August Schmölzer (Fotos: Renate Wagner)
NÖ Theaterfest / Reichenau / Großer Saal:
DER ALPENKÖNIG UND DER MENSCHENFEIND von Ferdinand Raimund
Premiere: 4. Juli 2015,
besucht wurde die Medien-Hauptprobe
Von allen Raimund-Stücken hat dieses die Nachwelt am meisten interessiert: Zwar steht es, historisch betrachtet, in einer langen Tradition des „Besserungsstücks“, mit dem man von der Bretterbühne herab einem Wiener Vorstadt-Publikum den moralischen Zeigefinger erhob. Aber Raimunds Genialität hat in der Geschichte des Menschenfeindes Rappelkopf (und der kann es wahrlich mit dem Misanthrop des Molière aufnehmen, übertrifft ihn in seinem Wahn noch) die Geschichte einer Therapie geschrieben: Ein manischer Egozentriker, unfähig, über die eigene Nasenspitze hinaus zu sehen, wird gezwungen, sich selbst zuzuschauen, sich also mit den Augen der anderen zu sehen. Das ist verdammt heilsam (auch wenn es einem im „wahren Leben“ passiert)…
Wo ist für einen Regisseur heutzutage der Spagat zwischen Raimund und dem Dr. Sigmund Freud, der gewissermaßen unsere Referenz-Figur zu dem Stück ist? Nun, wir sind in Reichenau, hier ist „Werktreue“ (im weitesten Sinn, sprich: zumindest keine groben Experimente) konzeptionell und nun schon über die Jahre konstitutionell. Michael Gampe muss also auf das Stück vertrauen, was ja auch kein Fehler ist.
Freilich, mit Gesangsauftritten zu Beginn kann man leicht befremden, aber wenn die Geschichte in die – na, sagen wir ruhig – Tragikkomödie einsteigt, erst eine gequälte Familie und dann den Quäler zeigt, kommt man mit Raimunds Psychologie schon zurecht. Das Liebespaar darf stürmisch sein (Alina Fritsch und Florian Graf finden da zu einer Art herziger Natürlichkeit), aber die Diener sind rescher und griffiger als sonst: Johanna Arrouas gibt kein hüftenwackelnd kokettes, sondern sehr erdverbundenes, kluges Kammermädchen Malchen, und Nicolaus Hagg macht aus dem Habakuk eine echte Studie, aus seiner Manie („Ich war zwei Jahre in Paris“) fast einen Krankheitsfall. Schade nur, dass die Rappelkopf-Gattin (Emese Fay) gar keine Farbe und kein Quentchen Humor zur Geschichte beisteuern kann. Ihrem Bruder Silberkern hat man die Rolle so sehr gestutzt, dass Christoph Zadra vermutlich nur wegen der Gage hier dabei ist… Für eine solche muss Rainer Friedrichsen einen Diener bei Rappelkopf und noch einen Alpengeist spielen…
Nicolaus Hagg, Johanna Arrouas
Wenn Rappelkopf zur armen Köhlerfamilie kommt, die er aus dem Haus wirft, wird es in Raimunds ungewohnt scharfer Sozialkritik an sich etwas ungemütlich, aber die Aufführung spielt schnell und eher schmerzlos darüber hinweg, man nimmt die Interpreten kaum wahr.
Natürlich wird eine Inszenierung, die sich nicht weit vom Original entfernen möchte, den Familienhorror nicht ausreizen, aber auf Biedermeier-Mascherln hat sich Gampe glücklicherweise nicht eingelassen. Immerhin, zu der soliden, wenn auch nicht sonderlich ausdrucksstarken Bühnenlösung von Peter Loidolt gibt es einen winzigen Ausflug ins Heute: Dass die Rappelkopf-Ex-Gattinen (in früheren Inszenierungen hockten sie wie Noel Cowards Geister am Dach) nicht mehr live erscheinen müssen, versteht sich, Videoprojektionen (nicht nur auf der Bühne, sondern sogar auf die Seitenwände des Theaters) tun es auch, und dass man heutzutage steigende Wasserwogen auch gleich aus dem Computer holt – da haben wir es wirklich leichter.
Nicolaus Hagg, Sascha O. Weis, August Schmölzer
Aber jede Aufführung des Alpenkönigs und des Menschenfeindes zentriert sich auf diese beiden Figuren und letztendlich auf ihr Zusammenspiel (das bis zum Hyperkomödiantischen gehen kann, wenn man will). August Schmölzer ist ein gewichtiger Mann vom Zuschnitt eines Attila Hörbiger von einst, der kann cholerisch toben, ohne atemlos zu werden. Er bemüht sich um die rechte Bösartigkeit – aber wenn man sieht, wie liebenswert-komisch er dann im Entsetzen über sich selbst wird, wenn bei Beobachtung seines Doppelgängers die Selbsterkenntnis einsetzt, dann weiß man: So richtig böse, so richtig zum Fürchten war dieser Rappelkopf nicht. Und Sascha O. Weis als Alpenkönig (in Erzherzog-Johann-Pose, was schon des öfteren da war) kann dann auch nicht das darstellerische Brillantfeuerwerk entfesseln, das man in diesem Zusammenhang schon erlebt hat.
Das Ende gelingt schön, alle sind’s zufrieden, aber der große Wurf, den gerade dieses Raimund-Stück verlangen würde, ist es aus vielen Gründen dann doch nicht geworden.
Renate Wagner