIRATEN VON PENZANCE” VON GILBERT UND SULLIVAN - 19.5.2015
Weil seine ihn liebende Amme Ruth (Rebecca de Pont Davies) den armen Frederic aus gutem Hause (Robert Murray) in ihrer Unbedarftheit wegen eines (Hör-)Fehlers statt zu den Piloten, zu den Piraten in die Lehre gab, muss dieser nun bis zu seinem 21. Geburtstag wider Willen dort dienen und sie mit ihm – als Mädchen für alles. Selbst als er endlich seinen Abschied nimmt, um ein anständiges Leben zu führen und gegen die Piraten vorzugehen, muss der Ärmste wieder zurück zu ihnen – aus ehrenwertem “Pflichtbewusstsein”(!), weil er in einem Schaltjahr ausgerechnet am 29. Februar geboren und damit nach piratischer Rechnung vom Piratenkönig (Joshua Bloom) und seinem Lieutenant (Alexander Robin Baker) erst reichlich 5 Jahre alt ist und somit noch weitere 64 Jahre zu dienen hat (bis 1940)!
Damit wird schon klar, dass der Stoff der Handlung weit zurückliegt. Arthur Sullivan (Musik) und W. S. Gilbert (Libretto) bastelten unter Hinzunahme von hübschen jungen Damen und ihres Vaters, eines Major-Generals der Britischen Armee sowie einer Polizistenriege
und ihrem leutseligen Sergeanten eine nicht sehr anspruchsvolle, aber kurzweilig liebenswürdige Operette mit dem Titel „The Pirates of Penzance“, die vor 136 Jahren in Paignton an der englischen „Riviera“ (1879) ihre Uraufführung erlebte (aus urheberrechtlichen Gründen nur mit einer einzigen Aufführung). Im darauffolgenden Jahr trat sie vom Broadway aus ihren Siegeszug an und gehört seitdem zu den erfolgreichen, heute noch viel gespielten Stücken, vor allem am Broadway und in London. In Dresden war sie bisher ziemlich unbekannt. Dank der Live-Übertragung im Dresdner Ufa Kristallpalast und anderen Lichtspielhäusern weltweit, konnte diese nette „Bildungslücke“ auf sehr angenehme Weise geschlossen werden.
Die Handlung ist aus heutiger Sicht naiv, aber Mike Leigh brachte sie mit so viel Witz, Fingerspitzengefühl und Spritzigkeit auf die Bühne, dass auch Jugendliche begeistert sind. Er hatte nette Einfälle. Zunächst blickt man wie durch das Fernrohr eines englischen Captains auf das Treiben der Piraten. Später, wenn die weichherzigen Piraten den Sieg gegen die furchtsamen Polizisten errungen haben, aber vom Polizei-Sergeanten aufgefordert werden, „im Namen Queen Victorias“ als loyale und liebende Untertanen ihre Beute abzugeben, kommt Königin Victoria denn auch im richtigen Moment unter der Heiterkeit des Publikums als riesiges Bildnis von oben herabgeschwebt, und sie gehorchen. Schließlich sind sie doch alle verwaiste Adlige, „die fehlgegangen sind” und deshalb eine Schwachstelle, ein Herz für alle Waisen haben, was ihrer “Tätigkeit” gewaltigen Abbruch tut.
Ort und Zeit der Handlung: Die Küste von Cornwall, zweite Hälfte des 19. Jh., was so ganz nebenbei gut zum alt-ehrwürdigen Interieur des Coliseums passt, das an die viktorianische Zeit erinnert, aber mit jungem Humor belebt wurde.
Bühnenbild und Kostüme von Alison Chitty verbinden charmant Altes und Neues. Die Kulissen, geometrisch-kubistische „Pappwände“, bieten mit einfachen Mitteln einen passablen optischen Eindruck und in abstrahierter Form alles, was zum Verständnis der Handlung gehört. Es ist alles da, reduziert auf das Wesentliche. Die Kostüme wirken „echt“. Die eleganten Kleider der Töchter des alten Major-Generals Stanley (Andrew Shore) wie aus viktorianischer Zeit kontrastieren mit den „zusammengewürfelten“, vermutlich erbeuteten „Klamotten“ der Piraten und verbreiten elegantes Operettenflair. Licht-Designer Paul Pyant und die spritzige Choreografie von Fransesca Jaynes mit hübschen Einfällen tun ein Übriges, z. B. wenn die „mutigen“ Polizisten zum Angriff vorwärts im Kreis gehen oder aus ihrem Versteck die Piraten vorsichtig mit ihren Lampen beleuchten.
Entsprechende Spitzen gegen typische Gepflogenheiten und menschliche Schwächen bei Polizei und Adel dürfen da natürlich nicht fehlen, und sie werden „very british“ abgehandelt, z. B. wie der Polizei-Sergeant die Reihe seiner Mannen abschreitet. Mit dem dicken, behäbigen und ängstlichen Polizei-Sergeanten (Jonathan Lemalu) wird die Staatsmacht „auf die Schippe genommen“, mit dem übertrieben adelsstolzen General-Major der Britischen Armee (Andrew Shore), der gar nicht von Adel ist, der Standesdünkel und bei seinem Sohn Frederic ein übertriebenes Moral- und Pflichtbewusstsein. Es geht sehr kurzweilig zu und vor allem mit feinem, englischem Humor.
Die Gesangsleistungen der Solisten waren in diesem Rahmen durchaus akzeptabel, wenn auch nicht unbedingt vergleichbar mancher Spitzenleistung im Royal Opera House. Es ist ein anderes Genre. Hier herrscht ein anderer Geist, gibt es andere Künstler und ein anderes Publikum, das „seine“ Protagonisten liebt und deren Leistungen mit begeistertem Beifall honoriert. Im Coliseum geht es halt volkstümlicher zu. Hier gibt es andere Erwartungen. Die Sängerinnen und Sänger widmeten sich ihren Rollen mit einer guten, publikumswirksamen Mischung aus Gesang, guten Sprechpassagen, agiler Bewegung und vor allem viel Charme und Spielfreude wie eben bei einer guten Operette
Claudia Boyle war als Mable, die jüngste der 13 Töchter des Majors (in allen Altersklassen), die Agilste von allen, sehr ansehnlich, quicklebendig und liebenswürdig. Bei ihr klangen hübsche Koloraturen an. Den Rest machten Charme und Esprit aus. Hier stand weniger der perfekte Gesang, als vielmehr die Gesamterscheinung der verkörperten Rolle im Vordergrund.
Allgemein schien der Gesang der Solisten, besonders bei Soraya Mafi als ihre Schwester Edith, Angharad Lyddon als Kate und Lydia Marchione als Isabel relativ leise und zurückhaltend, was evtl. auch der Tontechnik geschuldet sein konnte. Das traf auch für Andrew Shore zu, der als echtes Operetten-Genie mit seinen vielseitigen Fähigkeiten zu punkten vermochte, seiner Beweglichkeit, seinem überzeugenden Spieltalent und seinem englischen Humor, wenn er u. a. als Major-General unermüdlich seine vielen bescheidenen Kenntnisse auf allen Gebieten in schnellem Tempo herunterpaspelt. Bei Jonathan Lemalu passte sein zurückhaltender Gesang sogar zur Rolle des „furchtlos“-ängstlichen Sergeant of Police.
Die Chöre der Piraten, Polizisten und Mädchen genügten allen Ansprüchen, immer passabel und gut und genau abgestimmt. Das Orchester spielte zügig und exakt und war der zuverlässige Motor der Handlung, die flott, kurzweilig und charmant “wie am Schnürchen” über die Bühne „glitt“.
Nicht nur das „Live“-Publikum im Coliseum hat sich an diesem Abend köstlich amüsiert. Die gute, alte Operette, so witzig-spritzig aufgepeppt, flott und mit liebenswürdiger Ironie versehen, kommt auch bei der Jugend an. Die Inszenierung hatte Power. Am Schluss ist alles – wie könnte es anders sein – nur noch Friede, Freude und Versöhnung – ein nicht ernst zu nehmender, aber sehr vergnüglicher, heiter-beschwingter Abend zum Entspannen, in seiner Art unbedingt gekonnt.
Ingrid Gerk