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POZNAN / Teatr Wielki: HALKA von Stanislaw Moniuszko. Ja, so stellt man sich lebendige Oper vor! Premiere

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POZNAN Teatr Wielki, Halka, 26. Juni 2015

Ja, so stellt man sich lebendige Oper vor!

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Foto: Teatr Wielki/ Poznan

 Renata Borowska-Juszczyńska ist eine mutige Frau. Die Direktorin des Teatr Wielki im polnischen Poznan sucht seit ihrer Bestellung 2012 immer wieder neue Wege, um das Genre “Oper” in neue Bahnen zu lenken und attraktiv zu gestalten. Vor einiger Zeit ging es bei Wagners Parsifal zwar gründlich schief, als die dänische Regiegruppe “Hotel Pro Forma” (mit Kirsten Dehlholm) als Leading Team am Werk war. Und auch diesmal wählte sie einen riskanten Weg. Denn ausgerechnet die Oper Halka, ein Werk des in Polen so hochverehrten Stanisław Moniuszko (1819 – 1872), der als Vater der polnischen Nationaloper gilt und unter anderem auf einer Banknote abgebildet ist, sollte ebenfalls in neuen Kleidern auf die Bühne gebracht werden. Keine leichte Aufgabe, denn Halka gilt in Polen quasi als DIE Nationaloper schlechthin, an der man sich lieber nicht so leicht vergreifen sollte. Das spürte man auch in den Postings auf den Internet-Seiten der Social Medias, wo bereits vor der Premiere die ersten “Vorverurteilungen” zu lesen waren.

 Als Mitteleuropäer reiste man aber eher entspannt an. Hierzulande kennt man das Werk eigentlich kaum, zuletzt wurde Halka szenisch Mitte der 1960iger Jahre an der Wiener Volksoper aufgeführt (damals mit Ernst Gutstein und der erst unlängst verstorbenen Christiane Sorell in den Hauptrollen), am großen Haus weist die Chronik das Jahr 1892 (!) als Wiener Uraufführungsjahr aus. In Polen selbst feierte die nunmehr aufgeführte 4-Akte-Fassung nach zehn Jahren Überarbeitung im Jahr 1858 Premiere.

 Das Libretto von Włodzimierz Wolski war stark durch den Bauernaufstand in Galizien beeinflusst und eckte an der damals russischen Zensur an, für die der sozialkritische Aspekt des Werkes allzu viel politische Sprengkraft barg. Der Plot ist rasch erzählt und spielt original im 18. Jahrhundert: Halka, eine Waisin aus einem Bergbauerndorf, ist in den gutbürgerlichen Edelmann Janusz verliebt, der eine Affaire mit ihr hat und von dem sie ein Kind erwartet. Als aber die bevorstehende Hochzeit mit der standesgemäßen Zofia gefeiert wird und Halka das Geschehen beobachtet, beginnt das Ungemach. Janusz trifft keine klare Entscheidung und wurstelt so weiter wie bisher. Jontek hingegen – der aus dem gleichen Dorf wie Halka stammt und der auch in sie verliebt ist – will ihr die Augen öffnen, aber vergeblich. Bei der Hochzeit von Janusz und Zofia erwägt Halka zuerst Rache zu nehmen, wählt aber – nachdem sie ihr Kind verloren hatte – dann doch den Freitod. Die Hochzeitsgesellschaft tanzt weiter als sei nichts geschehen.

 Mehr als die übliche Liebesgeschichte interessierte den Regisseur Paweł Passini aber die Zugehörigkeit der Akteure zur jeweiligen Gesellschaftsschicht, das gleichzeitige Außenseitertum von Halka und Janusz und das Aufeinanderprallen der beiden unterschiedlichen Welten. Passinis Herangehensweise wirkt archetypisch, die Personenführung der Sänger bleibt dabei ein wenig im Hintergrund, was aber bei den starken Bildern, die er auf der Bühne zeichnet, kaum stört.

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Foto: Teatr Wielki Poznan

 Musikalisch besticht das bei uns so wenig bekannte Werk mit enormer Melodienvielfalt: Slawische Einflüsse, russische Weisen, Folklore-Lieder, Donizetti, Mendelssohn, Lortzing, ja manchmal scheint sogar Wagner durchzuschimmern. Jedenfalls effektvoll genug, sodass Halka auch unlängst in Kaiserslautern zur Aufführung gelangte. Die Kritiken sprachen dort von einer eher biederen und kitschigen Inszenierung. Davon war in Poznan aber schon gar nichts zu spüren. Zuzanna Srebrna hatte ein schlichtes einfaches Bühnenbild gewählt mit schrägen Flächen und angedeuteten Fluchtlinien, mit viel Licht und Video-Projektionen (Maria Porzyc). Weronyka Pelczyńska sorgte ihrerseits für eine Ballett-Choreographie, die eigens hervorgehoben werden muss: Kein volkstümliches Gehopse, sondern witzige, groteske Bewegungen, mit denen die Abgehobenheit der herrschenden Klasse in der Polonaise karikiert wurde bzw. eine total beeindruckende Mazurka der Bergbauern, die mit Tierköpfen ihre Naturverbundenheit ausdrückten.

 Und natürlich hatte auch Generalmusikdirektor Gabriel Chmura einen großen Anteil am Publikumserfolg. Wie er immer wieder die Zügel anzog und nie ins verlockende larmoyante Schleppen kam, das hatte schon Klasse. Das Orchester folgte ihm willig und ließ auch mit Sololeistungen (wie etwa das virtuose, pastose Violoncello) aufhorchen. Der voluminöse Chor war bei Mariusz Otto in den besten Händen und man spürte bei jeder gesungenen Silbe, dass diese Oper in Polen jedermann von vorne bis hinten auswendig kennt. Apropos Sprache: Moniuszko beweist, dass seine Landessprache doch nicht so unsingbar ist, wie es manchmal den Anschein hat. Ja im Gegenteil, das klang alles unheimlich spannend, aufwühlend, romantisch und packend. Zum Verständnis trugen die englischen Übertitel entscheidend bei.

 Nicht ganz so geglückt schienen hingegen die ersten 20 Minuten, als die Ouvertüre zwar bei geschlossenem Vorhang gespielt wurde, die offenen Türen zu den Pausenräumen aber von der knalligen Musik unfreiwillig ablenkten: In den Foyers promenierten nämlich die Mitglieder von Chor und Ballett in ihren Fracks, die Solisten saßen im Parkett und in den Logen. Auch wenn damit klar war, dass die “Herrschenden” quasi unter uns waren, so trübte es doch den musikalischen Fokus. Bewundern musste man allerdings, wie Chmura in diesem Tohuwabohu die Fäden zwischen Orchester und Sängern auch in den Ensembles zusammenhielt.

 In den übrigen Szenen machte Passini aber nichts falsch. Die Darstellung der Abgeschlossenheit der Bergbauern in ihren wunderbaren zeitlosen Kostümen erfuhr durch sein besonderes Geschick bei Massenszenen zusätzliche Ausdruckskraft. Die als “Freeclimber” karikierten Bauern an den steilen Bergwänden brachten auch grotesk-komische Elemente ins Spiel, die man auch bei manch anderer Gelegenheit spürte.

 Was man aber gar nicht erwarten durfte, das war die Qualität der Sängerriege! Magdalena Molendowska sang die Titelpartie mit einem strahlenden Sopran, der einen metallischen Kern besitzt, lyrisch zart klingen konnte, und auch in der an die Lucia erinnernden Wahnsinnsszene bei aller Dramatik nie überfordert wirkte. Magdalena Wilczyńska-Goś meisterte die für einen Mezzo relativ hoch angesetzte Rolle der Zofia mühelos, allzu viel Persönlichkeit konnte sie librettobedingt nicht einbringen.

 Bartłomiej Misiuda (2007 Finalist des Belvedere-Gesangswettbewerbs) gestaltete den zwischen zwei Frauen stehenden Janusz eher zurückhaltend, kein lautes Macho-Gepolter, fast naiv schlitterte er in die Tragödie. Das Gegenteil davon sah man bei Paweł Skałuba, der als Janusz’ Leibeigener Jontek alles daran setzte Halka die Aigen zu öffnen. Anfangs etwas schaumgebremst kam sein baritonal gefärbter Tenor, der schon ins Heldenfach reicht, später voll auf Touren und der Extrajubel des Auditoriums war berechtigt. Für mich persönlich hinterließ der schwarz Bass des Rafał Korpik den nachhaltigsten Eindruck: Sein Stolnik (der Vater von Janusz) zeichnete einen würdigen Vertreter der “Upper Class”. Und auch der routinierte

Andrzej Ogórkiewicz bewies als Stolniks Vertrauter Dziemba, dass ein Haus wie Poznan bis in die kleinste Rolle über ein starkes Ensemble verfügt. Eine anwesende US-Kollegin berichtete von der Generalprobe, dass auch die “Zweitbesetzung” auf der gleichen Qualitätsstufe anzusiedeln sei, wie die erste Garde!

 Abschließend muss noch auf ein Kuriosum hingewiesen werden, das bei den seitlichen Videoprojektionen des Schlussbildes auffiel. Hier sah man nämlich Filmszenen, die in Haiti aufgenommen wurden und offenbar die Oper in einer dortigen Open-Air-Aufführung zeigen. Beim Lesen des Pressematerials wurde ich dann schlauer. Diese Aufnahmen stammen von einem Projekt, bei dem Halka in Haiti – genau genommen in der Stadt Cazale – aufgeführt wurde. Wie kam man auf Haiti? Soldaten der Polnischen Legionen wurden 1805 von Napoleon dorthin entsandt, wandten sich aber später gegen die französischen Kolonialherren und unterstützten den Freiheitskampf. Als Dank erhielten sie Grundstücke bei Cazale und gelten heute noch als “Le Poloné” mit polnischen Wurzeln und entsprechendem Heimatgefühl. Dieses Kunstprojekt, an dem die Solisten aus Poznan auch teilnahmen, wurde heuer bei der Biennale Venedigs als Beitrag filmisch präsentiert.

 Zurück nach Westpolen, wo das Publikum nach 2 ½ Stunden einhellig jubelte. Für mich ein wirklich verdienter Erfolg des gesamten Teams, denn die oberste Prämisse an eine Oper ist für mich immer, dass sie alles sein darf, aber nur nicht fad. Und an diesem Abend gab es keine einzige Minute Langeweile, was heute bei Opernbesuchen nur mehr selten der Fall ist.

 Ernst Kopica

 

 

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