Bayreuth: Siegfried 12.8.2015
Foto: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath
Musikalisch kommt bei Siegfried eine kleine Tendenz zum Tragen, nämlich Kirill Petrenkos Hang zu manchmal schleppenden Tempi, besonders bei den nachdenklich “grübelnden” Stellen, die sich in kurzer sich schrittweisen aufbauender (Leit)motivik darstellen. In der Tat enden die Akte alle fast 5 Minuten später als im Besetzungszettel angegeben. Sie werden zwar oft spannend und auf den Punkt ausmusiziert, manchmal schleichen sie aber auch Tendenzen des Zerfalls musikalischer Aussagen ein. Insgesamt scheint mir der 2.Akt griffiger und exponierter gespielt als der 1.Akt, bei dem sich mit Siegfried – Mime, dann Wanderer – Mime, dann wieder Siegfried-Reprise lange bis zähe Szenen ergeben. Deshalb kommt erst beim neuen Schauplatz ‘Drachenhöhle’ Fahrt auf, wenn sich die Szenen wieder jagen, über das Brüder-Duett, über die scharfen Klüfte der Waldvogelszene und bei Erda, wo die ganzen Achterbahnen, die Wotan fährt, musikalisch noch mal präsent werden, bis zur Zerschlagung seines Speers.- Szenisch ist alles wieder in die allseits bekannten Bühnenbilder eingeflossen: Die vier “Präsidenten” des Kommunismus, wie die 4 amerikanischen Präsidenten bei Mount Rushmore in den Fels gehauen; bei Mimes Schmiede bebildern sie zunächst hauptsächlich das Böse, wenn sie auch später z.T. zu Brünnhildes Liebeserweckung herhalten müssen. Bei Mime ist der als’ Bär’ angekettete Patric Seibert, der auch sonst allerhand Unwesen betreibt, wieder dauerpräsent. Auf der anderen Seite der Drehbühne wird der Alexanderplatz im ehemaligen Ostberlin mit Weltzeituhr und mit akkurat funktionierendem Planeten-Wandelornament gezeigt. Das angrenzende Gebäude ganz im “Volkspalast”-Stil stellt sich ganz schnell als Prostituiertenzentrum heraus, wo auch der Waldvogel und Erda heim sind. Siegfried begibt sich auf eine Verfolgungsjagd mit dem Gangster Fafner, den er dann per MP-Salve niederstreckt, Mime erdolcht er und deckt beide mit den herumliegenden Plastikmüll zu. Danach ergibt sich mit dem prächtig aufgebretzeltem Waldvogel ein erstes Stelldichein gleich bei den Toten. Der Wanderer hat sich hier bei Spaghetti Bolognese und Rotwein aus der Flasche niedergelassen, bis die aufgetakelte Erda im Pelz erscheint, mit schwarzer Perücke klappt es aber zwischen den beiden noch nicht, da muss erst eine Blonde her… Das finale Treffen dann zwischen Großvater und Enkel findet wieder halsbrecherisch auf dem Mt. Rushmore statt, wo aber der Leninkopf von Seibert erst mal kurz ausgebessert werden musste. Dann findet Siegfried ohne Feuerwall am Fuß des Berges Brünnhild neben einem mit einer Plastikplane abgedecktem Stangenhaufen. Auf verschiedenen Ebenen auf an den Felsen platzierten Wegen kommen sich die beiden näher und landen dann plötzlich auf der anderen Seite, auf dem Alex, Brünnhild nun in großer weißer Robe, Siegfried weiter in schwarzem kettenbehangenem Wams. Die sich mit der Liebe einstellende Todesdrohung wird hier gleich in Form dreier Krokodile deutlich, die sich bedrohlich annähern. Die Protagonisten nehmen es aber gelassen: Brünnhild stopft dem einen einen Sonnenschirm ins Maul, und Siegfried zieht den Waldvogel, den eines der Vielfraße gleich mal verspeist hatte, wieder aus dem Schlund. Die Konkurrentin wird da aber sofort von Brünnhild weggescheucht, weil sie auch mal was mit Siegfried haben möchte.
Bei dieser Erweckunsszene legen sich auch Petrenko und seine Mitstreiter im Festspielorchester richtig ins Zeug, um eine wunderbare Klang-Ausdeutung inclusive sensibelst und brilliant spielender hohen Streicher zu erreichen. Jedenfalls lassen sie sich von der grotesken szenischen Ausdeutung nicht abschrecken, sie sehen sie ja gar nicht.- Mirella Hagen gibt einen silbrigen mädchenhaft dramatischen Waldvogel. Andreas Hörl singt wieder einen ganz sentimentalen sonoren Abschiedsgesang. Nadine Weissmann kommt als Erda diesmal auch mit fundiert dramatischen Tönen herüber, besonders wenn sie Wotan Widerpart gibt. Albert Dohmens Alberich kommt hier fast noch komplexer zur Geltung und deutet seine Texte phänomenal gesanglich aus, es mutet wirklich fast “kriminell” an, wie er sein helles obertöniges Baritontimbre einzusetzen weiß. Mime Andreas Conrad kann sicher zu den starken Charaktertenören aufschließen. Dem Wanderer Wolfgang Koch steht dagegen wieder seine Tiefe gut zu Gesicht bzw. zu Gehör. Bis zu seinem abrupten Abgang nach der Speerzerbrechung ist er in nahezu exaltiertem Dauereinsatz, und mit seinem schön ausschwingenden Bartontimbre kann er immer noch einen draufsetzen.
Das neue als Paar neu Duo Catherine Foster – Stefan Vinke führt sich gut ein. Foster gibt eine eher lyrisch angelegte Brünnhilde mit beachtlichem Stimmvolumen, und hat auch bei der Feinzeichnung immer neue Varianten in petto, nur an der Intonation mancher hoher Einsätze müsste sie noch feilen. Stefan Vinke steht für den Siegfried ein etwas dunkel gefärbtes baritonales Timbre zu Verfügung, das aber manchmal etwas ungeschliffen wirkt. Die Partie sitzt ihm aber sonst prima in der Kehle. Dazu hat er sich in die Inszenierung blendend eingepasst. In die Piani kann er auch gehen und wird dabei nie vom Orchester zugedeckt.
Friedeon Rosén