Mannheim: „TURANDOT“ WA 19.09.2015
Zur Spielzeit-Eröffnung 2015/16 am Nationaltheater gab sich GMD Dan Ettinger neben seinen zahlreichen internationalen Verpflichtungen, wieder einmal die Ehre und dirigierte in seiner ohnedies letzten Spielzeit die WA „Turandot“ (G. Puccini). Ettinger entfesselte mit dem expansiv musizierenden und ausgeruhten Orchester des NT Klangorgien von elementarer Wucht, die gewaltigen Einsätze von Blech und Pauken ließen das Haus erbeben, doch entgegen aller gewaltigen Phoneruptionen, verstand es der charismatische Maestro der Partitur jene lyrischen, herrlich „chinesischen“ Elemente und zauberhaften Kontraste zu entlocken, man vernahm wunderbare Instrumentationen voll Süße und Wohlklang.
Wie bereits zur B-Premiere vor fünf Jahren sang Galina Shesterneva inzwischen als Walküre-Brünnhilde erprobt, die Titelpartie und schenkte der Rächerin der Urahnin keineswegs von Eis umgürtete Töne, sondern überzeugte mit einer bestens geführten, herrlichen Sopranstimme. Dramatisch auftrumpfend bewältigt die Sängerin die hohe Tessitura der Partie ohne jegliche Schärfen, bestach mit ihrem charakteristischen Timbre wohlklingend in allen Sopranregionen sowie mit einer vortrefflich fokussierten Mittellage.
Der inzwischen international renommierte Tenor Zurab Zurabishvili stellte sich am Hause als neues Gast-Ensemblemitglied vor. Den letzten Calaf des aufstrebenden georgischen Tenors hörte ich letztmals vor fünf Jahren und stelle fest, zwischen gestern und heute liegen Welten. Zurabishvilis Stimme gewann an fundamentaler Kraft, entwickelte sich im Raffinement der Konduite ungemein, überrascht immer wieder mit seiner vorbildlichen Legatokultur. Die dramatischen Zwischentöne, die strahlenden, mühelosen Höhenflüge elektrisieren gleichermaßen. Fazit: eine tenorale, belkanteske Interpretation der Sonderklasse.
Ausgezeichnet fügte sich die dritte Hauptpartie Liu ins spannende Geschehen. Astrid Kessler verfügt über große, qualitativ sehr ansprechende Stimmqualitäten und mischte den imponierenden Couleurs ihres schöntimbrierten Soprans noch herrliche Piani bei. In sonore, würdevolle Basstöne hüllte Sung Ha den entthronten Tataren Timur. Video- und lautsprecherverstärkt verkündete der Mandarin (Jorge Lagunes) vom Unheil.
Vortrefflich pointiert und vokal bestens aufeinander abgestimmt charakterisierten Raymond Ayers, Uwe Eikötter, Juhan Tralla die rotbefrackten, glatzköpfigen Minister Ping, Pong, Pang. Wie es sich für den Kaiser von China gehört, verkörperte Mario Brell im Pyjama mit Strohhut den Altoum. Chorsoli-Damen übernahmen die kleinen Nebenrollen. Individuelles Profil verlieh dieser prächtig gelungenen WA der Kinderchor (A.C. Kober) sowie Chor- und Extrachor des NT (Anton Tremmel), welche an Homogenität und Klangschönheit keine Wünsche offen ließen.
Die Produktion von Regula Gerber avancierte inzwischen am NT zum unterhaltsamen Kult-Event. Natürlich tragen dazu vornehmlich auch Dan Ettingers grandiose musikalische Leitung bei. Dem Publikum gefällt inzwischen die kühle Metallkonstruktion mit dem schwingenden Teleskop der Bühne (Sandra Meurer) sowie die teils futuristischen Science-fiction-Kostüme (Dorothee Scheiffarth). Zum Finale: zehnminütige überschäumende Begeisterung für alle Beteiligten.
Gerhard Hoffmann