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FREIBERG/ Sachsen: 21. GOTTFRIED-SILBERMANN-TAGE

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Freiberg (Sachsen) / 21. GOTTFRIED-SILBERMANN-TAGE 2. ‑ 13.9.2015

Silbermann-Orgeln sind europaweit, wenn nicht weltweit, ein Begriff. Der Name steht für außergewöhnlich gute Orgeln mit dem besonderen Klang und ist mit den Brüdern Andreas und Gottfried Silbermann verbunden. Beide wurden in dem Erzgebirgsdorf Kleinbobritzsch geboren. Während der Ältere, Andreas, im Elsass wirkte, ging Gottfried Silbermann, dessen 300. Geburtstag im vergangenen Jahr in Freiberg gefeiert wurde, nach einer Lehre bei ihm wieder zurück in die Heimat und baute alle seine Orgeln auf damals sächsischem Gebiet, obwohl sein Ruf bis nach St. Petersburg gedrungen war und er auch dort eine Orgel bauen sollte, aber der kunstliebende Kurfürst, der den Wert dieser Orgeln erkannt hatte, hatte verfügt, dass alle Orgeln Silbermanns in Sachsen zu bauen seien. Auch J. S. Bach schätzte diese Orgeln – mit Ausnahme der ungleichschwebenden Stimmung und zu wenig Experimentfreudigkeit bei den Registern.

Während von den Orgeln Andreas Silbermanns und dessen Sohn sehr viele durch Umbauten sehr stark verändert wurden, sind von denen Gottfried Silbermanns noch etwa zwei Drittel weitgehend im originalen Zustand erhalten. Sie wurden mit mehr oder weniger geringen Veränderungen über die Jahrhunderte „gerettet“ und/oder in neuerer Zeit wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt.

Allein in der Bergstadt Freiberg (Sachsen), im 12. Jh. die größte Stadt in der Mark Meißen, später durch den Silberbergbau und seit dem 18. Jh. wegen ihrer Montanuniversität bekannt, existieren noch 4 dieser Orgeln, die schönste und größte, die vollständig von Silbermann gebaut wurde und noch weitgehend im ursprünglichen Zustand erhalten ist, und eine kleinere, die aus einem Braunkohlentagebaugebiet umgesetzt wurde, im Dom, zwei große Orgeln in den Kirchen St. Petri und St. Jakobi und ein Orgelpositiv im Stadt- und Bergbaumuseum.

Um diesem Orgelbaumeister auch in unserer Zeit die Ehre zu erweisen, finden seit 1995 aller 2 Jahre die „Silbermann-Tage im Erzgebirge“ und der Internationale Gottfried-Silbermann-Orgelwettbewerb für junge Organisten statt. In diesem Jahr boten die 21. Silbermann-Tage, verankert in Städten und Dörfern des Erzgebirges mit seiner langen Kulturgeschichte und großen Musiktradition – einer besonderen Hochkultur im ländlichen Umfeld – ein reichhaltiges, facettenreiches Programm, vorwiegend mit Musik der Klassik, aber auch offen für Jazz und andere Musikrichtungen.

Im ERÖFFNUNGSKONZERT (2.9.) wurde die lange sächsische Musiktradition mit der Aufführung einer „Domvesper um 1600″ wieder sehr lebendig ins Bewusstsein gerufen. Wie aus den aufgeführten, zu einer lückenlosen Vesper zusammengefügten Kompositionen ersichtlich ist, wurden damals nicht nur Werke lokaler Komponisten aufgeführt, sondern auch einige der bedeutendsten Italiens, ein augenfälliges Zeugnis dafür, wie weit verbreitet und bekannt diese, bis heute bedeutenden, Komponisten bereits zu ihren Lebzeiten waren und welch enge Beziehungen Sachsen zu den damaligen Musikzentren hatte, selbst unter den damals schwierigen Verbindungen und Reisewegen, und auf welch hohem Niveau die Musikpflege in Sachsen schon damals stand.

Unter der umsichtigen Leitung von Domkantor Albrecht Koch, der auch die Rolle des „Vorsängers“ der liturgischen Teile (Gregorianisch/Martin Luther) übernommen hatte, die er sehr sicher und ausgeglichen vortrug, und sich gelegentlich auch zu den sechs Solisten des Ensemble Freiberger Dom-Music gesellte, wurde die Vesper von einst zu einem sehr lebendigen Zeugnis der Kirchenmusikpflege in alter und neuer Zeit.

In abwechslungsreichen „Dialogen“ zwischen den in unterschiedlichen Gruppierungen singenden Solisten, den zwei, getrennt aufgestellten Chören aus Sängerinnen und Sängern des Freiberger Domchores, der Kantorei der Petrikirche Freiberg und des Kirchenchores Seiffen, a capella und mit Begleitung und solistischen Teilen des Instrumentalensembles chordae freybergenses auf alten Instrumenten, Orgelpositiv und Regal sowie rein instrumentalen Orgelstücken auf der großen Silbermannorgel, entfaltete sich eine reiche Palette unterschiedlicher kompositorischer Handschriften und Stilrichtungen der damaligen Zeit, die, nahtlos, ohne Zwischenpausen, zusammengefügt, einen sehr geschlossenen Gesamteindruck hinterließ.

Die Musiker von chordae freybergenses spielten sehr stilsicher und klangschön auf Nachbauten der Freiberger Renaissanceinstrumente von 1594, die seinerzeit bei ihrer Entdeckung für eine Sensation sorgten. Als die Engelfiguren der Stuckdecke im Chorraum des Freiberger Domes (Begräbniskapelle für die Kurfürstenfamilie) zwecks Restaurierung herabgenommen wurden, stellte man fest, dass sie echte, spielbare Instrumente, wie sie auch auf alten Darstellungen zu sehen sind, in den Händen hielten. Daraufhin wurden originalgetreue Kopien davon angefertigt und den Engeln „ihre“ Instrumente zurückgegeben.

Auf diesen Nachbauten von Kleindiskantgeige, Diskantgeige, Tenorgeige, Bassgeige, Zink, Posaunen und Laute spielten die Musiker ganz im Sinne alter Aufführungspraxis und mit dem sensiblen, „verklungenen Wohllaut“ vergangener Zeiten.

Die Kompositionen von Christian Erbach, Albinus Fabricius, Elias Nicolaus Ammerbach, Carl van der Hoeven, Rogier Michael, Mattheus Maistre und Erasmus Alberus, Namen, die uns heutzutage nicht mehr geläufig sind, aber auch von sehr bedeutenden Komponisten, wie Andrea Gabrieli, Leonard Lechner, Hans Leo Haßler und Orlando di Lasso, deren Notenmaterial sich bis nach Mitteldeutschland verbreitete, fügten sich zu einem abwechslungsreichen Ganzen zusammen.

Die Solisten und die beiden Chöre sangen stilsicher und mit guten Stimmen, aber man kann sich vorstellen, dass eine solche Domvesper früher mit sehr viel Feingefühl zelebriert wurde, da die spätere Musikentwicklung, die wir heute kennen, damals noch nicht zu ahnen war. Die Solisten und Chorsänger, mit Musik aller Jahrhunderte und auch der Gegenwart vertraut, sangen mit moderner Diktion, sehr gegenwärtig und trotz Stilgefühl mit dem Empfinden unserer Zeit, in der die Hörgewohnheiten an Sensibilität verloren haben, aber dadurch erreichten sie die Zuhörer im vollbesetzten Dom bis in den letzten Winkel. Sie übersetzten die Musik quasi ins Heute. Ganz der Gegenwart verhaftet, spielte auch Jeremey Joseph (Südafrika) die große Silbermann-Orgel mit der üblichen Registrierung, ohne die ganz spezifischen, klanglichen Besonderheiten dieses Instrumentes auszuloten.

Es war eine ausgeglichene, in ihrer Art harmonische „Domvesper“ im altehrwürdigen Freiberger Dom, der, in der Zeit der Gotik auf Teilen einer romanischen Kirche erbaut, mit seinen Ausstattungsstücken aus sehr unterschiedlichen Kulturepochen: „Goldene Pforte“ und Triumphkreuz (Romanik), „Tulpenkanzel“ (Spätgotik), „Bergmannskanzel“ und Altarbild von Lucas Cranach d. J. (Renaissance) und großer und kleiner Silbermannorgel (Barock) ebenfalls ein harmonisches Ganzes bildet. Albrecht Koch sorgte dafür, dass sich die einzelnen Musikbeiträge „wie aus einem Guss“, ohne leidige Zwischenpausen oder Absätze aneinander reihten, was einen schönen, geschlossenen Gesamteindruck hinterließ.

Im Vorfeld der offiziellen Eröffnung gab der bekannte und sehr geschätzte Organist und Musikwissenschaftler Felix Friedrich einige Stunden vorher im Rahmen der allwöchentlich in den Sommermonaten stattfindenden, halbstündigen Orgelmusiken, einer MITTAGSMUSIK (2. 9.), an der Silbermann-Orgel der Freiberger St. Petrikirche, einer barock umgebauten gotisch-romanischen Kirche, ein eindrucksvolles, kleines Orgelkonzert, dem Rahmen entsprechend, mit kleineren Werken zwischen Barock und Romantik.

In einer guten Programmzusammenstellung spielte er bekannte und weniger bekannte kleine Kompositionen deutscher und böhmischer Komponisten: von Johann Ludwig Krebs, sehr schön registriert, „Präludio und Fuge B‑Dur“, 2 hübsche kleine Stücke („Andante a‑Moll“ und „Pastorale C‑Dur“) von Jan Křtitel Kuchař, liebenswürdig verspielt und mit leicht tänzerischem Charakter – wie für eine Spieluhr, selten zu hörende, eher getragene Orgelmusik von Bedřich Smetana („6 Präludien für Orgel“) und, ganz im Sinne der Romantik registriert und gespielt, „Präludium und Andante d‑Moll/D‑Dur“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Friedrich spielte mit viel Enthusiasmus und Lebendigkeit, bewies sehr viel Sinn für Form und Inhalt der Stücke, gutes Einfühlungsvermögen für die unterschiedlichen Komponistenpersönlichkeiten und Gespür für die verschiedenen musikalischen Stilepochen. Man spürte sein Sich-ganz-in-das-Stück-versenken, gleich, ob es sich um ein kleines, gefälliges Stück oder die beiden, von ihm groß angelegten, „Choralvorspiele“ und einen „Choralsatz“ von Johann Sebastian Bach als bekrönenden Abschluss handelte, die er mit entsprechend farbiger Registerwahl, Opulenz, Klarheit und gut gewählten Tempi spielte.

Ein weiteres „Orgel-Highlight“ war das Konzert mit dem französischen Organisten Frédéric Champion an der HILDEBRANDTORGEL der kleinen gotisch-romanischen Dorfkirche St. Nikolai in LANGHENNERSDORF im Erzgebirge (4.9.). Es überrascht immer wieder, welche großartigen Instrumente von Gottfried Silbermann und seinen Schülern in kleinen Dorfkirchen zu entdecken sind. Betritt man diese kleine Kirche, meint man eine Orgel Gottfried Silbermanns vor sich zu haben. Kein Wunder, denn der Prospekt enthält unverkennbar die gleichen Elemente wie die große Freiberger Dom-Orgel, da Zacharias Hildebrandt, Schüler von und Geselle bei Gottfried Silbermann mit der gleichen Werkstatt zusammenarbeitete. Er war es auch, der die größte, von Silbermann konzipierte Orgel in der Dresdner Kathedrale (Katholische Hofkirche), während deren Bau Silbermann starb, nach dessen Tod weitergeführt und vollendet hat.

Champion, der Organist aus Lyon, jetzt in der Schweiz tätig, war Preisträger des parallel zu den Silbermann-Tagen seit 1993 stattfindenden Internationalen Gottfried-Silbermann-Orgelwettbewerbes und kehrte jetzt zu dem Wettbewerb, der in diesem Jahr zum 12. Mal stattfand, als Juror und Konzertorganist zurück und erfreute die Besucher der Silbermann-Tage an der gut restaurierten Hildebrandt-Orgel.

Sein Programm begann er mit einem gewaltigen „Paukenschlag“, der interpretatorisch groß angelegten „Toccata und Fuga d‑Moll“ (BWV 538) von J. S. Bach , die er mit innerer Anteilnahme und viel Temperament spielte. Eine sehr gute Technik war für ihn das Fundament, auf dem er sein persönliches Anliegen in Tönen wiedergeben konnte. Mit gewaltiger Klangfülle, gut differenziert und farbenreich wurde er der inneren Größe dieser Kompositionen gerecht.

Danach ging es mit Bachs heiterem „Konzert in C‑Dur (BWV 594) weiter, ein Konzert das Bach in seiner Auseinandersetzung mit der italienischen Musik nach dem „Concerto D‑Dur für Violine und Basso continuo („Grosso Mogul“) (RV 208) von Antonio Vivaldi für Orgel eingerichtet und damit dessen Charakter stark, aber glaubhaft verändert hat. Obwohl man meinen möchte, dass eine Violin-Stimme nicht einfach auf die Orgel transkribiert werden kann, war es nicht nur Bachs Meisterschaft, sondern auch der guten Interpretation des Organisten zu danken, dass bei diesem „Orgelkonzert“ keine Diskrepanz zu spüren war, sondern trotz des typischen, im Unterschied zu den Silbermann-Orgeln leicht „kalkigen“, Klanges der Hildebrandtorgel alles sehr heiter, gelöst und unbeschwert herüberkam.

Für sein chronologisch angelegtes Programm hatte Champion ausschließlich weltliche Werke vom 17. – 19. Jh. gewählt. Die Komponisten wurden immer jünger, die Werke immer heiterer und fröhlicher. Von Johann Christian Kittel (1712 – 1809) erklang „Präludium c‑Moll aus „Sechzehn Präludien“, von Johann Gottfried Müthel (1728 – 1788) die „Fugenfantasie C‑Dur“ und von Johann Christian Heinrich Rinck (1770‑ 1846) das dreisätzige „Konzert F‑Dur („Flöten-Konzert“) aus „Praktische Orgelschule“ (op. 55), dessen besonders heiteres „Rondo Allegretto“ einen unbeschwerten Abschluss bildete.

Bei seinem feinsinnigen Spiel von virtuos bis spielerisch wählte Champion oft „liebliche“ Register mit dem Klang von Holzblasinstrumenten, um den heiter-fröhlichen, oft auch tänzerischen, Charakter dieser kleinen, feinen Stücke zum Teil auch mit französischer Leichtigkeit zu unterstreichen, Vogelstimmen, wie sie in der Barockzeit sehr beliebt waren, oder eine Spieluhr zu „imitieren und, wenn es angebracht war, mit Liebenswürdigkeit und Schönklang oder bravourösen Läufen dem heiteren, gefälligen Charakter der Stücke Rechnung zu tragen.

Mit abwechslungsreicher, stilgerechter und den unterschiedlichen Stücken gut entsprechender Registrierung brachte er die vielfältigen Möglichkeiten der Orgel zum Klingen. Trotz zügiger Tempi legte er Wert auf klare musikalische Linienführung. Jeder Ton, jede Passage kam, ob gewichtig oder mit Leichtigkeit, zur Geltung. Er bevorzugte ein sehr lebhaftes Spiel, lotete die Stücke in ihrem Charakter aus und verstand es, die Orgel mit ihren klanglichen Möglichkeiten in ihrer Spezifik auszutesten und mit ihren vielfältigen Klangfarben vorzustellen.

Das begeisterte Publikum entließ ihn erst nach einer Zugabe. Entsprechend seiner französischen Herkunft wählte er Jean Baptist Lully, den Tanzmeister Ludwigs XIV., mit viel Temperament, zügig und vorwärtsdrängend – auch mit Lautstärke, aber nie schrill – vorgetragen.

Weitere vielversprechende Konzerte, bei denen viele Veranstaltungsorte im Erzgebirge mit einbezogen wurden, waren bzw. sind, um nur einige zu nennen, neben Veranstaltungen des Orgelwettbewerbes u. a. ein „Chorkonzert im Spiegel der Reformation“ mit dem Baden-Württembergischen Vokalensemble Rastatt in der Stadtkirche Sayda mit kirchlichen und weltlichen Kompositionen von D. Buxtehude, H. Schütz, J. S. Bach, J.  Kuhnau und F. Mendelssohn-Bartholdy, ein Kammerkonzert „Musica da Camera“ – Kammermusik von Prag nach Dresden“ in der Bergkirche Seiffen mit Werken deutscher und tschechischer Komponisten der Barockzeit, ein Orgelkonzert mit David Higgs (USA) an der Silbermann-Orgel der Dresdner Kathedrale mit Werken vom Barock bis zur Gegenwart, „Musik de Joye – Musik zur Freude“ mit Flautando Köln und Albrecht Koch anlässlich 300 Jahre Silbermannorgel Pfaffroda, eine „Abendmusik“ mit Auszügen aus der „Clavier-Übung Teil III“ von J. S. Bach mit Bine Katrine Brynsdorf, Dänemark sowie das Abschlusskonzert „Bach.Total“ mit Preisträgern des XII. Gottfried-Silbermann-Wettbewerbes an der großen und kleinen Silbermannorgel des Freiberger Domes – ein sehr vielseitiges Programm auf hohem Niveau.

 Ingrid Gerk

 

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