Nürnberg: “GÖTTERDÄMMERUNG”– Zeitloses Polit-Drama
Gunther, Siegfried, Hagen (Foto: Ludwig Olah
Musikalisch unter Marcus Bosch eine– fünfstündige- Einheit aus Klangschönheit und fesselnder Dramatik! Der Dirigent steuert mit seiner exzellent disponierten Staatsphilharmonie Nürnberg das Bühnengeschehen mit goldrichtigen Tempi und pulsierender Dynamik in allen unterschiedlichen Szenen und Situationen souverän und expressiv. Selbst der lange 1.Akt ist ein Kontinuum an Spannung, wie man es nicht oft erlebt. In Zusammenarbeit mit dem einfallsreichen Regieteam und einem hervorragenden Sängerensemble mit echten großen Wagner-Stimmen wird der letzte Abend der Nürnberger Tetralogie zu deren Höhepunkt. Regisseur Georg Schmiedleitner, Bühnengestalter Stefan Brandtmayr (beide Oberösterreicher) und Kostümbildner Alfred Mayerhofer (aus der Steiermark) haben es geschafft, in modernem Gewand eine zeitlose Tragödie theaterwirksam zu inszenieren. Unter Einsatz der Hebebühne, die größtenteils der Oberschicht (Siegfried und Brünnhilde, Gibichungen) als Auftrittsrampe dient, während darunter nicht genau definierbare Gruppen –Nibelungen? Flüchtlinge? – gequält und vergeblich protestierend irgend welche untergeordneten Dienste versehen und einige sogar hingemeuchelt werden.Auch Siegfried kommt auf seiner Rheinfahrt an ihnen vorbei, ignoriert sie aber. Die zivilen Herren aus dem Gefolge Gunthers, mit sauberen Hemden und Krawatte, ohne Militärausrüstung, sind von ihm und von Hagen ebenso leicht zu manipulieren wie andernorts diverse bewaffnete Einheiten. Politische Schlagzeilen (“Wélcome refugees” u.dgl.) zieren den Zwischenvorhang. Medial flimmern im Hintergrund immer wieder heutige Vorkommnisse auf den Bildschirmen vorbei. Aber das bleibt Gott sei Dank peripher und stört nicht das von Wagner erdachte Bühnengeschehen. Die Nornen kommen aus dem Zuschauerraum – ihre Fäden werden offenbar weltweit gesponnen. Dass die attraktiven jungen Damen über die Sitzreihen klettern müssen, assistiert von handreichenden Zuschauern -legt die Deutung nahe, dass wir alle an ihren / unseren “Fäden” mitspinnen. Aber musikkonform ist das nicht. Im Orchester ist diese Szene weit schöner, umfassender und tiefgründiger! Das trifft auch auf das Finale der Oper zu, wo kein Weltunterganggezeigt wird, sondern Brünnhilde, Gutrune und die Rheintöchterwerden von einer Journalistin zu diesem “Event” pantomimisch interviewt, schreiben z.T. ihre Mitteilungen in eine Chronik, z.T. auf Laptop oder verständigen sich mittels I-phone. Das mag originell sein, beeinträchtigt aber gewaltig die weltbewegende Botschaft Richard Wagners, die er uns unmissverständlich in seiner grandiosen Theatermusik mitteilt: Untergang einer großdimensionierten Welt, geboren aus Wotans Visionen und Tatkraft, zugrunde gegangen durch seine Schuld, gesühnt durch den Tod und auch die Einsicht der Hauptpersonen, erlöst durch die Liebe, offen für einen Neubeginn. Dieses Finale ist durch eine Kritik am modernen Medienrummel nicht ersetzbar. Alles andere, was die Regiezwischenerster und letzter Szene präsentiert, ist nicht nur diskutierenswert, sondern z.T. höchst beeindruckend. Es ist sehr viel Leben auf der Bühne und alle Sänger stellen ausgeprägte Charaktere von zeitloser Gültigkeit dar. Dass Siegfried und Brünnhilde in einem gutbürgerlichen Heim hausen, hat mich innerhalb des Gesamtkonzepts so wenig gestört wie die neureichen Gibichungen in einer Industriehalle oder die Rheintöchter in einem Plastikbadebecken. Der Regisseur hat nämlich auch den Humor nicht ausgespart – wie schon in den vorhergehenden Inszenierungen, vor allem im “Siegfried”, kann aber an den entscheidenen Stellen zutiefst berühren. Am meisten mit Siegfrieds Tod.
Hagen, Alberich. Foto: Ludwig Olah
Zu meiner großen Freude wird Siegfried in dieser Produktion in den Mittelpunktgerückt und darf die Lichtgestalt bleiben, um die sich der Vernichtungswille der Machthaber dreht. Vincent Wolfsteiner ist von einer geradezu sprühenden Lebendigkeit. Nicht nur strahlt er vokal unermüdlich mit seinem in allen Lagen topsicheren, kraftvollen Tenor, incl. hohem C am Rheinufer, sondern verkörpert damit zugleich die knabenhafte Lebensfreude, das Selbstvertrauen und die naïve Abenteuerlust des Wagnerschen Wunschhelden höchst glaubwürdig. Er ist nicht gerade ein edler Wälsungenspross, sondern ein breitspurig daherkommender, mit seiner Kraft gern prahlender Draufgänger, der auch einmal-zweimal querüber die Bühne hinter seinem Eber herrennt, gern Gesichter schneidet und so schön naivlachen kann. Beklemmend wird sein Tod gestaltet. Hagen stößt den Ahnungslosen in das Rheintöchterbecken, sticht dort mehrmals auf ihn ein, und, von zwei Chormannen verdeckt, beschmiert man ihn dort am ganzen Körpermit Blut, denn wenn er zu seinem Schlussgesangwiederauftaucht, trieft er davon. Die “heilige Braut” besingt er wirklich in Trance und sinkt dann zu Boden. Die Mannen weichen zurück, Gunther steht hilflos hinter dem Toten und will – während des Trauermarsches – seine Männerbewegen, Siegfried aufzuheben und wegzutragen, aber alle drücken sich um diesen Hilfsdienst, sodass Gunther schließlich allein dasteht, Siegfried aufhebt und blutüberströmt so dastehen lässt. Wenn die Hebebühne mit Gutrune hochfährt, steht Siegfried noch immer – gespenstisch – in derselben Position. Wenn er sich schließlich langsam nach hinten bewegt und auf die herabgesenkte Bühnenfläche fallen lässt, schauderte seinen – lebt er etwa doch noch? Und man sinnt nach über die Unsterblichkeit solcher Helden…Natürlich hebt er dann auch die Hand mit dem Ring, wenn Hagen, der zuerst aus dem Seitengang des Parketts sein Recht darauf herausgeschrieen hat, danach greifen will. Marcus Poschner lässt seine Musiker diese Schlüsselszene mit einer ungeheuren inneren Spannung spielen. Wenn sie mit dem Bühnengeschehen so perfekt zusammengeht, entsteht eben ein wahres Musikdrama! Die große sängerdarstellerische Leistung des Tenors machte es möglich, dass die Szene nichts Konstruiertes an sich hatte. Die sehr kräftig gebaute Brünnhilde von Rachael Tovey konnte da gut mithalten. Ihr voluminöser Sopran bewältigt Lyrik und Dramatik gleichermaßen und die Sängerin weiß Liebe, Verzweiflung, Hass, Rachebedürfnis und Sühnebereitschaft überzeugend zu gestalten. Eine noptisch und vokal trefflichen Gegensatz bildet die schlanke, attraktive Gutrune von Ekaterina Godovanets– einmal keine Nutte, sondern eine ehrlich dem unbedarften Siegfried zugeneigte junge Frau, die den sie bisher umgebenden Männern gern entweicht. Der fesche, energische Gunther des beliebten Nürnberger Hausbaritons Jochen Kupfer bleibt ebenfalls ein Mensch – unter dem Einfluss des machtbesessenen Halbbruders zu Lug und Trugverführbar, stimmlich jedoch bis zuletzt eine Autorität. Der kleine, dickbäuchige, bebrillte koreanische Politiker, wie ihn Woong-Jo Choi im “weißen Hemd” darstellt, kommt einem recht bekannt vor. So sehen die Machthaber von heute aus: nachaußen die Form wahrend, dabei zu jeder Schandtatbereit. Der harte, durchdringende Bassbariton des Sängers passt ganz gut zu dieser Figur. Ein schöner, sonorer tiefer Bass wäre hier gar nicht so effektvoll. Vater Alberich bleibt in Gestalt von Antonio Yang die graue Eminenz im Hintergrund. Roswitha Christina Müller profiliert sich als energisch um die Aufrechterhaltung des Regimes ihres Göttervaters bemühte Waltraute mit dramatischem Mezzo. Ida Aldrian, Solgerd Isalv und Anne Ellersiek heißen die namenlosen drei Normen privat, die stimmlich und darstellerisch demonstrieren, dass sie ihr verantwortungsvolles Amt ernst nehmen. Als sehr hübsche, verführerische Rheintöchter beweisen die selben drei Sängerinnen ihre bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit. Die Schicksalsfäden kommen übrigens noch mehrmals zum Einsatz, so etwa, wenn Siegfried gleichsam zum Spaß von den Mädchen mit einem Plastikfaden von einer Tonbandrolle umwickelt wird, sich dieses Korsett aber energisch vom Körper reißt und damit seinen unbedingten Freiheitswillen bekundet – auch wenn dieser in den Tod führt. Tarmo Vaask hat den durch Gäste verstärkten Chor des Hauses wortklar, konzentriert und stimmkräftig zum Einsatz gebracht und der Regisseur hat dafür gesorgt, dass er aus Individuen durchaus menschlichen Zuschnitts besteht, die nicht-deutschen Chormitglieder wohl auch bewusst mehrmals in den Vordergrundgerückt und nicht nur die Manipulierbarkeit dieser optisch keineswegs “königlichen” Gefolgschaft, sondern auch ihre Skrupel sichtbar gemacht. Alles in allem: Es waren bei dieser Wagner-Produktion Könner am Werk.
Der zunächst zögerliche Schlussapplaus ist wohlauf die unpassende Bebilderung des Finales zurückzuführen. Danach gab es gut auf die einzelnen Leistungsträger abgestimmten Jubel ohne Widerspruch.
Sieglinde Pfabigan