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WÜRZBURG: ALESSANDRO NELL’INDIE von Baldassare Galuppi. Premiere

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WÜRZBURG: ALESSANDRO NELL’INDIE von Baldassare Galuppi. PREMIERE am 20.6. (Werner Häußner)

 Am Schluss kracht es gewaltig. Eine Explosion, Dunkelheit, Stille. Cleofide, indische Königin, verzweifelt über den Tod ihres Geliebten und Gatten Poro, hat sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft gejagt.

Dann hebt sich der Vorhang wieder – und das Finale von Baldassare Galuppis „Alessandro nell‘ Indie setzt erneut ein, diesmal aber zum „lieto fine“: Alexander verzeiht, alle preisen die Größe und Milde des Eroberers.

Mit diesem inzwischen oft genug ausprobierten Effekt bricht Regisseur François de Carpentries die Linearität der Handlung auf und stellt das gezwungen wirkende glückliche Ende der barocken Konvention in Frage. Besonders originell ist das nicht, im Bezugsrahmen der Inszenierung von Galuppis vergessener Oper am Würzburger Mainfrankentheater aber stimmt der Knalleffekt. Cleofide sucht den Tod, und sie bereitet ihn sich so, wie sie gelebt hat: ohne Rücksicht auf ihre Umwelt.

„Alessandro nell’Indie“ ist eines der viel vertonten Libretti Pietro Metastasios: Zwischen 1730 und 1824 lassen sich rund 80 Kompositionen nachweisen, darunter von Größen wie Niccolò Jomelli, Christoph Willibald Gluck, Johann Christian Bach, Domenico Cimarosa, Luigi Cherubini und – zuletzt – Giovanni Pacini in einer Ära, in der längst die moderne Oper Rossinis triumphierte. Galuppi selbst hat drei Versionen geschaffen. Der Würzburger Ausgrabung liegt das Material der Münchner Aufführung von 1755 zugrunde, aus der Quelle übertragen und bearbeitet von dem in Würzburg lebenden Musikwissenschaftler Reinhard Wiesend. Er war schon durch seinen Lehrer Wolfgang Osthoff auf das Werk aufmerksam geworden, hat 1981 über die Opera seria von Baldassare Galuppi promoviert und sich immer wieder in Aufsätzen dem venezianischen Komponisten gewidmet. Galuppi, 1706 in Burano in der Lagune geboren, wurde als „Il Buranello“ bekannt, nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit Carlo Goldoni.

Heute kennt man den „Alessandro“-Stoff durch andere Barockopern: Händel verwendete das Libretto für seinen 1731 uraufgeführten „Poro“, Johann Adolph Hasse im gleichen Jahr für „Cleofide“ – ein erstklassiges Werk, das ab 2005 im Repertoire der Dresdner Staatsoper gepflegt wurde. Und in Mannheim gab es 2008 eine Aufführung der Version von Gian Francesco de Majo.

Erhebliche Konkurrenz für Galuppi also, der sich seine Musik wacker erwehrt: In den von fast fünf auf dreieinviertel Stunden gekürzten Partitur findet sich viel geschickt gemachtes Handwerk, aber auch einige Perlen. Etwa die lange Auseinandersetzung und das Duett zwischen Cleofide und Poro am Ende des ersten Akts: Da umspinnen sich zwei Menschen, die sich emotional sehr nahe stehen, die politisch denken und sich auf Augenhöhe über ihre Werte verständigen müssen. Oder die erregte Arie des Alessandro im ersten Akt „Vil trofeo d’un’alma imbelle“, die seine erste Verunsicherung offenbart. Oder Gleichnisarien wie die des Timagene „O sugli estivi ardori“ und der Erissena „Son confusa pastorella“, unterlegt mit sprechender, lebendiger Musik. Es fallen aber auch hübsche instrumentale Details auf wie die Flöten und Hörner in der Einleitung zu Poros „Se possono tanto due luci vezzose“ oder eine Arie im letzten Akt mit zwei ausdrucksvollen Oboen.

François de Carpentries‘ Inszenierung wirkt zunächst wie eine dieser billigen Aktualisierungen, die fernen Stoffen gerne übergestülpt werden: Ein wenig Kriegs-Atmo mit in den Hintergrund projizierten Panzern in den afghanischen Bergen, ein bisschen Taliban-Folklore in den Kostümen – fertig ist die zeitgenössische Relevanz. So einfach haben es sich der französische Regisseur und seine Bühnenausstatterin Karine Van Hercke nicht gemacht. Sie verwenden zwar die medial verbreiteten Bilder aus der Konfliktregion des mittleren Ostens, nutzen sie aber eher zur Charakterisierung der Personen als zur Darstellung eines Schauplatzes. Das neigt zum Klischee: Poro etwa, der Gegenspieler Alexanders, steckt in der Kluft eines afghanischen Clanchefs. Seine extreme Eifersucht korrespondiert mit emotionalen Überreaktionen, wie wir sie aus Fernsehbildern empörter Muslime kennen. Doch das Klischee wird eher genutzt, um einen Mann, der sogar bereit ist, seine Frau zu töten, damit sie nicht in Feindeshand falle, unserer Gegenwart nahe zu rücken.

Ähnlich verfahren Van Hercke und de Carpentries mit der Figur des Alessandro: Sie greifen das „sunny boy“ – Potenzial des Sängers Joshua Whitener auf und stilisieren ihn näher an die Show als an das reale Leben eines Kriegsführers. Jackett in (unschuldigem) Weiß, Stiefeletten, zur Anbiederung an die aus politischem Kalkül begehrte Cleofide auch mal Anklänge an die Tracht der Fremden. Doch Alessandro ist nicht nur metrosexuell – im Zelt treibt er’s mit seinem Adjutanten Timagene, was ein kräftiges „Buh“ auslöst –, er ist in seinem hektischen Aktionismus mit einem Handy als ständiger Begleitung auch sehr auf sich selbst beschränkt.

Das entspricht seiner Selbstdarstellung im Libretto: Er komme nach Indien nicht, um fremde Völker zu unterwerfen, sondern um jemanden zu finden, mit dem er sich auf gleichem Niveau messen könne. So von sich selbst überzeugt hätte vielleicht der historische Alexander auch argumentiert – die Motive seines Indien-Feldzugs sind bis heute unklar und werden in solchem Ehrgeiz gesucht –; aber diese Art passt vor allem zum selbstoptimierten Einzelwesen einer Generation, die auf das „Z“ zusteuert. Die „Milde“ am Ende, die Alessandro mit dümmlichem Gelächter verkündet, entspringt keiner humanen Einsicht. Er hat einfach den Spaß verloren: Game over. Mit dem Handy am Ohr eilt der winner zum nächsten Level.

In einer solchen Welt bleiben authentische Charaktere auf der Strecke: Erissena, die Schwester Poros, fasziniert von Alessandro, mit Gewalt begehrt von Timagene. Gandarte, Poros General, hingebungsvoll, treu und glücklos in Erissena verliebt. Im Dreieck der Drahtzieher und Rivalen der Macht und der Selbstbestätigung sind sie kaum mehr als benutzte Figuren. Cleofide, im exotischen Kostüm einer Bollywood-Darstellerin, erweist sich als unerschütterlich Liebende, die ihre Zuneigung zu Poro auch in den Momenten diplomatischer Ranküne und politischen Kalküls nicht vergessen hat. Ein Bewegungschor symbolisiert, was die Handelnden überhaupt nicht interessiert: Während sie ihre Ranküne spinnen, stellen stumme, verschleierte Gestalten Bilder von Vermissten oder Toten auf.

De Carpentries gelingt es mit dem Rückgriff auf die Bildwelt eines aktuellen Konflikts, die ideenträchtigen Dialoge in den Rezitativen Metastasios relevant zu machen. Die eher abstrakt-ideal als Träger von Affekten denn als psychologisch glaubhafte Menschen konzipierten Bühnenpersonen der Oper verortet er in einem heutigen gesellschaftlichen Koordinatensystem, gibt ihnen damit Glaubwürdigkeit.

Auch was die Musik betrifft verlässt man die Würzburger Premiere – sie gehört zum Programm des Mozartfestes in der Stadt – nicht unbefriedigt. Mag sein, dass nicht jede Phrasierung kritisch zu begründen ist; mag sein, dass nicht jeder Tonansatz durch einen Apparat von Quellen und Anmerkungen zu rechtfertigen ist: Das klangliche Ergebnis, das GMD Enrico Calesso den Musikern des Philharmonischen Orchesters in den mehr als drei Stunden hochkonzentrierten Musizierens abgewinnt, ist beachtlich. Im hochgefahrenen Orchestergraben des Mainfrankentheaters wird mit Verve und Eleganz gespielt, der Rhythmus spritzig geschärft, das Tempo flott, aber nicht überhetzt genommen, die Intonation sauber gepflegt, die Balance sorgfältig ausgehört, der Klang transparent gehalten.

Sicher fehlt der schmeichelnd-farbenreiche Klang barocker Blasinstrumente; sicher ließe sich der Streicherklang noch geschmeidiger, noch silbriger, noch kontrastreicher gestalten. Aber das alles spricht nicht dagegen, Barockmusik auch einmal auf modernem Instrumentarium und mit den Möglichkeiten eines Theaterorchesters der Gegenwart zu gestalten. Auf die Musikalität kommt es an – ohne sie verkommt auch die philologische Genauigkeit zur staubig-papierenen Masche. Das ist bei entsprechenden Spezialensembles immer wieder zu erleben.

Und was das Singen betrifft, dürfen auch die Darbietungen maßgeblicher Protagonisten der „Szene“ mit einigen Fragezeichen versehen werden. Denn weder die fiepsige Enge und die flache Tonbildung sogenannter Barockspezialisten entspricht dem Ideal der Gesangsschulen des 18. Jahrhunderts, noch kann die meckernde Falsettfistelei so manches „Sopranisten“ die Faszination der Kastraten wieder erwecken. Dann ist der kraftvolle, gut gestützte Tenor von Joshua Whitener als Alessandro angebrachter, der zwar etwas angespannt phrasiert und bisweilen mit Druck in die Höhe steigt, aber im Ton unanfechtbar und mit Potenzial für Klangfarbe singt. Oder ein schlanker, entspannter Mezzo wie der von Sonja Koppelhuber, die als Erissena einen rund abgedunkelten, wunderschön fließenden Ton produziert.

Oder ein leuchtender, unanfechtbarer Sopran wie der von Silke Evers, die als Cleofide nicht nur eine Arie wie „Se mai turbo il tuo riposo“ ausgeglichen und schön geführt gestaltet, sondern die Worte auch mit Sinn akzentuiert – womit sie ihre Rezitative zu rhetorisch spannungsvoller Deklamation entwickelt. In diesem Punkt zieht der Counter Denis Lakey mit Evers gleich; in seinen Arien bleibt er als Poro jedoch trotz aller Virtuosität bisweilen im Ton grell und im Vibrato zu wenig kontrolliert. Zu Anja Gutgesells schmalem Sopran passt die Partie des Gandarte gut; Maximiliane Schweda gibt als beweglicher, schauspielerisch überzeugender Timagene ein ansprechendes Debüt am Würzburger Theater. Ihr Sopran ist präsent, geschmeidig, aber noch etwas fest sitzend: Mancher Ton wirkt erzwungen statt frei gebildet. Ein Thema, das sich mit zunehmender Routine der jungen Sängerin bei technisch bewusster Weiterbildung schnell erledigen kann.

Wieder einmal hat sich gezeigt: Mit einem passenden Ensemble und einer ambitionierten Regie lässt sich auch ein routiniert gemachtes Werk aus der Blütezeit der Oper im 18. Jahrhundert auf einen Bezug zu heutigen Kontexten abklopfen. De Carpentries hat die Plattitüden aktueller Bebilderung aufgehoben, weil er die inneren Bezüge zur Ideenwelt Metastasios und Galuppis erklären konnte. So bleibt „Alessandro“ in Würzburg nicht im Philologischen oder im aufgeregten Aktualisieren stecken und wirkt alles andere als museal.

Werner Häußner
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