Berlin/ Staatsballett: „STATIC TIME”, Nacho Duatos erste Choreographie für Berlin, 22.05.2015
Staatsballett-Solisten in “Static Time” von Nacho Duato, Foto: Fernando Marcos
Nun endlich Nacho Duatos eigener Einstand in Berlin, diesmal in der Staatsoper im Schillertheater. Doch schon der Titel „Static Time“ seiner ersten Choreographie fürs Staatsballett Berlin gibt Anlass zum Grübeln und zu Assoziationen.
Weitgehend künstlerischen Stillstand und das Fehlen neuer Impulse hatten wir hier 9 Monate lang, und leider scheint die Bezeichnung „Static Time“ auch zum Ergebnis zu passen. Hat sich das herumgesprochen? Es ist die 3. Aufführung seit der Premiere, und das Haus ist recht schütter besetzt. Liegt das allein an der Fülle anderer Ereignisse am Pfingstwochenende?
Von „Erinnerung und Ewigkeit“ ist im Programmheft die Rede und auch davon, dass „reduzierte musikalische Elemente verwendet werden, die den natürlichen musikalischen Fluss in der Zeit verzögern und ihre Räumlichkeiten betonen.“ Na ja. Im großen englisch-deutschen PONS-Wörterbuch wird „static“ auch damit übersetzt, dass eine Kultur sich nicht mehr weiterentwickelt“. Sic!
Bei all’ dieser von Duato absichtlich gewählten Langsamkeit mit einer vom Tonträger gelieferten Zwischenmusik sowie Stücken von Mozart, Rachmaninow und Schubert – gespielt von einem Trio mit Alina Pronina am Klavier – haben es die Tänzerinnen und Tänzer trotz ihres sichtlichen Könnens schwer, die Aufmerksamkeit der Zuschauer für ihr Tun auf der schwarzer Bühne (von Jaffar Chalabi) wach zu halten.
Dominiert im Wortsinn wird das Geschehen von einem Männer-Pas de deux. Einer liegt anfangs mit nacktem Oberkörper am Boden, ein anderer, eher wie beim Training gewandet (Kostüme: Angelina Atlagic), stürzt sich auf ihn. Danach Folgen von Annäherung und Wegstoßen, gut und mit reichem Bewegungsvokabular getanzt von Arshak Ghalumyan und Dominic Hodal. Durch Geschmeidigkeit fällt Wei Wang auf.
Die drei Damen – unter ihnen die Solistin Elisa Carrillo Cabrera – haben lediglich kurze Auftritte, verknäueln sich mal mit den Herren, sind aber nur Staffage und können mir mit ihren Minirollen in diesem traurigen Umfeld nur leid tun. Zuletzt liegt der Mann wie am Anfang auf dem Boden, der Partner geht gefühllos weg. Das Ergebnis dieser kaum halbstündigen Choreographie ist Ratlosigkeit und Langeweile. Ab in die Pause.
Auch das zweite, wiederum kurze Stück „Click-Pause-Silence“ von Jiří Kylián, einst Duatos Lehrmeister und Förderer am berühmten Nederlands Dans Theater, kommt sehr getragen daher. Ab 1975 hatte Kylián mit seinen zeitgenössischen Choreographien diesem modernen Tanztempel fast 20 Jahre lang den Stempel aufgedrückt und wurde selbst international ein Star. Doch seine Choreographie, dort im Jahr 2000 uraufgeführt, hat bei aller Stringenz doch einige Patina angesetzt.
Kylián, auch für Bühne und Licht verantwortlich, gibt zu, seine eigenen Titel nicht zu verstehen, und den Zuschauern geht es sicherlich genau so. Hier haben der Komponisten Dirk Haubrich und Kylián selbst nach seinen eigenen Worten den Versuch unternommen, die Elemente von Bachs „Präludium Nr. 24 b-Moll BWV 869“ mit dem Skalpell zu zerlegen. Vom Tonträger wird das nun eingespielt und von den Tänzerinnen und Tänzern mit ebenso zerlegten Bewegungen veranschaulicht. (Kostüme: Joke Visser). Eine gewollt unterkühlte, abstrakte Angelegenheit, exakt dargeboten wie im Versuchslabor. Von den 4 Interpreten haben mir Ilenia Montagnoli und Vladislav Marinov am besten gefallen.
Danach schon wieder eine Pause. Warum? Zumindest in dieser Aufführung muss kein Tänzer und keine Tänzerin zweimal auf die Bühne, braucht also keine Erholung. Die Unterbrechung dient nur der Zerdehnung des Abends auf 140 Minuten. Nicht zu Gunsten des Publikums, sondern vor allem zu Gunsten der Gastronomie!
Zuletzt „White Darkness”, eine Choreographie von Nacho Duato, uraufgeführt 2001 in Madrid. Die bekommt schon durch die Musik von Karl Jenkins, von Streichern unter Leitung von Pedro Alcalde saftig gespielt, mehr Schwung und macht das Publikum spürbar munter. Nun wirbeln 10 Tänzer in den Kostümen von Lourdes Frías über die von Jaffar Chalabi gestaltete Bühne.
Zwar wirkt es auf mich immer etwas komisch, wenn in schnellen Passagen jeder Taktteil ausgetanzt wird, was oft recht zappelig ausschaut. Auch die Lichtduschen vom Bühnenhimmel oder der beleuchtete Sand (?), der aus den Händen rinnt, haben Kitsch-Potenzial. Dennoch zeigt uns diese Arbeit einen Duato, der noch nicht mutlos geworden ist.
Inhaltlich geht es um eine Drogensüchtige und ihren Begleiter, der sie aus der Abhängigkeit erretten will. Großartig und glaubwürdig wird das von Krasina Pavlova und Mikhail Kaniskin getanzt. Sofort ziehen sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Diese beiden sind den ganzen Abend wert.
Was ihren Kolleginnen und Kollegen in den vorherigen Choreographien weitgehend versagt blieb, dürfen sie in ihren Pas de deux nun zeigen und ausleben: Leidenschaft und Liebesangst, Zuwendung und Verweigerung, Hingabe und Hilflosigkeit, Mutmachen und Ablehnung. Zuletzt flüchtet sich die junge Frau unter die Lichtdusche. Ist sie jetzt gerettet? Das bleibt offen. Mit heftigem Beifall werden die beiden gefeiert.
Doch solch ein „Ende gut, alles gut“ ist zu wenig für einen auf 140 Minuten gestreckten Ballettabend! Statt Statik müssen Pepp und Furor, Schmerz und Jubel her, Arbeiten von jungen unverbrauchten Choreographen. Fein zelebrierte Melancholie reicht fürs Hauptstadt-Ballett und sein internationales Publikum nicht aus!
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 25. und 30.05. sowie am 13.06. Danach erst wieder ab im Dezember bis ins Jahr 2016.