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FREIBURG/ Breisgau: ORLANDO von G.F.Händel –“Gezeichneter Wahnsinn”. Premiere

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FREIBURG / Breisgau: ORLANDO. Premiere 12. Juli 2015

 Freiburg i. Br. – Grosses Haus – Händels „ORLANDO“ – Premiere 12.07.15

 Gezeichneter Wahnsinn

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Xavier Sabata, Saskia Motschall. Foto: Rainer Muranyi

 Während sich andere Häuser bereits in den Theaterferien wähnen, bringt das Theater Freiburg am 12. Juli noch eine neue Inszenierung heraus. Die ursprünglich auf den 29. November 2014 angesetzte Premiere von Georg Friedrich Händels „Orlando“ musste aufgrund von länger andauernden Sanierungsarbeiten, die den Saisonbeginn um einige Wochen verzögerten, auf das Spielzeitende verlegt werden. Es wäre zu schade gewesen, wenn die Premiere aus dispositionellen Gründen nicht hätte stattfinden können, denn dem international erfolgreichen Regisseur und Choreografen Joachim Schloemer gelingt eine hochkarätige, kurzweilige Inszenierung, die den Sängerdarstellern nicht nur gesangliche, sondern auch körperliche Hochleistungen abverlangt.

Die Barockoper „Orlando“ (1733) stellt insofern eine Herausforderung an einen Regisseur dar, als dass nicht die äusseren Handlungen, sondern die seelischen Zustände der Protagonisten im Vordergrund stehen, obwohl sie auf das ereignisreiche Versepos „Orlando furioso“ von Ludovico Ariosto zurückgeht. Die Inszenierung verweigert denn auch jeglichen Realismus. Die Bühnenbildnerin Olga Ventosa Quintana lässt das Werk in einem abstrakten Einheitsraum mit offenen Seitenbühnen spielen: Auf einer weissen Drehscheibe steht ein grosses, kugelförmiges, mit zahlreichen Lampen und Leuchtstoffröhren bestücktes, schwarzes Stahlgerüst, das für ästhetische Licht- und Schatteneffekte fruchtbar gemacht wird. Es fungiert als Himmelsgewölbe, aus dem der Zauberer Zoroastro (mit agilem Bass: Jin Seok Lee) Orlandos Schicksal liest. Bei Schloemer ist Zoroastro ein Maler, der die Figuren mit einer Tuschfeder zu bannen versucht. Als Versatzstück aus der barocken Theatertradition begleitet ein Musiker mit barocker Perücke und Kleidung (Kostüme: Nicole von Graevenitz) die Darsteller auf einem Cembalo, das auf der Drehscheibe kreist.

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Sharon Carty, Kim-Lillian Strebel, Jin Seok Lee. Foto: Rainer Muranyi

 Der Titelheld ist bei Schloemer offenkundig nicht nur Angelica (mit klarem und anrührendem Sopran: Kim-Lillian Strebel) zugetan, sondern schaut auch gerne der Prinzessin Isabelle beim Poledance in der Kugel zu. Im Wahn wagt er sich sogar selbst in einem hautengen Dress an die Stange. Für Komik sorgen zudem drei Ungeheuer (Affe, Rhinozeros und Krake), die kriechend und kletternd die Bühne erobern. Als Gag vor der Pause taucht Orlando im nun hell erleuchteten Zuschauerraum auf und bahnt sich – rasend vor Eifersucht auf der Suche nach Angelica, die ihn für Medoro (souverän trotz indisponiert angekündigt: Sharon Carty) verlassen hat –, den Weg durch die Zuschauerreihen. Grossartig gestaltet der katalanische Countertenor und Barockspezialist Xavier Sabata als Orlando die Wahnsinnsszene vor dem Hintergrund projizierter, alptraumhafter Comiczeichnungen, die Orlando in die seelischen Abgründe der Unterwelt führen. Diese Energie und gesangliche Verve hätte man sich bereits vor der Pause gewünscht.

Schloemer verzichtet nicht nur auf barocken Bühnenzauber, sondern stellt auch das obligate „lieto fine“ in Frage. Im feierlichen Schlusschor drücken die Gesichtszüge der Protagonisten alles andere als Glückseligkeit aus. Mit den Schlusstakten entreisst Orlando Zoroastro die Tuschfeder und sticht ihn nieder. Bevor er Dorinda (Susana Schnell) niedermetzeln kann, signalisiert ein Black das Stückende. Ist Orlando doch nicht vom Wahnsinn geheilt worden?

Gezaubert wird indes im Orchestergraben: Dem Philharmonischen Orchester Freiburg wird unter der Leitung von Julia Jones mit einem gebürtigen Applaus für die musikalische Spitzenleistung gedankt. Bravorufe und grossen Beifall erhalten auch das Regieteam und die Solisten – allen voran Xavier Sabata.

 Carmen Stocker

 

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