Philharmonie, Musikfest Berlin, Matinee: Iván Fischer und Philippe Jaroussky mit dem Konzerthausorchester, 6.9.2015
Iván Fischer, Foto Marco Borggreve
Nicht jeder möchte schon um 11 Uhr vormittags ein Konzert dirigieren, wie vor allem die Wiener wissen. Doch der Ungar Iván Fischer und sein Konzerthausorchester Berlin sind um diese Zeit schon hellwach und tatendurstig.
Ebenso ist es Philippe Jaroussky, der 37jährige, bereits mit vielen Preisen bedachte Countertenor, der dabei ist, immer neue Wege zu beschreiten. Hier überrascht der Artist in Residence mit einem Werk des 1961 geborenen französischen Komponisten Marc-André Dalbavie und den von ihm vertonten „Sonnets de Louise Labé“ in einer Orchesterfassung.
Diese 24 Sonette von 1555, verfasst von einer Dichterin und Musikerin, waren zu damaliger Zeit sicherlich eine Sensation, wagt sie doch als Frau, freimütig ihre Liebesgefühle zu schildern. Rainer Maria Rilke hat die Verse ins Deutsche übertragen, eher nachgedichtet, ist beim Textvergleich der ausgewählten 6 „Leidenslieder“ festzustellen. Sie zeigen eine Frau im Aufruhr der Gefühle, doch der Ersehnte interessiert sich nicht für sie. Ganz verwundet ist sie von soviel unerwiderter Liebe.
Philippe Jaroussky in Aktion, Foto Marco Borggreve
Marc-André Dalbavie hat ihr Seelenchaos und all’ ihre Qualen in eine angenehm schlichte, aber sehr adäquate Form gegossen, in eine Musik, die in ihrem Nichtauftrumpfen wunderbar zu diesen mehr als 400 Jahre alten Gedichten passt. Speziell für Philippe Jaroussky hat er sie vertont, und der gestaltet sie mit seinem ausdrucksfähigen und gelenkigen Countertenor ebenso wunderbar.
Kein Dauer-Lamento ist zu hören, sondern die höchst unterschiedliche Gestaltung jeder einzelnen Zeile. Mal blitzt beim Sonnenaufgang ein Hoffnungsschimmer auf, mal versinkt die Frau wieder in ihrem Kummer. Dennoch wird ihre Klage nie einförmig. Das Sonett XII, in dem sie zur tröstenden Laute greift, berührt besonders. Jaroussky kann sich ganz ohne Überbetonung in diese Frau hineindenken. Großer Beifall für ihn und die anderen nach diesem besinnlichen Auftakt.
Ganz anders geht’s dann bei Gustav Mahlers „Symphonie Nr. 7“ zur Sache. Dass er jahrelang um dieses Werk gerungen hat, zeigt die höchst unterschiedliche Entwicklung selbst innerhalb eines jeden Satzes. Wie das musikalisch realisiert werden soll, tut Fischer den Instrumentalisten mit intensiver Gestik und Körpersprache kund.
Nach dem langsamen, verhaltenen Beginn durch Michael Vogts Solo-Tuba in e-Moll, lässt es der Maestro beim Marsch wirklich resolut krachen. Danach schafft die 1. Nachtmusik eine gewisse Verbindung zu den vorher gehörten Sonetten, aber ohne deren Tragik.
Auch das Unheimliche, das die Bezeichnung „Scherzo“ Lügen straft, verwirklichen Fischer und die Seinen samt aller Rhythmenwechsel. Mahler fällt immer wieder was Neues ein, so auch Herdengeläut und „Happy Austria-Feeling“ in der 2. Nachtmusik, bei der im Andante amoroso zusätzlich Mandoline und Gitarre zum Einsatz kommen. Eine positive Liebesromanze wird geschildert, keine hoffnungslos schmerzerfüllte.
Und stets strahlt das Blech und das erneut beim euphorischen Rondo-Finale, das genau so energisch, wie vorgeschrieben, dargeboten wird. Ein wahres Spektakel, in dem Wagner-Fans schon immer eine Persiflage auf dessen Meistersinger-Ouvertüre zu erkennen meinten. Wie dem auch sei – in der Philharmonie mit ihrer exzellenten Akustik kommt der Klang dieses fitten Orchesters noch viel besser zur Geltung als im eigenen Konzerthaussaal. Großer Jubel belohnt diese superbe Leistung.
Ursula Wiegand