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WIEN / Scala: OBERST REDL – EIN PATRIOT

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Oberst Redl Scala
 Foto: Scala

WIEN / Scala: 
OBERST REDL – EIN PATRIOT von John Osborne
Premiere:  21. Mai 2015,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 22. Mai 2015  

John Osbornes „A Patriot for Me“ (in der Scala unter dem nicht sehr glücklichen Titel „Oberst Redl – ein Patriot“ gespielt, weil genau das nicht gemeint ist) mag zwar nur ein historischer Bilderbogen sein, aber er passt perfekt ins Hier und Heute. Nicht, weil Habsburger-Bashing ein Lieblingsthema von Medien und Öffentlichkeit ist – sondern weil durch Life Ball, Regenbogenparade und nicht zuletzt durch den Song Contest und seinen österreichischen Repräsentanten (österreichische Repräsentantin, um da genderwise alle Möglichkeiten offen zu halten) die positive Betrachtung der Homosexualität derzeit angesagt ist.

Und das tat Osborne (wenn auch höchst differenziert), als er Mitte der sechziger Jahre das Stück über jenen Oberst Alfred Redl schrieb, der als Spion für die Russen wohl deren größter Triumph war, konnten sie sich doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Chef des militärischen Nachrichtendienstes der Monarchie als Informationslieferanten sichern.

Osborne ging es bei seinem Stück nicht um historische Akkuratesse, sondern um das Psychogramm eines Mannes, dessen Leben durch die Homosexualität bestimmt wurde. Denn obgleich manche Quellen es anders sehen, so gilt es doch als einigermaßen wahrscheinlich, dass es Redls damals strafbare sexuelle Neigung war, die ihn für die Russen erpressbar machte – und dass sie seinen Hang zum Luxus finanzieren konnten, kam noch dazu.

Geschildert wird die Geschichte eines Mannes, der in der hochmütigen Militär-Elite der Donaumonarchie a priori keine Chancen hatte: ein Ruthene geringer Herkunft, ohne Geld und Verbindungen, der nichts mitbrachte als seinen offenbar brennenden Ehrgeiz. Tatsächlich macht er nur dank seiner Leistungen Karriere – und trotz seines Doppellebens: Osborne schildert ihn einerseits als geschickten Duckmäuser, der den Vorgesetzten nach dem Mund redete, andererseits als Mann unter schwerstem Druck, der seine wahren Neigungen anfangs bekämpfte, ihnen dann nachgab und in einen Strudel von Gefühlsexplosionen geriet, die ihn nicht nur dem Verrat in die Arme trieben, sondern auch persönlich ruinierten. Das ist ein Charakterbild, das in Verhaltens-Extremen ausgemalt ist und eine gewaltige darstellerische Herausforderung darstellt.

Interessant übrigens, dass nicht nur Redl in einer Welt lebte,  die Homosexualität nach dem allgemeinen Strafgesetzbuch von 1852 für das Kaisertum Österreich („Unzucht mit Personen desselben Geschlechtes“) mit schwerem Kerker von einem bis zu fünf Jahren bestrafte. Auch die Briten ist die Problematik kein Ruhmesblatt: Erst 1967 (!!!)  wurde Homosexualität entkriminalisiert – und Osbornes Stück, aus dem Jahre 1965, konnte mit der Begründung als „too sexually transgressive“ damals im Royal Court Theatre nur über den Umweg gespielt werden, dass man das Theater für diese Vorstellungen zum „Club“ (also zu einem privatem Veranstaltungsraum) erklärte…

Besonders groß war die Erregung über jene Szene eines Wiener Homosexuellen-Balls, die gut als Vorläuferin des Life Balls erscheinen kann und zu Zeiten der Uraufführung  offenbar noch Bürgerschreck-Charakter trug. In der Scala ist sie in der Inszenierung von  Bruno Max gewissermaßen schrilles Zentrum eines ansonsten hochsoliden Theaterabends. Wenn aber Günter Tolar im Abendkleid hier einer wilder Schar präsidiert und nasal Bosheiten verteilt, dann sprüht schon etwas von Frechheit und Aggression von der Bühne, die heutzutage einerseits Entzücken, andererseits wohl noch immer teilweise Ablehnung auslösen können – so fortschrittlich wir dank Conchita auch geworden sein mögen (zumindest meint das deutsche Feuilleton, dies zu wissen…).

In einer wie immer geschickten Bühnenbildlösung von Marcus Ganser, in den Uniformen und Roben der Epoche (Alexandra Fitzinger), vermag Bruno Max auch mit Hilfe der musikalischen Einrichtung von Fritz Rainer auf kleinstem Raum erstmals viel Monarchie-Flair zu verströmen. In manchen Szenen, etwa jener mit der Nutte (ganz dem „Reigen“ entsprungen: Melanie Flicker), hat sich nicht nur Osborne, sondern auch der Regisseur sehr bei Schnitzler inspirieren lassen, ebenso in der bedrückenden Eingangsszene, in der ein Duell letal endet.

Das überaus personenreiche Stück, mit der Logistik von Vielfachbesetzungen der jungen Männer mühelos über die Bühne geschickt, hat außer dem Hauptdarsteller noch ein paar Höhepunkte zu bieten: Eva Maria Neubauer als russische Gräfin darf nur tragisches Klischee sein, aber wie Peter Moucka einen österreichischen Offizier auf die Bühne stellt, der alles zu „richten“ vermag (bis zu Redls Tod als „Selbstmord“, den man unter den Tisch kehren kann), das ist ebenso als souveräne Studie bemerkenswert wie das vollsaftige Porträt, die Rainer Doppler dem trinkfesten russischen Geheimdienstchef widmet, wirkungsvoll assistiert von Leopold Selinger als Adlatus.

Die volle Überzeugungs-Last des Abends liegt aber auf Christian Kainradl, der den großen Bogen von dem verkrampften jungen Mann mit den vielen Wünschen bis zu dem zerstörten Mann mit den erfüllten Wünschen, die ihn ruinieren, beeindruckend schlägt. Wie gesagt – wie viel das mit dem echten Oberst Redl zu tun hat, ist unbekannt und auch nicht wichtig. Als Symbolfigur für ein homosexuelles Leben mit seinen Beglückungen und Tragödien kann Osbornes Redl wohl herhalten.

Renate Wagner

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