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WIEN / Theater an der Wien: HANS HEILING

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Heiling_am Grab, breit~1 
Alle Fotos: Theater an der Wien / Herwig Prammer

WIEN / Theater an der Wien:
HANS HEILING von Heinrich Marschner
Premiere: 13. September 2015

Wenn man „Hans Heiling“ nun als Eröffnungspremiere im Theater an der Wien hört, versteht man nicht, wieso Heinrich Marschner so selten – in Wien in den letzten Jahrzehnten szenisch so gut wie gar nicht – gespielt wird. Ist alles außer Webers „Freischütz“ als Vor-Wagner und nicht mehr zu interessierende Romantik abzutun? Zumal sich Wagnerianer einen ganzen Abend im Dutzend zusammensetzen könnten und quizartig zusammensuchen, wo sich Wagner – und nicht nur für den „Fliegenden Holländer“! – ganz direkt von Marschners Werk beeinflussen ließ. Er hat thematische Elemente, musikalische Phrasen und Effekte in reichem Maße hier heraus gepflückt. Und weil das Bessere der Feind des Guten ist, muss dieses vergessen werden?

Dank also an das Theater an der Wien, dieses Werk hervorgeholt zu haben. Und indem Roland Geyer, der Intendant mit Regieambitionen, denen er allerdings weit seltener frönt als mancher seiner Kollegen, diesmal selbst die Inszenierung übernahm, garantierte er sich, dass das Werk auch wirklich erzählt und nicht entstellt wurde.

Wobei, das sei gleich gesagt, das Libretto von Eduard Devrient (den man in der Theaterwissenschaft in historischen Zeiten noch als „Vater der deutschen Schauspielkunst“ vorgestellt bekam) kein Meisterstück ist. Tatsächlich war Devrient nicht nur Schauspieler und Theatertheoretiker, sondern auch Schriftsteller und Sänger und ein Mann seiner Zeit, und er mixte in den „Hans Heiling“ alles hinein, was in der Epoche an Versatzstücken zu finden war – spätes Mittelalter und Sagenwelt, dämonische Geister und brave Bürger, Grusel und Dorfplatzfreude, Liebe, Eifersucht, versuchter Mord, und dazu eine überdimensionale böse Königin sowie einen Helden, der wirklich kaum einen Schritt von Wagners Holländer entfernt ist – in jeder Hinsicht.

Nichts davon kann man heute mehr realisieren, wobei die Optik an unserer Vorstellungen einer „modernen“ Inszenierung entscheidenden Anteil hat. Also bietet die Ausstattung (Bühnenbild: Herbert Murauer, Kostüme: Sibylle Gädeke) jenes uninteressante heutige Grau in Grau, das hässlich genug ist, um zu signalisieren, dass man nicht gestrig sein will.

Dabei erzählt Geyer– mit einer von ihm erdachten, einigermaßen schlüssigen Rahmenhandlung an Heilings Grab – , die Geschichte mit wenigen Änderungen originalgetreu, nur dieses und jenes kommt dazu, ohne dass man es völlig begreift, etwa der Doppelgänger-Effekt (der Chor ist einmal wie die Königin, dann wie Anna, dann wie Heiling gekleidet), besonders entscheidend, wenn die Königin plötzlich Annas Liebhaber als Ersatzsohn zu nehmen scheint, der genau so aussieht wie ihr eigener…

Aber all das entwickelt seine eigene Theaterlogik, die ja für das Gelingen jeder Aufführung entscheidend ist, und so leistet sich Geyer nur absichtsvoll und offen gestanden überflüssig die riesige Vergrößerung eines Problems, an das vermutlich weder Devrient noch Marschner im entferntesten gedacht haben. Dass die Königin ihren Sohn nicht loslassen will, interpretiert der Regisseur als Kindesmissbrauch.

Hier nützt Geyer die Ouvertüre, die nach dem „Vorspiel“ kommt (so wie später Tannhäuser die Venus, fleht Heiling die Königin-Mutter an, ihn auf die Erde ziehen zu lassen), um in verschiedenen Szenen Mutter und Sohn zu zeigen, vom Baby an der Brust über den kleinen Jungen, den halbwüchsigen Buben, den Teenager, um den sie fordernd ihre Beine schlingt, den Älteren, für dessen Fotos sie offenbar freizügig posiert, weshalb er später auch als Fotograf auf die Erde kommt…

Heiling_Denoke verzweifelt~1  Heiling_Sie und er, am Boden~1

Weil Angela Denoke eine Künstlerin ist, die ihre unglaubliche Ausstrahlung immer auch ins Sexuelle wenden kann (ob Salome, Kundry oder Katerina Ismailowa), wird es nicht wirklich peinlich, sondern man nimmt es als Interpretationsansatz. Klar ist jedenfalls, wenn sie zu Beginn den Grabstein des Sohnes schmückt, dass diese Mutter ihn lieber tot sieht als in den Händen einer Menschenfrau…

Dieser Hans Heiling bewegt sich also in nüchternen Ziegelmauern (was die Mama gewissermaßen zur Fabrikseigentümerin oder Konzernchefin macht), und in so grauen Welten setzt man dann ganz auf die Ausdruckskraft der Interpreten, wobei gleich erwähnt werden muss, dass die Bewegungslogistik des Abends durchaus überzeugend ist und vor allem der Chor vorzüglich geführt wird (wohl mit Unterstützung des Choreographen Ramses Sigl, denn Balletteinlagen gibt es ja nicht),

Da ist Michael Nagy in der Titelrolle durchaus ein Glücksfall, ein Sänger, den Bayreuthianer als letzten „Tannhäuser“-Wolfram im Ohr haben, den man in Wien aber noch kaum kennt (jedenfalls nicht aus der Staatsoper). Ein eindrücklicher Gestalter seiner Verzweiflung (auch er, der künftige König der Erdgeister, von der Welt abgeschnitten, sucht Erlösung durch eine Menschenfrau), verfügt er über einen besonders schönen markigen Bariton, der selbst mit der ziemlich hohen Tessitura der Rolle zurechtkommt, nur selten forcieren muss – und jederzeit, den Eindruck hat man, einen ganz fabelhaften Holländer abgeben könnte.

Heiling_er und Chor breit~1

Ähnlich groß ist die Verwandtschaft von Marschners Konrad, der Anna dem Heiling wegschnappt, mit Wagners Erik, nur dass hier noch Reste von Spieltenor-Elementen in der Rolle geblieben sind (vor allem die Arie beim Dorffest), während er dann voll zur Wagner’schen Dramatik des kämpfenden Liebhabers auffährt: Peter Sonn lässt da wahrlich Töne mit tenoralem Glanz hören.

Eine ähnliche Parallele wäre auch bei der Anna zu ziehen – von Mozarts ernsten, deutschen Damen über die Agathe ist sie auf dem direkten Weg zur Senta, nur noch ein kleiner Teil biedermeierlicher Lieblichkeit (dergleichen wird dann durch hölzerne gesprochene Dialoge unterstrichen), aber später, vor allem in ihrem Entsetzen vor Heiling, schon ganz die Dramatische. Nein, die Retterin wie bei Wagner ist sie nicht, aber überzeugendes Objekt der Begierde. Die Russin Katerina Tretyakova, die sich gutes Sprech-Deutsch erarbeitet hat, ist zwar optisch das ideale liebliche Blondchen, stimmlich allerdings zu scharf, zu tremolierend, vom Charakter ihres Soprans nicht für die klare deutsche Gesangslinie geschaffen.

Das Spiel hat noch zwei Damen – wollte man Annas Mutter Gertrude möglicherweise mit der Mary des „Fliegenden Holländers“ gleich setzen, besorgt um die Tochter, scheint sie allerdings auch Daland verwandt, so interessiert ist sie an Heiligs Geld.  Stephanie Houtzeel spielt statt der betulichen, möglicherweise komisch gemeinten Figur durchaus überzeugend eine cool berechnende Mutter von heute, lässt aber einen eher trockenen Mezzo vernehmen.

Die Königin der Erdgeister, Bösewichtin des Geschehens, hat Passagen zu singen, die sie in die Nähe einer Ortrud rücken. Was an der Gestalt in Devrients Gefüge möglicherweise konventionell sein mag, richtet sich Angela Denoke zu einer eigentümlichen, flirrenden Figur zurecht (sie als einzige darf auch wunderbare Garderobe tragen): Diese Frau kämpft mit allen Mitteln, aber dabei mit aller Eleganz und Stil. Dass die Stimme der Denoke durch die vielen dramatischen Rollen, die sie gesungen hat, beschädigt ist, bleibt unüberhörbar, tritt aber in den Hintergrund angesichts des Faszinosums, das sie da auf die Bühne stellt.

Zurück zu Marschner, der sich im „Hans Heiling“ von 1833 durchaus zu Webers „Freischütz“ von 1821 zurückgewandt hat, so wie Wagners „Holländer“ dann 1843 bewusst oder unbewusst aus ihm Inspirationen zog. Da klingen Jägerhörner, da ist das große Melodram der Getrude (halb gesprochen, halb gesungen) in reine Wolfsschlucht-Mystik getaucht, da gibt es Brautjungfern, von denen man geradezu erwartet, dass sie einen Jungfernkranz winden (aber was sie bei Marschner zu singen haben, ist auch sehr schön).

Im übrigen bietet die Musik Biedermeier und Grand Opéra, vielfach italienische Gesangslinie, Chöre, deren Rhythmik einfach mitreißt, wunderbares Schauergruseln mit raffinierten instrumentalen Effekten und auch eingestreute Komik. Es ist bemerkenswert, wie sich der Komponist in allen Stilen zurechtfindet und sie immer richtig zur jeweiligen Situation psychologisch stimmungsmalerisch einsetzt. Am Ende gibt es zwar nicht wie beim „Holländer“ Erlösung, aber für musikalischen Tod und Verklärung ist gesorgt.

Nun könnte das als wilder Mischmasch erscheinen, erklingt aber im Theater an der Wien wie aus einem Guß. Da leistet Constantin Trinks am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien großartige Arbeit, das Divergierende zu einem orchestral fest umrissenen und – das muss man zugeben – äußerst kulinarischen Genuß zusammen zu schmelzen. Und last not least muss der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner), der in diesem Abend alles und dessen Gegenteil zu singen hat, in höchster Bewunderung erwähnt werden.

Am Ende strahlte der Regisseur / Intendant aus allen Knopflöchern. Das war ein Riesenerfolg, und es ist anzunehmen, dass Wiens Opernpublikum diese Oper sehen und hören will. Was muss also das Resümee dieses Theater an der Wien-Abends sein, außer dass man ihn nur empfehlen kann? Bitte mehr Marschner! Wie wäre es mit dem „Vampyr“? Läge sogar im Zeitgeist-Trend. Von diesem Komponisten möchte man jedenfalls mehr hören.

Renate Wagner

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