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WIEN / Scala:
DIESE BRETTER SOLLEN BRENNEN!
Hassgesänge und Liebeslieder auf das Theater aus zweitausendfünfhundert Jahren
Zusammenstellung und Konzept: Marcus Ganser & Bruno Max
Premiere: 26. September 2015
Selbstbespiegelung, scheinbar kritisch, aber letztendlich natürlich nur grenzenlos selbstverliebt: Welcher Institution sollte man das eher zugestehen als der so unendlich koketten des Theaters? Die Beispiele sind zahllos, und viele der guten bis besten haben Marcus Ganser und Bruno Max nun für das Theater des Letzteren, die Scala, zusammengestellt.
Bevor das Resümee „Gehen Sie nie zum Theater!“ (von Ephraim Kishon, dem man viel Spaßiges verdankt) ohnedies nicht ernst genommen wird und in das poetische „Karussell“ des Jacques Brel übergeht (das man dank Michael Heltau auswendig kennt), gibt es eine herrliche Kavalkade über – dumme, egozentrische Schauspieler, unerträgliche Regisseure, verhinderte Künstler (zum Beispiel im Souffleurkasten), verzweifelte Autoren (Shakespeare, dem man „Sein oder Nichtsein“ zusammen streichen will), unnütze Dramaturgen, … man kommt aus dem Lachen nicht heraus, aus dem hell-fröhlichen und auch aus dem besinnlichen (Ja, ja, so ist’s…) nicht.
Drei Damen, vier Herren bestreiten den Abend, und es ist einigermaßen ausgewogen dafür gesorgt, dass (abgesehen davon, dass ohnedies jeder alles spielt) jeder einzelne seinen Glanzpunkt hat – Irene Halenka mit der Veräppelungen der geheiligten Strassberg-Methode, Gabi Stomprowski über das Wichtigmachen der Nebenrollen, Klara Steinhauser über eine künftige Desdemona, die unbedingt strohblond sein will. Bei den Herren zeigt Jörg Stelling (als „Jörg Maria“ angekündigt, um den wahren Rang klar zu machen) dem ärgerlich begabten Frischling Julian Schneider, wo’s lang geht, Bernie Feit ist der Dramaturg, von dem niemand weiß, wozu man ihn braucht, und Hermann J. Kogler ohnedies der heimliche König des Abends, ob als fiktiver Regisseur „Müller-Melchert“, ob als André Hellers „Souffleur“, ob (mit Stelling) in dem Qualtinger-Klassiker „Der Menschheit Würde“.
Wer das Theater liebt, wird auch diesen Abend lieben, der vor Plakaten zahlloser Scala-Vorstellungen gespielt wird, spürbar liebevoll in Gang gehalten von Marcus Ganser & Bruno Max, wie immer sie sich auch die Arbeit verteilt haben.
Draufgabe: eine böse Vernichtung des Sponsorenwahns. Nur, wer auf das Geld der Großen verzichtet, kann es sich leisten, so schonungslos die Wahrheit zu sagen.
Renate Wagner
Und ewig gültig: Kurt Tucholsky
An das Publikum
O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: »Das Publikum will es so!«
Jeder Filmfritze sagt: »Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!«
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
»Gute Bücher gehn eben nicht!«
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
So dumm, dass in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte …
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
Ja, dann …
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
Ja, dann …
Ja, dann verdienst du’s nicht besser.