Opernfreuden in Baden! Gala-Konzerte im Schloss Weikersdorf – 6.u.7.7.2015
Anna Ryan, Raul Iriarte, Daniel Magdal, Russi Nikoff; Erich Binder, Eroica Orchester. – Das sind die Namen. Und was dahinter steckt? Beste Voraussetzungen für Große Oper. Mit einem Kammerorchester. Rekrutiert aus Wiener Philharmonikern und Symphonikern, dem Volksopernorchester und ORF Symphonieorchester von der Flötistin Sylvie Binder-Höflinger. Existent seit 1 Jahr. Leitung: Erich Binder (Sängerknabe, 1, Konzertmeister im Volks-, Staatsopernorchester und bei den Wr. Philharmonikern, dirigierte rund 60 Opern / Staatsoper und weltweit). Einvernehmen mit den Sängern: oberste Güteklasse. Moderator: Michael Tanzler, Präsident der „Amici del Belcanto“. Sagt dem Publikum, wie schön Oper ist – wenn keine Regie sie verdirbt. Dankt dem Publikum für seine herzliche Aufnahme der Künstler dieser beiden Abende und der dargebotenen Werke. Bringt mit wenigen Worten jeden der Komponisten den Anwesenden persönlich näher…Kurzum: Es haben sich lauter selbstlos Liebende dieser wunderbaren Kunstgattung zusammengefunden und gemeinsasm die Abende im stimmungsvollen Schlosshof genossen.
Ein Dirigent, der aus dem Orchester kommt, noch dazu aus dem im Aufeinander-Hören und Auf-einander-Eingehen geschulten Staatsopernorchester, und selbst ausgebildeter Sänger ist, weiß nicht nur, wie man Sänger führt und trägt, sondern liebt es auch, dies zu tun. Er weiß aber auch, dass Opernmusik etwas aussagt. Mozarts „Figaro“-Ouvertüre war eine einzige Freude, weil sie so viel Freude – Vorfreude auf den „tollen Tag“ vermittelte: voller Jubel, voller Brio, witzig, verspielt, und doch selbstbewusst, ja fast rauschhaft auftrumpfend. So kurz und kompakt ist sie mir schon lange nicht mehr vorgekommen. Er weiß ebenso wie die Musiker, wie tief traurig der Beginn des „Traviata“-Vorspiels ist (nicht bloß ein fades Adagio) und dass diese Trauer im 2. Teil beiseite gefegt wird durch ein spritziges „leggerissimo“, das die Titelheldin charakterisiert, die sich noch einmal ins volle Leben stürzt – noch. (Man hätte sich die ganze folgende Oper gewünscht.) Mascaganis „Intermezzo sinfonico“ baut auf wunderbare Weise eine weit gespannte, lyrische Brücke vom 1. zum 2. Bild der fatalen „cavalleria rusticana“, ist also kein reines Konzertstück. Im Vorspiel zum 3. Akt „Carmen“, stimmungsvoll angeführt von der Flötistin, steigen wir unmittelbar in die nächtliche Atmosphäre der Gebirgslandschaft inmitten der Sierra Morena ein – Ruhe vor dem Sturm. Als beide Abende mit hinreißend gespielten Wiener Operettennummern ausklangen (Hellmesbergers „Teufelstanz“ bzw. Ouvertüre zum „Zigeunerbaron“ wusste man endgültig, wie vielseitig dieser Dirigent und sein Orchester sind.
Anna Ryan, die attraktive Wiener Armenierin, längst zur beliebten Primadonna der Weikersdorfer Opern-Galas avanciert, präsentierte sich in 8 Rollen – und war immer eine andere: mit Arditis „Kusswalzer“ munter-koloratur-beschwingt mit dem Publikum kokettierend, als Norma jene elegische „keusche“ Druidin, die sie bekanntlich nicht geblieben ist, weil da der fesche römische Feldherr dazwischen kam, mit Endlos-Atem sich aus ihren Gewissensnöten in die wunderbaren Bellinischem Kantilenen rettend; als sehr selbstbewusste und poesiebegabte kleine Puccinische Näherin Mimi mit ungemein tragfähiger Silberstimme; als liebende Tosca mit etwas dramatischeren Tönen; charmant-jungmädchenhaft ihren „babbino caro“ ansingend als Lauretta in „Gianni Schicchi“; mit unwiderstehlich verführerischer Attitude auch in der Mezzo-Partie der Dalila, indem sie vorgibt „Mon coer s’ouvre à ta voix“ und damit Samson um den Verstand bringt. Man muss gehört haben, wie Erich Binder und seine Musici die imposante, topsicher geführte, reizvolle. ganze persönlich timbrierte Sopranstimme von Anna Ryan zum Klingen brachten – allein die ausladenden Höhen, eingebettet in den Orchesterklang, waren ein Fest für sich.
Gleich zwei exquisite Tenöre durften sich der gleichen Unterstützung freuen. Der „lirico spinto“ aus Argentinien, Raul Iriarte, als tenoraler Händelscher Xerxes mit „Ombra mai fu“ hörbar im Genuss des kühlenden Schattens; als höhenstrahlender Poet Rodolfo auf Eroberungstour bis hin zur glänzenden „speranza“- und später intensiv-leidend im seelischen Zwiespalt zwischen seiner Liebe und seiner Unfähigkeit, die Todkranke zu retten; gleich darauf wieder als lebensfroher Puccinischer Des Grieux mit „Tra voi belle“ – ein Tenor-Offert auch für große Bühnen. Heldischer ging es in dieser Stimmlage am Folgeabend zu: mit Daniel Magdal, der ja bereits ein Riesenrepertoire vom gesamten Spinto-Fach bis zu Boitos Faust (wie auch Iriarte heuer in Prag von uns besucht), dem Berlioz’schen Aeneas (an der Dt. Oper Berlin), Otello und Lohengrin (den ich in Bukarest hörte) und weiteren Wagner-Plänen, lieferte in Baden zunächst ein Lieblingsstück aller großen Tenöre: “E la solita storia“ aus Cileas „L’Arlesiana“ und prunkte mit seinen heroischen Endlos-Höhen als Toscas Mario im Liebesduett, dann solo mit „E lucevan les telle“, die wahrhaft leuchteten; und zuletzt hochdramatisch, in allen Registern sattelfest, mit Otellos „Dio mi potevi“.
Nicht minder glänzend der junge Bulgare Russi Nikoff mit seinem urgesunden, flexiblen Bariton, der sich als Rossinis Barbiere (die erste Gesangsnummer des 1. Abends) höchst aufmunternd, weil selbst erheitert, vom Orchester quicklebendig und ur-witzig nicht nur begleitet, sondern animiert, mit allen vokalen Finessen einführte, dann wort- und tonklar das Publikum mit Tonios „Pagliacci“-Prolog „Si puo?“ zum Nachdenken über den Beruf des Komödianten anregte; sich als malender Marcello dem Rodolfo in seinen Liebesleiden zugesellte; als Verdis Falstaff sich nochmals von köstlich komödiantischer Seite zeigte (die diversen „No!“ im „onore“-Monolog, zuletzt das ironisch präsentierte „una parola!“ waren ein Dauer-Faszinosum); ehe er sich im „seriösen“ Fach als Rigoletto („Pari siamo“) und„Maskenball“- Renato (bzw. Ankarström) erfolgreich in der Kunst übte, Unangenehmes (wie Rache- und Mordgedanken) in verzeihliche Intentionen und Gefühle zu verwandeln – dank Verdi, dank seiner nobel strömenden Stimme und der exquisiten instrumentalen Begleitung.
Und noch ein Solist trat hervor: Die slowakische Geiger und Konzertmeister Michal Hudak, jeweils nach der Pause das Publikum wieder zur Sache rufend, zuerst mit Fritz Kreislers „Präludium und allegro“, dann mit dem Violinsolo aus Verdis „Lombardi“, da wie dort dem Typus „Teufelsgeiger“ recht nahe kommend.
Und letztlich konstatierte man, dass es an diesen beiden Badener Sommerabenden eigentlich nur Solisten gab – allerdings von jener lobenswerten Sorte, die sich nicht zu gut sind, das große Ganze für wichtiger zu halten. Es gab nach jeder (!) einzelnen Nummer durch „Bravi“ eingeleiteten begeisterten Applaus und alle Besucher waren sich einig, dass das Kammerorchester (im Vergleich zum großen Vorgänger-Plenum) und die auf Orchesterebene postierten Sänger den speziellen akustischen Gegebenheiten des Schlosshofs besser entsprachen. Nur der „Amici del Belcanto“-Verfechter verkündete seine verbalen Liebeserklärungen vom Balkon.
Da passte einfach alles. Auch die kulinarische „Versorgung“. Und hinter allem – in Zusammenarbeit mit der Leiterin des Schlosshotels Dr. Ulrike Regenfelder-Gassner – steckt unsere umtriebige ‚Merkerin“ Elena Habermann, die dank ihrer unzähligen Künstlerkontakte immer wieder solch erfreuliche künstlerische Taten zuwege bringt. Ad multos annos!
Sieglinde Pfabigan