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WIEN/ Burgtheater: ANTIGONE von Sophokles

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WIEN / Burgtheater: 
ANTIGONE von Sophokles
Fassung des Burgtheaters nach einer Übertragung von Frank-Patrick Steckel
Premiere: 31. Mai 2015  

Antigone_Hinterwand Foto Georg Soulek
Copyright: Georg Soulek

Die Labdakiden, die Familie des Ödipus, hat es mindestens so schlimm getroffen wie die Atriden, die Familie des Agamemnon. Dafür können sich die Mitglieder rühmen, die Weltliteratur mit den denkbar berühmtesten Stücken überflutet zu haben, deren antike Urfassungen im Laufe der Theatergeschichte ungeheure „Überschreibungen“ erfahren haben. Die Originale, meist für unsere Köpfe und Ohren sperrig, kommen nicht so oft auf die Bühnen.

Im Burgtheater kam nun die „Antigone“ des Sophokles zur Aufführung, wobei jene Regisseurin am Haus debutierte (man hat von ihr bisher nur am Burgtheater als Gastspiel ihrer Berliner „Die schmutzigen Hände“-Inszenierung gesehen), die Karin Bergmann sich expressis verbis gewünscht hatte: Jette Steckel, die an deutschen Bühnen so erfolgreiche 33jährige, Tochter eines berühmten Papa: In Wien hat Frank-Patrick Steckel allerdings nur Ende der neunziger Jahre zwei Inszenierungen bei Peymann abgeliefert. Nun stammt von ihm die im Burgtheater gespielte Sophokles-Fassung, wobei (man bekam den Text dankenswerterweise zur Verfügung gestellt) auffällt, dass die Tochter sich nicht ganz an die gebotene Vorlage gehalten hat – sie hat beispielsweise nicht nur auf Kreons Gattin  verzichtet, sondern auch das Ende geändert. Aber man weiß ja, wie Regisseure mit Autoren umgehen, selbst wenn es – auf Umwegen – der eigene Vater ist.

Antigone ist in der Literatur zum Symbol des Widerstandes gegen eine ungerechte Staatsgewalt geworden. Man muss allerdings sagen, dass moderne Versionen (vor allem jene des von den Bühnen vergessenen Jean Anouilh) die Protagonisten ihre Positionen dialektisch schärfer und geschliffener vertreten lassen als die griechische Antike vor immerhin rund zweieinhalbtausend Jahren. Bei Sophokles besteht die Ödipus-Tochter darauf, den Bruder zu begraben, den Onkel Kreon (er hat das Reich geerbt) zum Staatsfeind erklärt hat und unbegraben verrotten lassen möchte. Das zieht sie tapfer durch, wobei noch keine Sophie Scholl aus ihr wird.

Am glaubhaftesten ist bei Sophokles im Grunde der König – der will und muss herrschen, und Milde und Familiensinn sind in der Jobbeschreibung nicht drin, er besteht auf Härte wie alle Diktatoren. Dabei fressen sie gewissermaßen ihre Kinder, in diesem Fall ist Kreons Sohn Haimon ein weiteres Opfer. Der teils als Volk agierende, teils kommentierende Chor gibt den antiken Dramen in den Augen unserer schnelllebigen Zeit ihre gewisse Behäbigkeit, und das zeichnet auch die Inszenierung von Jette Steckel aus.

Antike – wie geht das? Die Regisseurin versucht allem zu entkommen, was man damit verbindet. Dafür ist zuerst die Musik da – gleich zu Beginn muss Teiresias (!) ins Mikro singen, irgendeinen düsteren englischen Text. Die Musik ist extrem laut, gewaltsam, sehr „metallig“, das Programmheft verzeichnet Anja Plaschg, (Soap&Skin) und Anton Spielmann, (1000 Robota) als Urheber, Fachleute werden etwas mit den Namen verbinden. Laien stellen fest, dass die Musik starke heutige Akzente setzt – wenn allerdings die berühmteste aller Formulierungen „Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheuerer als der Mensch“ in Form eines feierlichen Chorals gesungen wird, dann wabert ein gewisses Pathos auf, das der ganze Abend nicht los wird.

Das Bühnenbild von Florian Lösche ist auf gewissermaßen obligate Art „modern“ (und man möchte nicht wissen, was es gekostet hat): Eine auf die Drehbühne gestellte, variable, riesige Wandkonstruktion, in die 80 (zehn Reihen breit, acht Reihen hoch) Scheinwerfer eingebaut sind, die das Publikum immer wieder ganz heftig blenden. Man kann darauf auch herumturnen (etwa Antigone in ihrem Abschiedsmonolog, zu dem sie Hot Pants trägt – die Kostüme stammen von Pauline Hüners), aber ein großer Teil des Geschehens findet auch im Zuschauerraum statt. Nicht nur, dass Kreon immer wieder auf einem Mittelsteig in die vorderen Reihen vordringt, die Chormitglieder sind überall, in den Logen, den Gängen, am Balkon, auch Auftritte der Protagonisten kommen von unten. Wenn man damit „das Publikum ins Geschehen einbeziehen“ will, scheint das eine ziemlich altmodische Lösung…

Antigone_Aenne Schwarz  Antigone_Meyerhoff 
Anne Schwarz / Joachim Meyerhoff  (Fotos Peter Soulek)

Viel szenischer und akustischer Aufwand also, aber im Grunde nur eine wirklich fesselnde schauspielerische Leistung: Joachim Meyerhoff tritt als Kreon zuerst fast nackt auf, im Slip, mit einem Umhang und einer Krone auf dem Haupt – die archaische Version eines Königs, der allerdings im Laufe des Geschehens zum „schwarzen Anzug-Träger“ mutiert und sich zum Finale eine Krawatte umbindet: König bleibt König, egal, wie erschüttert er durch den Tod seines Sohnes ist… Meyerhoff ist ein Schauspieler von außerordentlicher Intensität, mit dem an diesem Abend niemand mithalten kann.

Aenne Schwarz als Antigone und Mavie Hörbiger als Ismene müssten den Abend beherrschen, bleiben aber seltsam am Rande, wobei ihnen die Regisseurin die Eingangsszene „stiehlt“, die sie gänzlich im Halbdunkel zerspielen müssen. Philipp Hauß holt einiges aus dem Unglücksboten, Martin Schwab wirkt als Teiresias wie ein bärtiger Wurzelzwerg, und für den Haimon hat die Regisseurin Mirco Kreibich mitgebracht, der anderswo schon ihr Caligula und ihr Don Carlos war. Er kann, anfänglich so still, dann seine Leidenschaft rauslassen – und wenn Antigone hier nicht eingemauert, sondern an Ketten aufgehängt wird, beschwört er im Selbstmord jene exzessive Körpersprache, für die er berühmt ist. (Dann bricht auch Vater Kreon in einen Veitstanz aus, was offen gestanden auch ziemlich gestrig wirkt…)

Es ist viel in diese Inszenierung hineingepfercht, die dennoch die schon erwähnte Behäbigkeit nicht los wird. Als stapfte die Antike in schweren Stiefeln einher und wollte mit vielen Ablenkungsmanövern nicht zugeben, dass sie uns in dieser Form thematisch nicht erreicht.

Renate Wagner

 

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