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BLACK MASS – DER PATE VON BOSTON

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FilmPoster Black Mass~1

Ab 16. Oktober 2015 in den österreichischen Kinos
BLACK MASS – DER PATE VON BOSTON
BLACK MASS / USA / 2105
Regie: Scott Cooper
Mit: Johnny Depp, Benedict Cumberbatch, Joel Edgerton, Kevin Bacon u.a.

Er ist ein leidenschaftlicher Vater seines kleinen Sohnes und untröstlich, als dieser stirbt (was dann aus der Mutter des Jungen [Dakota Johnson] wird, erfährt man nicht, aber vermutlich nichts Gutes). Er ist ein zärtlicher Sohn seiner alten Mutter und trauert ehrlich, als er stirbt, sitzt mit dem jüngeren Bruder am Küchentisch, und man spürt ihre Verbundenheit. Ein Familienmensch. Und dennoch war James „Whitey“ Bulger – wenn er denn so war, wie dieser Film ihn zeichnet, und warum sollte man es bezweifeln? – einer der übelsten Gangster und brutalsten Mörder seiner Zeit in Boston. Damals, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als er nach und nach die ganze Palette der Unterwelt (Prostitution, Waffen, Glücksspiel und natürlich Drogen) fest in seinen irischen Händen hielt.

Bulger (der erst 2011 auf der Flucht endlich geschnappt wurde) „sitzt“ lebenslänglich, um den muss man sich keine Sorgen machen, ein Sachbuch („Black Mass: The True Story of an Unholy Alliance Between the FBI and the Irish Mob“ von Dick Lehr und Gerard O’Neill, zwei Reportern des „Boston Globe“) hat seine Geschichte erzählt. Regisseur Scott Cooper (es ist erst sein dritter Film, bemerkenswert wie die „schrägen“ Vorgänger („Crazy Heart“, 2009, und „Auge um Auge“, 2013) fasst das Wesentliche der Geschichte stark zusammen. Denn es geht weniger um die schmutzigen Geschäfte, die laufen im Hintergrund. Wirklich spannend an der ganzen Sache war, wie es Bulger gelang, mit Hilfe eines Jugendfreundes – irische Jungs von der Straße, in eiserner Loyalität zusammen geschmiedet – seine Untaten über Jahre quasi unter den Augen des FBI zu begehen, ohne dass er weiter behelligt wurde. Dass sein jüngerer Bruder ein hoher Politiker in Boston war, hat ihm auch nicht geschadet – das sind Verhältnisse, denen man nur mit großen erstaunten Augen quasi ungläubig zusehen kann.

Der Film fand in den USA so viel Beachtung, weil Johnny Depp nach vielen billigen Lustspielfilmen und ebenso billigen Leistungen darin endlich wieder eine Rolle hat, die sich nachdrücklich einprägt: Man muss schon sehr kaltblütig sein, um angesichts dieses sadistischem Monsters keine Gänsehaut zu bekommen. Dieser Bulger lässt ohne die geringsten Skrupel morden, und er tut es ohne Bedenken selbst. Es gibt viele schauerliche „zwischenmenschliche“ Szenen, am schrecklichsten ist aber zweifellos, als er eine junge Frau, von der er meint, sie habe bei der Polizei geplaudert, eigenhändig erwürgt. Seine „Untergebenen“ stehen stumm, wie peinlich berührt dabei, und räumen anschließend schweigend den Dreck auf, sprich: entsorgen die Leiche. Depp – mit Glatze und schütterem Haar darum, auf Anhieb kaum zu erkennen – zeigt nie, wo die Borderline-Grenze eines so „selbstverständlichen“ Verbrechers zum Wahnsinn verläuft, aber vermutlich ist das im Leben ja auch nicht zu erkennen.

Es waren übrigens am Ende mehrere von Bulgers Capos, seine Handlanger und Mörder, die aus Angst um ihr eigenes Leben zur Polizei „flüchteten“, weil sie lieber Gefängnis als die Möglichkeit riskierten, in einer Sekunde aus dem Handgelenk mit einem Kopfschuß hingerichtet zu werden… Ihre „Interviews“ rahmen den Film ein. Und sie brachten auch das feste Netz, das John Connolly gesponnen hatte, zum Reißen.

Joel Edgerton (der als besonders schwacher „Ramses II“ fast Ridley Scotts Bibel-Epos „Exodus“ zum Einsturz gebracht hätte), ist hier richtig: Der FBI-Mann, der nach Erfolgen anderswo in seine Heimatstadt Boston heimkehrt, mit dem Auftrag, die Mafia-Familie der Angiulo Brüder zu Fall zu bringen. Die sind nun auch die größten Konkurrenten von Bulger, und indem Connolly dem FBI einredet, Bulger arbeite als unschätzbare Undercover-Quelle für sie, kann dieser völlig geschützt seinen Geschäften nachgehen – und Connolly geht langsam in Luxusanzügen, mit Luxusuhren durch die Welt und erkennt selbst, so will es scheinen, die Grenzen zwischen irischer Bruderloyalität und strikter Verwicklung in Verbrechen nicht mehr… Seine Frau (Julianne Nicholson), die sich von ihm abwendet, durchschaut das alles sehr wohl…

Eine besonders interessante Gestalt ist der Politiker-Bruder, der durch die Besetzung mit Benedict Cumberbatch ungemein aufgewertet wird, der die Glätte des professionellen Politikers über innere Unruhe legt. Einer, der weiß, wie er sich nach außen verhalten muss, aber von den Familienbanden fest gehalten wird – der Sturz des Bruders zog auch ihn hinab, aber wenn man von der Politik dann „nur“ in der Universität landet, ist man für allerlei Verwicklungen (aus denen er sich heraushalten will und nicht kann) nicht zu hart bestraft…

In hervorragenden Nebenrollen-Studien zeigen Jesse Plemons (als Kevin Weeks), Rory Cochrane (als Flemmi) und W. Earl Brown (als Johnny Martorano) – die zur Polizei flüchtenden Handlager Bulgers – wie auch die härtesten Mörder angesichts eines Monsters, wie Bulger es war und Depp ihn spielt, glatt in die Knie gehen… Man ist als Zuschauer gleicherweise erleichtert, wenn man sich aus dem (meisterlich gezeichnet) kriminellen Boston von anno dazumal wieder verabschieden darf.

Renate Wagner

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