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BASEL/ Schauspielhaus: DER RICHTER UND SEIN HENKER von Friedrich Dürrenmatt. Premiere:

Basel: Schauspielhaus – Friedrich Dürrenmatt: „Der Richter und sein Henker“ – Premiere 29.11.2013

 Eigentlich geht es ja um eine Freundschaft, welche durch eine fatale Wette zum tödlichen Katz-und-Maus-Spiel wird. Irgendwo in der Türkei während des zweiten Weltkrieges lernen sich die beiden Schweizer Bärlach und Gastmann kennen. Bärlach, pflichtbewusster Polizeikommissär durch und durch, Gastmann Lebemann und Abenteurer, ebenfalls durch und durch. Vielleicht noch etwas durcher. Gastmann wettet mit Bärlach, dass er vor dessen Augen Verbrechen begehen könne, ohne dass er, Bärlach, diese ihm beweisen könne. Gastmann macht blutigen Ernst, wird dabei immer (einfluss-)reicher, mächtiger und Bärlach setzt sein ganzes weiteres Leben daran, seinen Wettpartner zur Strecke zu bringen – und dies über Jahrzehnte lang erfolglos. Dies ist die Ausgangslage des Romans von Friedrich Dürrenmatt, in einer Bearbeitung für die Bühne von Armin Kerber. Die erste Szene des Stücks ist ein Zwiegespräch zwischen den beiden Wettpartnern, welches im Roman erst später stattfindet. Der Zuschauer erfährt von der Wette, von der schweren Erkrankung Bärlachs und dass dieser nur noch ein Jahr zu leben hat. Danach taucht die Leiche des Polizisten Schmied auf, Bärlach setzt seinen jungen, ehrgeizigen Kollegen Tschanz auf Gastmann als Hauptverdächtigen an. Tschanz erschiesst Gastmann am Ende und muss dann beim finalen Abendessen bei Bärlach erkennen, dass dieser ihn von Beginn an als „Mörder aus Neid“ an Schmied entlarvt hat und ihn als Henker in seinem persönlichen Rachefeldzug gegen Gastmann eingesetzt hatte. Soweit die Geschichte, welche mit einigen feinen Seitenhieben am Schokaladenimage der Schweiz kratzt. Was das Buch jedoch so spannend und fesselnd macht, ist die Zeichnung der einzelnen Personen. Die grauenhaften Schmerzen, die unbeschreibliche Müdigkeit Bärlachs werden für den Leser genau so spürbar, wie die verhöhnende Kälte Gastmanns. Unangenehm peinlich berühren im Roman der korrupte Nationalrat von Schwendi und der erpressbare Staatsanwalt Dr. Lutz, geheimnisvoll bleibt Schmieds Freundin Anna, welche von Tschanz „übernommen“ wird. Von alledem ist in der Inszenierung von Barbara Weber in der Bühne von Michel Schaltenbrand nichts zu spüren. Bärlach (Andreas Matti) und Gastmann (Vincent Leitersdorf) rezitieren weitgehend unbeteiligt den Dürrenmattschen Text. Todgezeichneter Bärlach? Fehlanzeige! Der Kommissär strotzt nur so von Kraft und Tatendrang. Magenkrank ist er offensichtlich nur, weil Dürrenmatt es so geschrieben hat. Der ehrgeizige Tschanz (Silvester von Hösslin) quängelt nervig herum. Nationalrat von Schwendi (Gabor Biedermann) erinnert mehr an einen deutschen mit Orden behangenen Politiker aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg als an einen Schweizer Nationalrat. Wo bleibt das Unbehagen, die Unsicherheit, welche Staatsanwalt Dr. Lutz (Florian Müller-Morungen) gegenüber seinem Duz-Freund von Schwendi empfindet? Souverän und gleichgültig wird auch hier der Dürrenmattsche Text rezitiert. Genau so teilnahmslos spaziert des ermordeten Freundin Anna (Inga Eickemeier) durch die Geschichte. Und über allem schwebt der „Schriftsteller“ (Jesse Inman), der, zusammen mit den beiden Polizisten (Philippe Graff, Ariane Andereggen) als Erzähler auftritt und vereinzelt in die Handlung eingreift. Optisch (Kostüme: Gwendolyn Jenkins) erscheint der Schriftsteller als Dürrenmatt; wohl als Zitat aus dem Film von Maximilian Schell aus den 1970er-Jahren, in welchen der Autor selber die Rolle des Schriftstellers übernimmt, zu verstehen. Warum der Schriftsteller in der Basler Inszenierung mit englischem Akzent spricht, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr bleibt dadurch der Tiefgang des Verhörs mit Bärlach weitgehend auf der Strecke – so wie eigentlich die ganze dichte Atmosphäre des Romans. Da helfen auch die musikalischen Versuche, Stimmung und Spannung zu erzeugen, von Michael Haves nichts mehr. Am Schluss bleiben Fragen wie  „Warum fehlt zwischen den Figuren fast jede Interaktion?“ und „Warum wird das Stück der Atmosphäre beraubt?“ im Raum stehen. Wie auch immer: Die Schauspielerinnen und Schauspieler setzen die Regie zuverlässig um und überzeugen mit sehr guter Diktion. Was hätte aus der Aufführung werden können, wenn sie so hätten spielen dürfen, wie Dürrenmatt es geschrieben hat …

 Michael Hug

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