Dresden/Frauenkirche: DANIEL HOPE, EIN „WANDERER ZWISCHEN DEN WELTEN“ MIT VIVALDIS “JAHRESZEITEN”, ORIGINAL UND RECOMPOSED – 20.6.2015
Ganz im Zeichen Antonio Vivaldis stand das Konzert, das Daniel Hope, bekannt für seine Vielseitigkeit und Experimentierfreude und oft und gern in der Dresdner Frauenkirche gesehener Gast im Rahmen der neuen Reihe „Kontext » Kontraste“ gab. Als Grenzgänger „zwischen den Welten“ balanciert er oft auf einem schmalem Grat zwischen U‑ und E‑Musik und war deshalb prädestiniert für das Anliegen dieser Reihe, durch gezielte Kontraste und „unerhörte“ Zusammenhänge neue Klangwelten zu entdecken, das Hören zu schärfen, Werke mit Spielfreude ins Heute zu übersetzen und ungeahnte Parallelen und Gemeinsamkeiten zwischen alter und neuer Musik aufzuzeigen.
Bevor Hope aber in „Action“ trat, leiteten die 16 Musiker des Kammerorchesters L’arte del mondo unter ihrem „Gründungsvater“, künstlerischen Leiter und 1. Konzertmeister, Werner Ehrhardt mit den beiden Sätzen der „Sinfonia h‑Moll“ (RV 169) „Al santo sepolcro“ für Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi das, wie sich bald herstellen sollte, mitreißende Konzert mit großer Publikumswirksamkeit ein.
Zunächst aber machte das Orchester „solo“ seinem Ruf als eines der renommiertesten Klangkörper im Bereich der „historischen Aufführungspraxis“ alle Ehre. Die Musiker, die sich ebenso dem Musizieren auf modernen Instrumenten und einem Repertoire bis zur Romantik und Moderne verschrieben haben, legten sehr viel Wert auf schönen, geschmeidigen Klang, bei dem „die Seele mitschwingt“ und der die Assoziation zum Klangideal vergangener Jahrhunderte weckte, eine beschauliche Einstimmung, bei der sich die Musiker Zeit nahmen, um die Musik ohne Hektik ausschwingen und genießen zu lassen.
Im Gegensatz dazu betrat Daniel Hope die Szene mit Vehemenz und Temperament, um den solistischen Part in Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ mit seiner, im Klang dominierenden (leicht e‑verstärkten?) Violine zu übernehmen und das Konzert mit seiner Art mächtig „aufzupeppen“, indem er sehr lebhaft und mit eilendem Tempo in häufigen 18-Grad-Drehungen dem Publikum beim Solopart sein Gesicht oder, um das Orchester zu „dirigieren“, die Rückansicht bot – eine Mischung aus virtuosem Können und Show. Sei es, wie es sei, dem begeisterten Publikum hat’s gefallen. Hope nimmt sich die Freiheit, die starre Konzertatmosphäre aufzubrechen und dem Publikum mit Lockerheit, Frische und äußerlichen Effekten die klassische Musik näher zu bringen. „Die vier Jahrezeiten“ sind an dieser Stelle schon oft, mehr oder weniger dem Original nachstrebend, erklungen. Hope bot eine neue, seine ganz persönliche Sicht auf das Werk durch erstaunliche Schnelligkeit (wenn auch zuweilen ein bisschen auf Kosten der Exaktheit), starke Kontraste in der Lautstärke bis zum kaum noch hörbaren Pianissimo und eigenwillige Kunstpausen.
Er belebt die „Szene“ auf beiden Seiten, kommt dem Geschmack eines breiten Publikums näher, bezieht niveauvolle Musik in die Unterhaltungsmusik ein, verschafft der ernsthaften Musik Unterhaltungswert und versucht damit neue Freunde für diese Musik zu gewinnen. Er verstand es, die „Original“-„Jahreszeiten“ aus der „Reserve“ zu holen, mehr Lebendigkeit aus der Komposition herauszuholen als seitens des Komponisten evtl. drin ist und sie einem breiten Publikum nahe zu bringen. Das kommt an.
Nach der Pause „setzte er“ in seiner Experimentierfreudigkeit mit „Recomposed Vivaldi – The Four Seasons“ von Max Richter (*1966) „noch eins drauf“. Zunächst erschien nur das Orchester, der „Meister“ ließ sich Zeit. Er hatte auch hier den Solopart, den Richter in seiner, mit dem Computer gestalteten, Komposition voller Respekt nahe am originalen Notentext ließ. Ohne Pauken und Trompeten, nur mit Streichern, Harfe und Cembalo blieb er sehr nahe am Original, machte es nur etwas „flippiger“, „frischte“ auf unverkrampfte Weise seine ermüdete „Liebesbeziehung“ zu der sehr beliebten und deshalb sattsam bekannten und stark strapazierten Komposition durch behutsame Eingriffen im Detail mit leichter „Melancholisierung“ bis hin zu radikaleren Transformationen, asymmetrischer Rhythmisierung und stärkere Dynamik auf, verwandelte die barocke Partitur in elektronisches Klangdesign mit Einflüssen aus sanfter Ambient-Musik und Postrock und „übersetzte“ es damit in die Gegenwart.
Hope stand ständig unter “Volldampf”, „badete“ sich und das Publikum in Vitalität, stand ständig “unter Strom” und enthusiasmierte das begeisterte Publikum, das ihn erst nach 3 Zugaben entließ: noch einmal Vivaldi mit Orchester, dann als Solist mit einem Satz für Violine solo des fast ganz vergessenen Johann Paul von Westhoff (1656–1705), einem gebürtigen Dresdner, der seinerzeit als bedeutender Komponist galt, und schließlich – halb schon im Gehen sehr eindeutig mit, vom Publikum mit Heiterkeit aufgenommenen „Guten Abend, gute Nacht“ und anschließendem Abgang, dem das Orchester folgte – Klassik – einmal anders, eine ansprechende „Klassik-Show“ als „neue Konzertform“.
Ingrid Gerk