Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

DRESDEN/ Semperoper: 11. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE mit Jurowski/ Kremer

$
0
0

Dresden / Semperoper: 11. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT VLADIMIR JUROWSKI UND GIDON KREMER – 30.6.2015

 Allen drei, im Konzert aufgeführten, Werken war nicht nur gemeinsam, dass sie von russischen Komponisten komponiert und noch nie in einem Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden aufgeführt wurden, sondern vor allem die spirituelle Suche, worauf der Dirigent des Abends, Vladimir Jurowski, in einem Einführungsvortrag hinwies.

 In ihrem „Offertorium“, Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 (in einem Satz), dem Ausnahmegeiger Gidon Kremer gewidmet und von ihm uraufgeführt, sucht Sofia Gubaidulina, Capell-Compositrice dieser Saison ganz für sich „im stillen Kämmerlein“ nach dem Sinn des Lebens. In ihrer Komposition nutzt sie das „königliche Thema“ Friedrichs II. in J. S. Bachs „Musikalischem Opfer“, das sie im Werk, des von ihr verehrten, Anton Webern kennengelernt hat, als Hauptgegenstand ihrer Komposition, variiert es, reduziert es successive jeweils um 1 Ton, bis nur noch ein einziger übrigbleibt und später wieder im „Krebsgang“ zu diesem Thema aufgebaut wird, als christliches Symbol für Kreuzigung und Auferstehung.

 Die Solo-Violine wird zum umher irrenden Ton inmitten des Orchesters, von Kremer und der Kapelle in einzigartiger Weise realisiert und u. a. mit schönen Passagen von Solo-Cello und Solo-Bratsche ergänzt. Die Pauke setzte sehr genau und im richtigen Maß in einem großen Crescendo die besonderen Akzente und behielt selbst bei langem und lautem Paukenwirbel ihren guten „Klang“. In ansprechenden tonalen Passagen entstanden interessante Klangwirkungen, mitunter wie Geisterstimmen.

 Kremer verstand es, die starken Crescendi der Violine so zu spielen, dass sie dennoch nicht wehtaten, aber umso eindringlicher wirkten. In dem ausgiebigen, von ihm mit raffinierter Technik und sehr gutem, klingendem Ton gespielten Solo wurde einmal mehr sein perfektes Violinspiel mit seinen besonderen geigerischen Fähigkeiten erlebbar.

 Die, sich sonst nur in modernen Kompositionstechniken bewegende Gubaidulina, wagte in ihrem „Offertorium“ als Besonderheit zum Abschluss einen sehr melodischen orthodoxen Choral, den Kremer wie eine exponierte Stimme des Orchesters weihevoll und beseelt zu Gehör brachte und in den sich das Orchester wie Glockengeläut mischte. Mit einem letzten, lange ausgehaltenen Geigenton in sanftem Decrescendo ließ Kremer dieses Werk ausklingen – und lange noch nachklingen.

 Das begeisterte Publikum entließ ihn erst nach einer Zugabe, dem mit allen seinen geigerischen Fähigkeiten und mit Hingabe gespielten „Requiem für die Ukraine“ von Igor Loboda, das er „für alle Opfer der Ukraine“ spielte.

 Als erster Russe wagte der im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannte Sergej Tanejew (1856-1915), Gründer des Moskauer Konservatoriums und Verehrer der europäischen Alten Musik von Händel und der Zeit davor, einen geistlichen Inhalt in einem weltlichen Werk zu bringen. Bis dahin gab es eine strikte Trennung. In der orthodoxen Kirche durfte nur gesungen werden. Instrumente gehörten in weltliche Kompositionen. Zum 100. Todestag Tanejews führten der, von Jörn Hinnerk Andresen sehr sorgfältig und mit Werkverständnis einstudierte Sächsische Staatsopernchor und die Sächsische Staatskapelle die dreisätzige Kantate für gemischten Chor und Orchester (op. 1) “Johannes Damascenus“ auf, die als „Russisches Requiem“ gilt.

 Orchester und Chor ergänzten sich in dieser, spätromantischen, vom russisch-orthodoxen Glauben geprägten, Kantate gegenseitig, „verschmolzen“ zu homogenem Klang und wurden der russischen Mentalität mit ihrem inbrünstigen Chorgesang und großen Emotionen, aber auch der europäischen Orientierung des Werkes in schöner Weise gerecht, wobei selbst in Forte-Passagen der gute Klang nicht verlorenging, denn „laut ist nicht gleich laut“. Unter Jurowskis umsichtiger Leitung entstand ein in sich geschlossenes Gesamt-Klangbild. Chor und Orchester trafen die zum gewaltigen neigende Forte-Mentalität und gaben sie sehr ansprechend wieder, wobei auch hier wieder ein sehr feiner, leiser Ausklang, dieses Mal vom Chor, für einen entsprechenden Nachklang sorgte.

 Mit Tanejew verband Alexander Skrjabin (1871-1915) nicht nur ein enges Lehrer-Schüler-Verhältnis, sie starben auch im gleichen Jahr, weshalb in diesem Konzert auch des 100. Todestages Skrjabins mit dessen „Symphonischer Dichtung für großes Orchester und Klavier, mit Orgel, gemischten Chor und Farbenklavier“ (op. 60) „Promethée. Le poème du feu“ gedacht wurde, einem Schlüsselwerk des 20. Jh., in dem die tonalen Beziehungen endgültig aufgelöst werden und der Weg eingeschlagen wird, der später von Olivier Messiaen aufgenommen wurde.

 In einer Zeit, wo Musik und Kunst zum Ersatz für Religion wurden, benutzte Skrjabin Licht und Farbe für ein ihm vorschwebendes „Gesamtkunstwerk“, ähnlich wie es Richard Wagner mit Bühnenzauber und Bühnentechnik in Bayreuth angestrebt hatte, nur in einem anderen Stil. Die „Feuersymbolik“ gewann eine zentrale Rolle. Skrjabin ging es in dem ihm vorschwebenden „Mysterienspiel“ für „7 Tage im Himalaya“ mit einem riesigen Aufführungsapparat (ohne Publikum) um das Universum, das verbrennen sollte, um neu zu erstehen. Ihm erschien es als ein freudiger Akt, aber er starb ganz trivial an einer Blutvergiftung, Tanejew, sein Lehrer holte sich bei Skrjabins Beerdigung eine Erkältung und starb 2 Monate später an Lungenentzündung.

 Nach größeren Umbauten konnte Skjabins monumentales Werk mit großem Orchester, Flügel, 2 Harfen u. a. beginnen. Wegen der hohen Außentemperaturen von über 30 °C, vielleicht auch wegen des bevorstehenden „Kraftaktes“, hatten Dirigent, Musiker und Chor „Marscherleichterung“ im weißen Hemd gewählt. Nach Skrjabins Vorstellungen sollte die Musik auch in Farben umgesetzt werden. In abgestimmtem Lichtdesign (Fabio Antoci) wurden Bühnen-Konzertkulisse, Ränge und Decke des Zuschauerraumes in wechselnde Farbkombinationen getaucht, meist in den Farben weiß-gelb, weiß-hellrot, gelb-rot und leuchtend rot, was eher einer Laser-Show glich. Nicht selten wurden zu sehr unterschiedlichen Situationen, Passagen und Stimmungen der Musik gleiche und ähnliche Farbkombinationen gewählt.

 Es war eine Möglichkeit, die strenge Konzert-Atmosphäre aufzulockern und neue Wege zu beschreiten, wenn auch zu einer wirklichen geistigen Umsetzung der Musik in Farben noch ein weiter Weg sein dürfte. Es war ohnehin ein Widerspruch zwischen der historisierenden Architektur der Semperoper in ihrer Farbigkeit und dem zusätzlichen Anstrahlen in einer ganz anderen „Stilrichtung“. Obwohl die Skrjabin vorschwebende „Endzeitstimmung“ damit noch nicht unbedingt assoziiert werden konnte, war es doch ein eindrucksvoller Versuch, mit dem Werk und seinen Besonderheiten bekannt zu machen und den Horizont der Musikliteratur auch in dieser Hinsicht praktisch zu erweitern.

 Ingrid Gerk

 

Diese Seite drucken


Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>