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BADEN BADEN / Festspielhaus: LA TRAVIATA. Premiere

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Verdi: “La Traviata” im Festspielhaus Baden-Baden am 22. 5.2015

ERGREIFENDE SCHLICHTHEIT DES AUSDRUCKS

Premiere  “La Traviata” von Verdi bei den Pfingstfestspielen am 22. Mai 2015 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

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Copyright: Andrea Kremper/ Festspielhaus

Rolando Villazon bietet bei seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis “La Traviata” ganz ungewöhnliche Sichtweisen. Nach Donizettis “Liebestrank” ist dies die zweite Inszenierung fürs Festspielhaus in Baden-Baden. Er macht aus dem Stück eine aufregende Walpurgisnacht, eine flirrend-erregende Harlekinade. Man sieht eine große runde Uhr und verschiedene Drehscheiben auf der Bühne, die sich im Hintergrund in geheimnisvoller Weise öffnet und eine Krone sowie einen Himmel freigibt. Immer wieder senken sich “eiserne” Vorhänge, verändert sich die Szenerie in fast schon surrealistischer Weise. Gelegentlich wird sogar die Welt Oskar Schlemmers geweckt. Villazon vergisst jedoch nicht, den konzentrierten Blick auf die Hauptfigur Violetta Valery zu lenken, die von Olga Peretyatko mit weichem Timbre, strahlenden Spitzentönen und ausdrucksvollem Parlando-Zauber interpretiert wird. Das Fest bei Violetta gerät zu einem ausgelassenen Reigen, wobei Violettas Zuneigung zu Alfredo Germont rasch in leidenschaftliche Liebe umschlägt. Atalla Ayan verleiht dem Alfredo einen großen Klangfarbenreichtum und es gelingt ihm, auch die sensiblen Schattierungen seiner schlanken Tenorstimme zu betonen. Stark sind jene Szenen, wo der von Simone Piazzola fulminant verkörperte Vater Giorgio Germont von Alfredo ein Ende der Beziehung zu Violetta fordert. Hier gelingen Villazon erregend-elektrisierende Szenen, deren Intensität sich immer weiter steigert. Auch Christina Daletska kann den Verdruss von Violettas Freundin Flora Bervoix gut verdeutlichen, die ihr vergeblich eine Einladung zum Ball nach Paris geschickt hat. Olga Peretyatko vermag das Hin- und Hergerissensein von Violetta hervorragend darzustellen, die nicht nur aufgrund ihrer tödlichen Erkrankung auf ihre Liebe verzichten muss. Alfredo entdeckt Violettas Abschiedsbrief in dem Moment, als der Vater eintrifft, um seinen Sohn nach Hause zu holen. Er fühlt sich von Violetta verraten und schwört Rache. Auch diese Szene beeindruckt in der Inszenierung durch erstaunliche Intensität.

La_Traviata_Baden-Baden_2015_c_Andrea_Kremper (33)
Copyright: Andrea Kremper/ Festspielhaus

Beim Maskenfest überrascht Rolando Villazon sein Publikum wiederum mit einer grotesken Maskerade, wobei die Tänzerinnen und Tänzer in schwarzen Gewändern auftreten. Alfredo wirft Violetta Geld vor die Füße, um vor aller Welt seine Schulden bei ihr zu begleichen. Diese Szene wirkt bei der Inszenierung fast schon gespenstisch. Violettas Spieluhr bleibt dabei immer wieder erschreckend lebendig. Ein mechanisches Lied scheint den leeren Raum zu füllen. Und zwei Akrobaten drehen ihre Runden in dem bunten Kreis im Inneren der Spieluhr. Die Kreaturen eines Traums machen diesen zum Alptraum. Auffallend ist, dass Villazon hier mit facettenreichen Mitteln eine seltsame Zirkusatmosphäre schafft – manchmal denkt man sogar an Leoncavallos “Bajazzo”. Die Trapezkünstlerin Susanne Preissler schwebt wiederholt an einem Seil von der Höhe herab. Tänzer und Akrobaten (Marie Le Roy, Julia Janson, Amin Elbarkaoui, Paolo Handel, Matthieu Sparma) bevölkern wie im Rausch diese Bühne, die selbst die Welt eines E.T.A. Hoffmann beschwört. Der Regisseur lässt seiner Fantasie freien Lauf. Das ist eine ganz ungewöhnliche Sichtweise. Aber der Charakter des “Todesweihfestspiels” nimmt hier immer stärker und erschreckender Gestalt an. Vor allem hat Rolando Villazon ein Herz für die Figuren, Violetta und Alfredo gewinnen Bühnenpräsenz und ungeheure Lebendigkeit. Der Geister-Karneval endet zuletzt hinter einem durchsichtigen Vorhang, der im Dunkel und in Nebelschwaden verschwindet. Rötlich-blauer Lichtzauber fesselt die Zuschauer: So hat man Verdis “La Traviata” wohl noch nie gesehen. Der Alfredo zum Duell fordernde Baron Douphol erhält dank der robusten Darstellung von Tom Fox ebenfalls starke Konturen – in ihrer Verzweiflung gibt Violetta vor, Douphol zu lieben. Der dritte Akt überzeugt dann in dieser Inszenierung durch totale Schlichtheit und Verinnerlichung. Der lärmende Charakter der Festlichkeiten verschwindet fast ganz, die Exzentrik wird reduziert. Ungeheure Leuchtkraft besitzen allein Olga Peretyatkos auf- und abstürzende Koloraturen und Figurationen, die sie selbst im Liegen mit bewundernswerter Klarheit zum Klingen bringt. Als Violetta in Alfredos Armen stirbt, scheint schließlich die Zeit stillzustehen. Die stockenden Synkopen von Alfredos Vater Giorgio Germont verstummen, er bittet Violetta um Vergebung. Langsam niederstürzend stirbt sie. Das sind visuelle Eindrücke, die man nicht vergisst. Auch Walter Fink kann dem Doktor Grenvil starke Ausdruckskraft verleihen, der immer wieder nach der Kranken schaut und der fassungslosen Annina (nuancenreich: Deniz Uzun) anvertraut, dass ihre Herrin nur noch wenige Stunden zu leben hat. Die Emotionen dieser Figuren bannt Rolando Villazon bei der gelungenen Inszenierung packend auf die Bühne. Vor allem Olga Peretyatko lebt ganz und gar mit dieser Rolle und identifiziert sich mit ihr. Düfte, Farben und Impressionen vermag Rolando Villazon hier als wahrer “Bühnenvulkan” hervorzuzaubern. Und auch rein musikalisch ist diese Aufführung erstklassig.

Der Dirigent Pablo Heras-Casado vermag die furios geballte Dramatik dieses Seelengemäldes eindringlich zum Klingen zu bringen. Den leisen Regungen des Herzens wird mit dem Balthasar-Neumann-Chor (Einstudierung: Detlef Bratschke) und dem Balthasar-Neumann-Ensemble feinnervig nachgespürt. Gleichmaß und dynamische Ausgewogenheit gehen dabei eine glückliche Verbindung ein. Thematische Bindungen wie Violettas Schicksalsmotiv und Alfredos Liebesmelodie bestätigen den reizvollen Zusammenklang von Wort- und Tonseele. Der Charakter der Verzichtsoper wird glaubhaft herausgestellt. Selbst die impressionistische Schwächung der Charaktere kommt dabei nicht zu kurz. Violetta handelt ganz nach dem Gesetz der Hingabe, sie fügt sich wehrlos ins Dahinsiechen der gnadenlos fallenden Kadenzen. Alle wesentlichen Motive von Violetta sind fallend – das vermag Olga Peretyatko ausgezeichnet zu verdeutlichen. Deswegen geht die sanfte Schwerkraft der Violetta-Arien in Baden-Baden so unter die Haut. Die Hervorhebung der diatonischen Ebene und das Verharren der Melodien in der Mittellage wirken um so erschreckender, wenn Violettas Stimme plötzlich abrupt in die Höhe springt und dort quasi explodiert. Traurige Sanftheit beherrscht die beiden F-Dur-Melodien “A quell’amor, quell’amor ch’e palpito” und “Amami, Alfredo, amami”. Auch die anderen beiden Motive in f-Moll und g-Moll erhalten dabei starke Akzente. Matt gezogene Kurven nehmen das Fallen vorweg, im wiegenden Crescendo gewinnt Olga Peretyatkos Stimme an Reife. Gefühlsschwankungen zwischen Zärtlichkeit und dynamischen Blutstürzen, Tonhöhenwechseln und wunderbar leisen Modulationen begeistern den Zuhörer unmittelbar. Irrationales und Triebhaftes weckt “Parlante”-Assoziationen – die erregende Hast des Rezitativs vereint sich mit deklamatorischer Nervorsität. Eine exzellente gesangliche Leistung, für die Olga Peretyatko zurecht Begeisterungsstürme erhielt. Wie im “Bajazzo” stellt Musik hierbei ein Drama im Drama dar – eine Intention Verdis, auf die Rolando Villazon als Regisseur voll eingeht.

In weiteren Rollen gefallen Emiliano Gonzalez Toro als Gastone, Konstantin Wolff als Marquis d’Obigny sowie Hermann Oswald als Violettas Diener Giuseppe, Stefan Geyer als Kommissionär und Raimonds Spogis als Diener bei Flora. Riesenjubel gab es zuletzt auch für das Regieteam (Bühnenbild: Johannes Leiacker; Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck; Choreographie: Philippe Giraudeau). Vor allem mit den tänzerischen Einlagen betritt Rolando Villazon bei dieser “Traviata” Neuland. . Interessant und ganz und gar ungewöhnlich ist vor allem, dass Villazon die von Susanne Preissler dargestellte Trapezkünstlerin als imaginäre Doppelgängerin Violettas darstellt. Widerspruch löste diese fast revolutionäre Version im Publikum nicht aus.

 Alexander Walther

 

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