WIEN / Staatsoper:
CARDILLAC von Paul Hindemith
9. Aufführung in dieser Inszenierung
22. Juni 2015
Die Anmerkung versteht sich von selbst, aber sie ist deshalb nicht weniger wahr: „Cardillac“ ist nicht „Tosca“, „Aida“ oder „Zauberflöte“, man kann das Werk nicht jahraus, jahrein viele Male spielen und Publikum dafür finden. Man kann und soll aber Inszenierungen, zumal geglückte, auch nicht wegwerfen – und wenn Sven-Eric Bechtolf an der Staatsoper je etwas geglückt ist, dann wohl (nur) diese Hindemith-Oper.
Man hat sie zur Premiere im Oktober 2010 fünfmal gespielt (damals mit Juha Uusitalo in der Titelrolle), dann noch dreimal im März / April 2012 (mit Markus Marquardt, der sich in Wien nicht so recht durchgesetzt hat) – und nun trat das Werk für die neunte bis elfte „Aufführung in dieser Inszenierung“ an. Und man kann nur sehr erfreut feststellen, dass das Publikumsinteresse groß war – zwar nicht ausverkauft und gestürmt, aber sehr gut besucht.
Es war wohl noch der so seltsam verschwundene, so seltsam vergessene und so seltsam tot geschwiegene (als hätte es ihn nie gegeben) Franz Welser-Möst, der sich für die hundertminütige Erstfassung des Werks entschied, pausenlos durchgespielt, aus einem Guß und in einem Zug. Das hat nichts an Wirkung verloren, auch nicht in der Realisierung durch Michael Boder, der fast immer die Spannung hoch hielt und die (kurzen) orchestralen Zwischenspiele mit dem Orchester genoß. Es muss ja auch für die Musiker interessant sein, mal „etwas anderes“ zu spielen – oder reicht ihnen diesbezüglich „The Tempest“?
Es ist die Inszenierung, die noch immer überzeugt. „Cardillac“ ist ein typisches Werk der zwanziger Jahre mit ihrer Exzentrik, die für uns heute schon Nostalgik ist – und man muss die Geschichte vom Goldschmied, der vom Gold und von seinem Schmuck so besessen war, dass er bis zum Mord nicht davon lassen kann, gar nicht realistisch sehen: Wahrscheinlich würde sie nur verlieren, wenn man psychologisch kleinteilig herumtapste.
Optisch (einmal eine geglückte Glittenberg-Ausstattung!) zwischen Bauhaus hier, dem deutschen Stummfilm dort angesiedelt, schaurig schön verfremdet, hoch ästhetisch grausig, samt Schattenspielen, Nosferatu und dem Bewegungskodex, den der damalige Film vorgab, ist das Gesamtpaket des Abends auch bei erneuter Überprüfung überzeugend gelungen. Eine Inszenierung, der man gerne zusieht, statt am liebsten die Augen zu schließen – wie so oft in der Staatsoper.
Es gab eine ganze Menge neuer Besetzungen. Tomasz Konieczny schwimmt zumindest in Wien auf einer Glückswelle. Schon als Holender ihn als Alberich besetzte, hat er sich beschwert, dass er nicht den Wotan singen darf – nun, er ist sogar Wiens Wotan vom Dienst geworden. Er wünschte sich den Mandryka, er bekam ihn. Und als er in der „Cardillac“-Premiere in der Nebenrolle des Goldhändlers eingesetzt wurde, maulte er nach dem Titelhelden. Und nun ist er Cardillac – und ein höchst überzeugender, in der Ausstrahlung wesentlich dämonischer als der Premierenkollege, ein Besessener, vor dem man sich fürchten kann. In diesem Fall ist auch das Alberich-Timbre, das dieser Sänger wohl nicht los wird, kein Schaden für die Figur – einen Heldenbariton braucht man da nicht, wenn auch eine starke Stimme: Sogar Konieczny, dem es an sich nicht an Kraft mangelt, schien dann im für ihn langen Finale nicht so durchschlagend, wie er sein könnte. Dennoch: Alles in allem eine runde, geglückte Leistung.
Die neue Tochter des neuen Cardillac ist (ganz im Juliane-Banse-Look, die die Premiere sang) Angela Denoke. Ihre Stimme klingt stellenweise so brüchig, als hätte sie die Brünnhilden nicht abgesagt, sondern gesungen – aber lange Jahre Kundry schaden wohl auch ausreichend. (Ihre Gluck’sche Alceste in Madrid vor einem Jahr, eine zeitlang im Internet zugänglich, klang gar nicht gut.) Da ist es natürlich klug, das eher abweichende Repertoire zu singen, wo es auf die Stimmschönheit nicht ankommt, also die Katerina Ismailowa oder eben Hindemith. Da kann man auch mit wackeligen Tönen als eindrucksvoll die Hände ringende quasi Stummfilm-Diva starken Eindruck hinterlassen. (Und mit dem Sprung von der Jenufa zur Küsterin in der nächsten Saison ist sie ja auch auf dem richtigen Weg.)
Neu war auch Wolfgang Bankl, der den Goldhändler von Konieczny übernahm, das Regiekonzept mit allen abgezirkelten Bewegungen glänzend erfüllte und seinen schönen, sonoren Baß hören ließ.
Die Rolle der Dame hat Olga Bezsmertna schon bei der letzten Serie übernommen, sie sieht toll aus (auch mit der grotesken Schminke), lässt stimmlich hier keinen Wunsch offen, hat sich nur noch gar nicht mit der deutschen Artikulation angefreundet. Diese kam scharf und klar von dem ebenso klingenden Tenor von Matthias Klink, der allerdings vom Libretto her samt seiner Dame, deren Kavalier er ist, bald abserviert wird.
Dann übernimmt Herbert Lippert, geradezu als Wüterich gezeichnet, als Offizier das Ruder der weiteren Handlung, und wenn es nicht allzu qualvoll in die Höhen geht, wirkt er durchaus nachdrücklich. In einer Nebenrolle zu Beginn: Alexandru Moisiuc. Ein Sonderlob für den Chor, der glänzend “mitspielte” und hervorragend sang.
Es war ein spannender Abend. Man verlässt ihn zwar ohne Ohrwurm, aber mit hoch zufrieden stellenden Eindrücken.
Renate Wagner