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FRANKFURT: JULIETTA von Bohuslav Martinu – ein großer Opernabend

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Großer Opernabend in Frankfurt: „Julietta“ von Bohuslav Martinů (Vorstellung: 8. 7. 2015)

Die Oper Frankfurt feierte mit der Oper „Julietta“ („Juliette“) des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů (1890 – 1959) einen großen Erfolg. Die Uraufführung des Werks, dessen Libretto der Komponist selbst nach dem gleichnamigen Drama von Georges Neveux verfasste, fand 1938 in Prag statt.

frajuliet0615A Juanita Lascarro als Juliette mit Kurt Streit als Michel (Foto: Barbara Aumüller)

Bohuslav Martinů zählt von den großen tschechischen Komponisten zu den eher selten  gespielten. Umso erfreulicher, dass die Oper Frankfurt neben Julietta zurzeit auch noch drei Einakter von ihm im Bockenheimer Depot zeigt. Martinů bildete sich hauptsächlich autodidaktisch aus und war 1918 bis 1923 Geiger in der Tschechischen Philharmonie. Von 1923 bis 1940 lebte er in Paris, wo er seine Vorliebe für surrealistische Themen entdeckte und Anregungen der Gruppe „Les Six“ und von Strawinsky erhielt.  Dennoch blieb er in seinen 14 Opern für alle Genres und Stile aufgeschlossen, ohne seine tschechische Tradition zu verleugnen. Zu den von ihm am meisten gespielten Opern zählen neben Julietta noch Griechische Passion, Marienspiele, Mirandolina und Die drei Wünsche.

Der Inhalt der vom Surrealismus inspirierten lyrischen Oper Julietta in Kurzfassung: Michel, ein Buchhändler aus Paris, kehrt – von Sehnsucht getrieben – in eine kleine Stadt am Meer zurück, um ein Mädchen zu suchen, das er dort einst singen hörte. Die Einwohner der Stadt können ihm bei seiner Suche jedoch nicht helfen, da sie auf rätselhafte Weise ihr Gedächtnis verloren haben. Als Michel schließlich die Unbekannte namens Juliette findet, erhofft er sich Erklärungen für die verlorengegangenen Erinnerungen der Bewohner, doch auch sie kann ihm keine Antworten geben. – Mehr und mehr wird Michel in die Welt ohne Vergangenheit hineingezogen, wobei es für ihn noch dramatisch wird, als er nach einem Streit mit Juliette verzweifelt seine Pistole zückt. Man hört einen Schuss und einen Schrei. Obwohl Michel versichert, nicht geschossen zu haben, ist sofort ein Tribunal für seine Hinrichtung zur Stelle. Es gelingt ihm jedoch, die Gedächtnislosigkeit der Ankläger, Richter und Henker auszunützen und in den Wald zu fliehen. Auf dem Weg zum Dampfer erklingt nochmals Juliettes Lied, doch ist es ihm inzwischen fremd geworden. – Michel findet sich schließlich im Zentralbüro der Träume wieder, wo ihn ein Beamter zurück ins Alltagsleben entlassen will. Doch Michel will nicht akzeptieren, dass alles nur ein Traum gewesen sein soll. Das Büro betreten ein Bettler, ein Hotelboy und ein Sträfling, die alle in ihren Träumen ein Mädchen namens  Juliette getroffen haben. Hinter einer Tür hört Michel plötzlich die Stimme seiner Juliette, die ihn zu sich ruft.

frajuliet0615B Szenenfoto (Foto: Barbara Aumüller) Florentine Klepper schuf eine Inszenierung, die zwischen Traum und kafkaeskem Realismus pendelt und so eine Spannung erzeugt, die das Publikum rasch in ihren Bann zieht. Durch ihre subtile Personenführung gelingt es ihr, die inneren Konflikte der einzelnen Figuren transparent zu machen. Dazu baute Boris Kudlička auf der Bühne eine Hotelhalle mit Balkon und einem dschungelähnlichen Garten als Rückwand, in dem Michel und Juliette aufeinander treffen. Man könnte ihn auch als Irrgarten der Liebe bezeichnen. Die großteils der heutigen Zeit entsprechenden Kostüme entwarf Adriane Westerbarkey, für kreative Lichteffekte sorgte Jan Hartmann. Die Aufführung in Frankfurt war in deutscher Sprache (Übersetzung: Dietfried Bernet) mit Übertiteln.    

Zum Star des Abends avancierte der auch in Wien bekannte und beliebte amerikanische Tenor Kurt Streit als Michel. Er meisterte mit seiner kraftvollen Stimme die extrem schwere Rolle, die zwischen Traum und Wirklichkeit pendelt, auf souveräne Art und Weise. Exzellent auch seine große Wortdeutlichkeit. Eindrucksvoll auch die kolumbianische Sopranistin Juanita Lascarro in der Titelrolle, die sowohl schauspielerisch wie stimmlich überzeugen konnte.  Teils wandelte sie traumverloren auf der Bühne, teils agierte sie verführerisch, wie beispielsweise im „Irrgarten der Liebe“.

Alle Mitglieder des großen Sängerensembles hatten mehrere Rollen zu spielen, was sie auf bewundernswerte Weise bewältigten: Der amerikanische Tenor Beau Gibson gab den Kommissar, Briefträger, Waldhüter und Lokomotivführer, wobei er als Waldhüter eindrucksvoll schilderte, dass er den Schuss auf eine Schnepfe abgegeben, sie aber nicht getroffen habe. Der französische Bariton Boris Grappe spielte einen Mann mit Helm, den Altvater „Jugend“, den Verkäufer von Erinnerungen und den blinden Bettler und agierte besonders in den beiden letzten Rollen sehr ausdrucksstark. Ebenso der deutsche Bass Andreas Bauer als Mann am Fenster und als Sträfling mit extrem tiefer Stimme und starker Bühnenpräsenz.

Die zarte kroatische Mezzosopranistin Nina Tarandek überzeugte in ihren vier Rollen – Kleiner Araber, Erster Herr, Junger Matrose und Hotelboy – durch ihre sympathisch wirkende Ausstrahlung und stimmliche Wandlungsfähigkeit.  Der isländische Bass Magnús Baldvinsson lieh seine sonore Stimme dem Alten Araber und dazu noch dem Alten Mann und Alten Matrosen.

Mit subtiler Komik stattete der amerikanische Tenor Michael McCown den kafkaesk wirkenden Beamten des Zentralbüros der Träume sowie den Nachtwächter aus. Rollengerecht auch die Darstellung der Alten Frau und der Alten Dame durch die slowakische Mezzosopranistin Judita Nagyová sowie die Darstellung der Vogelverkäuferin durch die kanadische Mezzosopranistin Marta Herman. Die russische Mezzosopranistin Maria Pantiukhova hatte drei Rollen – Fischverkäuferin, Dritter Herr und Handleser – zu spielen und tat dies auf sehr spritzige Weise. Der Chor der Oper Frankfurt, der die Bewohner des Städtchens am Meer darzustellen hatte, wurde von Markus Ehmann einstudiert.

Mitreißend die Wiedergabe der vielschichtigen und facettenreichen Partitur Martinůs, die in einer Sequenz auch den Herzschlag wunderbar wiedergibt, durch das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der profunden Leitung von Sebastian Weigle, der sich schon seit längerer Zeit als Wagner- und Strauss-Dirigent profilierte.

Das von der musikalischen Qualität und den sängerischen Leistungen des Ensembles begeisterte Publikum feierte am Schluss alle Mitwirkenden mit frenetischem Beifall, wobei Kurt Streit mit zahlreichen Bravorufen für seine exzellente Darstellung der Rolle des Michel bedacht wurde. Ein großer Opernabend, der noch lange in Erinnerung bleiben wird!

 Udo Pacolt

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