Zürich: Elektra – Wiederaufnahme 28.6. 2015
Evelyn Herlitzius – die Elektra unserer Tage
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Evelyn Herlitzius (Elektra). Foto: Judith Schlosser)
Die bereits einige Jahresringe aufweisende Elektra-Inszenierung von Martin Kusej (Premiere 2003) wird mit einer in den meisten Partien neu besetzten Sängerriege (für zwei Folgeaufführungen und drei im September, dann mit Waltraud Meier als Klytämnestra) wiederaufgenommen. Als Energiezentrum bot Evelyn Herlitzius eine wahrhaft fulminante Leistung als Titelrollenträgerin. Sie war stimmlich bestens disponiert und legte sich von der ersten Minute an voll ins Zeug. Das ist zuerst mal die rein gesangliche Leistung zu würdigen: von der musikalischen Deutlichkeit in Intonation und Aussprache ist man schon mal hingerissen. Alle exponierten Spitzentöne – und deren gibt es viele in dieser Oper – katapultierte die Herlitzius übers mitunter mehr als laut aufspielende Orchester der Philharmonia Zürich. Und ich verstehe eigentlich nicht, warum die Strauss’sche Partitur immer als dröhnend und Klangwalze erklingen muss. Natürlich gab es auch die verhaltenen Stellen (Szene Klytämnestra, Erkennungsszene mit Orest, Schwesterndialog), aber sonst war es in dem nicht allzu grossen Opernhaus zeitweise ohrenbetäubend laut. Für Evelyn Herlitzius war dies allerdings kein Problem. Wie sie es schafft, diese Mordspartie in einer solchen unermüdlichen stimmlichen Qualität zu meistern, ist ein Phänomen. Dazu kommt ihre schauspielerische Gestaltung, die sie mit einer unglaublichen Energie angeht, die nicht zuletzt auch ihre Ausbildung als Tänzerin verrät, wenn sie leichtfüssig und von schlanker Gestalt über die Bühne fegt. Als ihre Schwester war – leider selten am hiesigen Opernhaus – wieder die wunderbare Emily Magee zu hören, die an reiner Stimmschönheit wohl die Königin des Abends war. Dazu kommt ihre Erscheinung als liebreizende Chrysothemis. Warum sie allerdings als Mutter Gottes ihren ersten und letzten Auftritt in dieser Inszenierung haben muss, ist mir ein Rätsel. Neben einigen andern Unverständlichkeiten gibt es aber auch wieder Momente von grosser Magie. So wenn sich das Kommen von Orest ankündigt, das Licht (Jürgen Hoffmann) sich verändert und Sand herniederrieselt (Bühnenbild: Rolf Glittenberg). Oder auch die Szene der Klytämnestra, die von der Opern-Legende Hanna Schwarz beklemmend und mit noch erstaunlichen stimmlichen Mitteln gestaltet wird.
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Evelyn Herlitzius (Elektra) mit Christoph Fischesser (Orest). Foto: Judith Schlosser
Als Orest sang Christof Fischesser einen schön bass-abgerundeten Orest, blieb aber schauspielerisch ohne Individualität. Dagegen trumpfte Michael Laurenz als Aegisth mit seinem prononcierten Charaktertenor auf, rief aber mehr, als dass er sang. Reinhard Mayr sang mit ein paar schönen Tönen den Pfleger des Orest. Das Mägde-Quintett war adäquat mit Judit Kutasi, Julia Riley, Irène Friedli, Sen Guo und Ivana Rusko (5. Magd) besetzt, was ebenso für Marion Ammann als Aufseherin galt, in die in wenigen Takten ihrer Partie auf ihre schöne Stimme aufmerksam machte (andernorts singt sie die grossen dramatischen Partien!). Als Vertraute hörten wir Shelley Jackson, Alexandra Tarniceru als Schleppträgerin, Iain Milne als jungen und Bastian Thomas Kohl als alten Diener. Lothar Koenigs dirigierte souverän, disponierte gut die dramaturgische Architektur der Partitur und liess nichts an Spannung des dramatischen Geschehens vermissen. Aber Vieles war einfach zu laut und dröhnend und auch zu wenig differenziert im Klang. Die Philharmonia spielte nicht ganz auf ihrer sonstigen Höhe – ist ja auch eine vertrackte Partitur –, war aber im grossen Ganzen höchst akzeptabel. Die wenigen Chor-Einsätze aus dem Off hatte Ernst Raffelsberger einstudiert. Die Statisten haben in dieser Inszenierung viel zu tun, in diesem Hinterhof des Atriden-Palasts, dem Haus des Verbrechens und der verlorenen Scham, lenkten aber oft von den Interaktionen der Protagonisten ab. Angesichts der genialen Partitur von Richard Strauss kann man einige Ärgerlichkeiten dieser Inszenierung vergessen (bspw. Auftritt der Samba-Truppe am Schluss der Oper!), aber schliesslich gehen wir ja der Musik und der Sänger wegen, zumal sie so fabelhaft sind, in die Oper.
John H. Mueller