Stuttgart: “COSI FAN TUTTE“ 21.6.2015 (Premiere 31.5.) –Gefühlschaos im Spießbürger-Ambiente
Ob blond, ob braun…. v.l. Mandy Fredrich (Fiordiligi) und Diana Haller (Dorabella). Foto: A.T.Schaefer
Mozarts letzte mit Lorenzo da Ponte geschaffene Oper ist nun wirklich das denkbar zeitloseste Sujet und dürfte somit inzwischen selbst in den Augen der verknöchertsten Traditionalisten nicht mehr zwanghaft ein rokokohaftes Getändel in entsprechender Ausstattung sein. Die Vielschichtigkeit der Charaktere und ihrer Verhaltensweisen wurde mehr und mehr entdeckt und die Spiel-Vorgabe, dass zwei Frauen ihre verkleideten Männer nicht erkennen, zunehmend in Frage gestellt. Dies tut auch der griechische Regisseur Yannis Houvardas, er geht gar so weit Fiordiligi und Dorabella von vornherein als Eingeweihte und ihre Prüfung als Experiment des Spiels der Liebe zu betrachten, wie weit sich Menschen in solchen Situationen treiben und verführen lassen oder eben standhaft bleiben. Wenn die beiden Schwestern bereits beim Abschluss der Wette dabei sind, löst das genauso Irritationen aus wie immer wieder im Ablauf der Handlung anwesende Personen, die libretto- und sinngemäß gar nicht da sein dürften. Dies liegt auch an Herbert Murauers bühnenfüllendem Aufbau zweier durch eine Wendeltreppe miteinander verbundener Etagen, die wiederum in einzelne Wohn- und Schlafzimmer unterteilt sind. Ob dafür das szenische Konzept von Philipp Stölzls Inszenierung der berühmten Verismo-Opernzwillinge bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen Pate gestanden hat?
Das Auge ist so jedenfalls unnötigerweise immer mal wieder durch parallele Vorgänge vom momentanen Zentrum des Geschehens und damit auch von der Aussagekraft der Musik und ihrer Interpreten abgelenkt. Drei Stunden hat Mozart diesem Verwechslungs- und Prüfspiel zur Entfaltung Zeit gegeben – dem bezeichnenderweise vom Schauspiel kommenden Regisseur genügte selbst das nicht, auch die gedanklich das Liebesspiel vorwegnehmende vierminütige Ouvertüre muss dafür herhalten, die sechs Personen in diversen Stellungen zu präsentieren. Dieses fehlende Vertrauen in die Musik hätte ihm Dirigent Sylvain Cambreling als bekennender Liebhaber dieser Oper und von ihrer schillernden Aussagekraft überzeugter Künstler während des Probenprozesses austreiben müssen. Mehr dazu später.
Annäherung zwischen Diana Haller (Dorabella) und Ronan Collett (Guglielmo)
Trotz des veränderten Ausgangspunktes funktioniert das ganz offen gelegte Spiel zwischen den Paaren erstaunlich gut, Turbulenz und Nachdenklichkeit halten sich die Waage. Das Abgründige hinter der oberflächlichen Komödie kommt indes nur phasenweise zum Vorschein, weil so manches billigen Gags geopfert wird. Überraschungsmomente wie das erste Erscheinen der verwandelten Männer oder Despinas in einen Arzt bzw. Notar sind dem Regie-Ansatz geopfert und gehen verloren, weil sie bereits beim Ankleiden zu sehen sind. Warum das Regieteam diese alles andere als traditionelle Sichtweise ausgerechnet in hässlich altbackenem Mobiliar der noch moralisch verklemmten 50er- und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts ansiedelt, bleibt es bei allen sonstigen schlüssigen Erklärungen im Programmheft schuldig. Auch die Kostüme von Anja Rabes bieten Allerwelts-Optik, absolut nichts Originelles für die Paare, auch der klein formierte Staatsopernchor, wie immer fein und prägnant bei Stimme, besteht stellvertretend aus allesamt gleich gewandeten Fiordiligis und Dorabellas. Ganz daneben ist das strenge kleine Schwarze für Despina, die mehr den Eindruck einer Bordellvorsteherin als einer gewitzten Bediensteten erweckt.
All das, was da mit durchaus gutem handwerklichem Können in Szene gesetzt ist, aber nicht durchgehend mit der Qualität von Mozarts erfasster Nähe von Lachen und Weinen Schritt halten kann, erschließt sich durch die musikalische Feinarbeit, die GMD Cambreling mit dem ebenso wach wie beweglich reagierenden Staatsorchester Stuttgart geleistet hat. Wie da Holzbläserläufe einerseits und verhaltene Melismen andererseits ausgekostet, intime Momente nachgelauscht, Unterschwelligkeiten ins rechte Tempomaß gesetzt und alles zu einem großen Ganzen voller Kleinode zusammengebunden wird, macht den Bewunderer dieser Partitur evident. An so manche Schroff- und Grobheiten der musikhistorischen Aufführungspraxis (Streicher, Pauke) dürfte sich das Publikum inzwischen gewohnt haben, sie trugen hier durch die generelle Ausgewogenheit und sonstige Gefühlstiefe der Wiedergabe zu einem erfrischenden Klangbild bei, das im krassen Gegensatz zur abgestandenen Optik der Bühne steht.
Zum Glück konnten einige der Solisten über die ihnen verpasste Blässe hinaus strahlen, ihre Parts mit spielerischem Geschick und in der Mehrzahl niveauvoller Vokalität füllen. Den Damen gewährt der Vortritt:
Mandy Fredrichs Fiordiligi vollzieht die inneren Kämpfe zwischen Treue und neuer Liebe sehr einfühlsam nach, während ihre beiden großen Arien den Atem großer Standhaftigkeit verströmen. Dem technisch einwandfrei durch alle Klippen geführten, trotz Pollen-Ansage frei klingenden und höchst zuverlässig sitzenden Sopran mit gut gefestigter Tiefe und klar ansprechender Höhe fehlt lediglich ein markanteres Timbre wie es ihre Bühnenschwester aufweist. Diana Haller, die es bereits bis zur Cover-Besetzung der „Cenerentola“ an der New Yorker Met gebracht hat, verblendet die Register ihres dunkel und hell spannungsvoll nuancierenden Mezzos mit warm sinnlichem Charakter zu einer Perle edler Mozart-Interpretation und spielt über ihr unvorteilhaftes Kleid hinweg mit herzhaftem Zugriff und dennoch gut dosierter Emotion die schnell schwach werdende Dorabella.
Yuko Kakuta vermag sich über ihr nachteiliges Outfit so weit hinweg zu setzen, als ihr Koloratur geübter Sopran mit leichter Höhe und ausreichend tragfähiger Mittellage genau den Vorgaben und Vorstellungen einer herkömmlichen erstklassigen Stimme mit Soubretten-Qualität entspricht. Gesang und Visuelles driften hier also völlig auseinander.
Von den beiden Offizieren hat Ronan Collett als seine Muskelkraft in ärmelloser Weste zur Schau stellender und auch sonst gerne seine Reize präsentierender Guglielmo die Nase vorn bzw. die selbstverständlichere Präsenz, aber nicht ganz den erwünschten, rund, kernig, aber auch immer ausreichend schmeichelnden Bariton, der mehr der grobkörnigen Sorte mit Tendenz zu dynamischer Übersteuerung ist. Gergely Németi hinkt als Ferrando in der szenischen Überzeugungskraft etwas hinterher, führt stattdessen den kultiviert timbrierten Tenor mit feiner Klinge ins Treffen. Erstaunlicherweise verengt er sich in den Höhen unter etwas zu viel Kraftaufwand, wobei das auch ein Anzeichen bereits entwachsener lyrischer Ideale sind.
Shigeo Ishino schließlich zeichnet den philosophierenden Don Alfonso als oft finsteren und grüblerischen Intellektuellen sowie der dazu passenden Strenge seines mächtigen, über den klassischen Rahmen schon hinausreichenden Bariton.
Am Ende bleiben die Darsteller einerseits lachend befreit, im nächsten Moment geschockt und betroffen zurück. Und ein Publikum, das sich über all die Merkwürdigkeiten und Missverständnisse hinaus viel amüsiert hat und alle Beteiligten mit wenig differenzierter Applaus-Vehemenz bedankt.
Udo Klebes