Live aus der English National Opera “Coliseum” London: “CARMEN ALS BLONDES SEXSYMBOL“ – 1.7.2015
Foto: Coliseum
Nach den Vorstellungen des „Set-Designers“ Calixto Bleito scheint es in Bizets Oper „Carmen“ vor allem um Gewalt und Sex – Sex und Gewalt zu gehen. Dazwischen spielt sich die „übrige“ Opernhandlung nach dem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy ab, die er so etwa in die 50er Jahre im Westen Deutschlands oder – wegen der Tattoos und manch flippigem Outfit (Mercé Paloma) auch in die Jetztzeit, in der die 50er wieder „in“ sind, verlegte.
Die Bühne wurde – außer mit einem alten Mecedes im Mittelpunkt, in, auf, neben und unter dem sich vieles abspielte, und einigen anderen „Oldtimern“ sowie einem Campingstuhl und einigen Silhouetten im Wesentlichen mit Licht gestaltet (Lighting Designer: Bruno Post), letzteres so gekonnt, dass man nicht viel mehr vermisste.
Carmen war blond und schwerlich als Zigeunerin zu erkennen, aber ihre Verführungskünste waren mindestens so stark wie die der „originalen“ Carmen. Das Ganze spielte ohnehin nicht in Spanien. Justina Gringyte war dennoch eine von Anfang bis zum bitteren Ende „berauschende“ Carmen, die bei allen verführerischen Posen auch noch sehr gut sang. Sie war eher ein „blondes Gift“, aber ihre Gesangskünste waren bei all den wirklich verführerisch wirkenden Gesten und fast sportlichen Aktivitäten mehr als bewundernswert. Während der gesamten Vorstellung stand sie im Mittelpunkt und war sowohl in ihrem faszinierenden Spiel als auch in musikalischer Hinsicht immer präsent und in „Hochform“. Ihr konnte man getrost glauben, dass ihr alle Männer „zu Füßen lagen“.
Ihre Gegenspielerin Micaela fand in Eleanor Dennis eine beeindruckende Vertreterin, deren wunderbar ausdrucks- und seelenvolle Stimme und gute Gesangstechnik sich über ihr ausgeflipptes Kostüm, obwohl sie eigentlich als schüchternes „Mädchen vom Lande“ in die ihr fremde Stadt und später zu den Schmugglern kommt, und ihr von der Regie bestimmtes „männertolles“ Verhalten erhob und trotzdem eine musikalisch sehr beeindruckende Leistung auf die Bühne zauberte, die man nicht so schnell vergisst.
Der zwischen beiden Frauen schwankende Don José alias Eric Cutler stand beiden auch mit seinem Gesang und in seiner Erscheinung in nichts nach. Ebenso konnte sich sein Gegenspieler Don Excamillo alias Leigh Melrose sehen und hören lassen. Es war erstaunlich, welch gute gesangliche Leistungen an diesem Opernhaus gleich bei allen vier Protagonisten zu finden waren, die – auch ohne die ganz großen Stars wie im Royal Opera House – in musikalischer Hinsicht eine sehr eindrucksvolle Aufführung zustande kommen ließen.
Überhaupt gab es bei den Hauptdarstellern bei aller geforderten „Sportlichkeit“ nur sehr gute gesangliche Leistungen, und, was leider immer seltener wird, ausgezeichnete Artikulation und Textverständlichkeit. Durch ihre Gesangsleistungen stand man dann auch Bühnenbild, Kostümen und Regie wohlwollend gegenüber und war mit der Inszenierung, bei der weitere „dekorativ“ auflockernde, aber für die Handlung nicht unbedingt erforderliche Gestalten wie ein Afrikaner, ein Kind und ein Tänzer (Choreografer: Francesca Jaynes) hinzugefügt waren, „versöhnt“.
Die weiteren Rollen waren mit Rhian Lois (Frasquita), Clare Presland (Mercédes), George Humphreys (Moralés) und Geoffrey Dolton (Dancairo) ebenfalls typgerecht und mit guten Sängern, die ihre Rollen glaubwürdig gestalteten, besetzt.
Der Chor der Zigarettenarbeiterinnen und Soldaten und der Kinderchor, dessen Mitglieder schon sehr professionell auftraten, konnten sich ebenfalls sehen und hören lassen.
Ein großes Lob gebührt auch dem Orchester und seinem Dirigenten Sir Richard Armstrong, der das richtige Maß an Tempo, Lautstärke und „Feeling“ für Bizets Musik hatte und eine gute musikalische Basis für die Aufführung aufbaute.
Ingrid Gerk