Dresden / Schlosskapelle: SONDERKONZERT AM GRÜNDUNGSTAG DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 22.9.2015
„Feste soll man feiern, wie sie fallen“ – Gedenktage auch. Dieser Meinung war auch die Sächsische Staatskapelle Dresden und setzte ein Sonderkonzert am Gründungstag der Dresdner Hofkapelle, aus der die Staatskapelle unmittelbar hervorgegangen ist, an. Am 22. September des Jahres 1548 unterzeichnete Herzog Moritz von Sachsen eine „Cantorei Ordnung“ für die Hofkapelle, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch älter ist, aber bei solchen Jahrestagen zählt nun einmal der urkundliche Nachweis.
Das Orchester hat allen Grund, stolz auf seine Vergangenheit zu sein. Die Dresdner Hofkapelle und damit die Sächsische Staatskapelle bestand nicht nur ohne Unterbrechungen weit über vier Jahrhunderte. Sie weist auch eine Kontinuität an Glanzzeiten auf, die ihresgleichen sucht. Man denke nur an solche herausragenden Persönlichkeiten wie Heinrich Schütz, den langjährigen Kapellmeister, unter dem die Kapelle ihre erste Blütezeit erlebte und der sie über die Schwierigkeiten des Dreißigjährigen Krieges führte, J. A. Hasse, unter dem die Kapelle eine erneute Glanzzeit erlebte, C. M. v. Weber und Richard Wagner, die neben ihrer Tätigkeit als Leiter der Hofkapelle ein reichhaltiges Œuvre an musikalischer Weltliteratur hinterlassen haben. Nicht vergessen werden sollte dabei der einstige Violinist, Kontrabassist und zeitweilig amtierende Kapellmeister Jan Dismas Zelenka, dessen Kompositionen lange Zeit kaum Beachtung fanden, jetzt aber als wahre, zu entdeckende Schätze wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken.
Für das Konzert zum 467. Geburtstag, verließ man den angestammten Aufführungsort, die Semperoper, und verlegte das Konzert in die geschichtsträchtige, wiedererstehende, noch nicht ganz fertige, Schlosskapelle des Dresdner Schlosses, eine der Wirkungsstätten von Heinrich Schütz, wo von nun an alljährlich „Geburtstagskonzerte“ stattfinden sollen, die eine neue Tradition begründen.
Unter der Leitung von Alessandro de Marchi kamen in wechselnden Kammerorchester-Gruppierungen Werke von Komponisten aus Vergangenheit und Gegenwart zur Aufführung, die in enger Beziehung zur Kapelle standen bzw. stehen.
Am Beginn stand die „Sinonia (Ouvertüre) zu „Cleofide“ von Johann Adolf Hasse, der von 1733 bis 1763 als Hofkapellmeister in Dresden wirkte und zu dem Ruf der damaligen Hofkapelle als größtes und bestes Orchester Europas beitrug. Diesem Ruf und dieser Tradition fühlen sich die Musiker weiterhin verpflichtet und pflegen ihren einmaligen Orchesterklang, sind aber auch Neuem gegenüber aufgeschlossen. Schließlich gehört auch das zur Tradition. So wurden z. B. bereits Kompositionen des jungen, noch unbekannten Richard Strauss von der Kapelle aufgeführt und später die meisten seiner Opern.
Jetzt gibt es in jeder Konzertsaison einen Capell-Compositeur. In dieser Saison ist es György Kurtág. Von ihm wurden zwei (sehr) kurze Kompositionen, beide für kleines Orchester, im Sonderkonzert aufgeführt. Für „… a Szávesnek …“ war es die Uraufführung. Das Stück ist so kurz und komprimiert, dass es schon zu Ende war, bevor man sich wirklich darauf eingestellt hatte, eine „Mini-Miniatur“, in der die Aussage auf wenige Takte verteilt schien und beharrlich jeder Kontakt zur Tonalität vermieden wird, von den Streichern sehr gewissenhaft ausgeführt und mit sehr feinen, sensiblen kontrastierenden Geigentönen „aufgelockert“. Man hatte einfach nicht mit einer solchen Kürze gerechnet, nach der die „Musik“ in einer längeren „Pause“ noch atmosphärisch „im Raum stand“. Beim erstmaligen Hören kommt man kaum auf den Gedanken, dass es sich um ein stark komprimiertes Stück, eine Hommage an einen Hundertjährigen, den österreichischen Komponisten, Pianisten und Pädagogen Jenö Takács handelt. Das erschließt sich erst mit dem Wissen darum. Für das 2. Stück die „Sinfonia breve“ ebenfalls von Verknappung und Intensivierung geprägt, war es die Deutsche Erstaufführung.
Obwohl de Marchi als Spezialist für Alte Musik gilt und die Kompositionen aus der Barockzeit – außer Hasse stand auch Antonio Vivaldi auf dem Programm – teils vom Cembalo aus leitete, vermisste man bei der eingangs in eiligem Tempo und mit barocker Stufendynamik, sehr „historisch orientiert“, fast „akademisch“ und mit wenig Emotion gespielten „Sinfonia“ von Hasse zunächst den lebensvollen barocken Klang, die überbordende Musizierfreude der Barockzeit, die dann ab dem 2. Satz schon eher anklang. Möglicherweise lag es auch an der trockenen Akustik infolge der Aufstellung der Musiker an der Stirnseite der Schlosskapelle (wo einst der Altar stand). Eine andere Positionierung der Musiker an der Längsseite erwies sich in anderen Konzerten als akustisch wesentlich günstiger. Im kirchlichen Rahmen wurde einst mehr Wert auf das Wort gelegt, die Musik aber folgt anderen akustischen Bedingungen, so dass es verzeihlich wäre, die Musiker in unserer Zeit unkonventionell zu positionieren. Da das Konzert zeitgleich im Hörfunk (mdr Figaro) übertragen wurde, könnten allerdings auch tontechnische Erwägungen eine Rolle gespielt haben.
Bei den beiden Concerti grossi von Vivaldi schien dann schon eher der Bann gebrochen zu sein. Stilgefühl und Musizierfreude der Kapellmitglieder wirkten sich positiv aus. Das „Concerto g‑Moll“ (RV 577) „Per l’Orchestra di Dreda“, eines von mehreren Concerti, die Vivaldi durch die Vermittlung Johann Georg Pisendels, von 1728 bis 1755 Konzertmeister der Kapelle, eigens für die Dresdner Hofkapelle geschrieben hat, die dann ihrerseits zum wichtigsten Aufführungsort für Vivaldis Werke außerhalb Italiens wurde, und das nachfolgende „Concerto F‑Dur“ (RV 568) wurden mit angemessenem Tempo, schöner Klangfülle und Sinn für Musik der Barockzeit wiedergegeben, wenn auch der Klang wiederum durch die harte Akustik getrübt wurde.
Durch seinen Bruder Fritz Busch, Generalmusikdirektor der Staatsoper Dresden von 1922 bis 1933, war der Geiger Adolf Busch mit der Kapelle verbunden. Durch ihn kam seinerzeit auch der Soloauftritt seines Schülers, des 12jährigen Yehudi Menuhin, in Dresden zustande. Im Konzert kam sein „Divertimento“ für 13 Soloinstrumente (op. 30), eine Komposition zwischen Tradition und Moderne zur Aufführung, bei der allerdings wenig „Zugang“ zu dem Werk zu spüren war. Zuweilen waren Anklänge an Richard Straus und auch sehr gegenwärtige Töne zu hören, nur schien sich keine organische Verbindung zwischen diesen beiden Polen aufzubauen. Es war ein Wechsel zwischen lauten, Schlagzeug-lastigen Passagen und dem anklingenden spezifischen Klang der Kapelle.
Durch die vielen „Sternstunden“ bei der Sächsischen Staatskapelle ist man schon so verwöhnt, dass immer Höchstleistungen erwartet werden. Mag bei diesem ersten Sonderkonzert zum Gründungstag auch noch nicht alles ideal gewesen sein. Es war ein Anfang, der für die Zukunft einiges erwarten lässt, auch was Programmgestaltung, akustische Bedingungen und Interpretation betrifft. Eine alte Theaterregel besagt doch, dass am Anfang nicht schon alles „gut gehen“ darf, wenn es gut weitergehen soll.
Ingrid Gerk