Heidelberg: Le nozze di Figaro 13.10.2015
Das Theater Heidelberg setzt seinen Mozart-Zyklus fort und bringt zu Beginn der Spielzeit „Die Hochzeit de Figaro“. Eine Oper, die wahrlich immer aufgrund ihrer crescendohaften szenisch-musikalischen Faktur begeistern kann, falls sie durch langweilige szenische Umsetzung nicht vom Fleck kommt. Bei den Salzburger Festspielen ist man diesbezüglich jüngst knapp an einem Desaster vorbeigeschrammt.
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Mi Rae Choi, Ipca Ramanovic, Irina Simmes, Young-O Na, Chor, (c) Annemone Taake
Wie man es anders machen kann, zeigt jetzt das kleine Theater und Orchester Heidelberg unter der Stabführung vom neuen GMD Elias Grandy und der Regie von Nadja Loschky, die eine Funken sprühende Aufführung creieren und dieser genuinen Opera buffa so zu ihrem angestammten Recht verhelfen. Von Anbeginn schwört Grandy das Orchester auf schnelle, ja gewagte Tempi ein und peitscht seine Musiker bei sparsamster Zeichengebung sprichwörtlich nach vorn. Aber auch seelenbetonte Romantik kommt nicht zu kurz, da die Heidelberger, auch am „Genius loci“, wundersam aufzuspielen bereit sind. Besonders der 2.und 4.Akt kamen so zu einer ganz besonderen Gewichtung, während die anderen Akte durch kluge Akzentsetzungen nicht zu reinen Ohrwürmern verflachen.
Es existiert ein breiter Diskurs darüber, daß Le Nozze in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs spielt, und dass die Beziehungen der Stände zueinander plötzlich völlig verunsichert sind. Der Graf hat das Jus primae Noctis abgeschafft. Nun muss er sehen, dass das seine Diener und Angestellten auch voll ausnützen. Nadja Loschky zieht hier die Oper aus ihrer Handlungszeit Ende des 18.Jahrh. heraus und macht eine Art modernes Familienunternehmen daraus, dessen männliches Oberhaupt eine Wahlkampagne als Politiker betreibt. Wie in einer Firma gibt es ein Almaviva-Firmenlogo, und die Kleidung des gesamten Clans ist auch uniform und zwar rote Anzüge und Kostüme (Violaine Thel). Natürlich ist die Beziehung Graf – Diener etwas anders geartet als diejenige Vorgesetzter – Angestellter. Diesem Dilemma möchte Lotschky entgehen, indem sie die Personenführung für alle einsichtig zum Ausdruck bringt und die Bühne ganz nach vorne zieht, so dass in einem öffentlichen (Einheits)raum (Ulrich Leitner) nichts verborgen bleiben kann. Und es funktioniert. Der Raum erinnert etwas an postsozialistische Architektur, mit kleinen durch Stores verdeckbaren Nischenfenstern und einer leicht ovale Hinterwand in gediegenem Holzbraun. Eine weibliche Stimme verkündet immer wieder auf italienisch, in welchem Zimmer sich die Angestellten einzufinden haben, die diesen Aufrufen auf witzige Art im Gänsemarsch Folge leisten.
Die kleinen Chöre singen ihre Ständchen sehr anständig hinter den Nischenöffnungen und tragen Schilder mit Buchstaben, die das Wort „progresso“ ergeben. Heidelberg stellt auch wieder ein gesanglich tolles Ensemble auf die Bühne. 2 Bäuerinnen aus dem Opernchor, nicht die einzigen, sind Ekaterina Steckert und Jana Krauße. Den köstlich stotternden Curzio gibt Young-O Na, der Gärtner Antonio singt und mimt trocken David Otto. Die Barbarina gibt rollendeckend Mi Rae Choi. Der Basilio ist Winfrid Mikus und hat hier auch eine gehobene Hausmeisterposition inne. Das alte Paar setzt sich aus Carolyn Frank als etwas spröde hochnäsige Marcellina mit Platinfrisur und aus Wilfried Stabers Bartolo, einem extrem wackligem Greis mit heftigen Bedürfnissen zusammen. Zum 1. Mal ist der Cherubino an einem deutschen Stadt- bzw.Staatstsheater mit einem Countertenor, mit Kangmin Justin Kim besetzt. Das ‚vereinfacht‘ im Spiel Einiges, besonders die Umkleidung in Frauenkleider. Kim hat einen angenehm runden hell timbrierten Countertenor zu bieten. Den Conte Almaviva gestaltete Ivca Ramanovic. Im Spiel muss der heftig Verliebte auch mit einer an Folter grenzende Haartolle, die noch dazu rot gefärbt ist, fertig werden. Stimmlich erscheint er bariton-gepflegt und erzmusikalisch und zuletzt auch ohne Gräfin zumindest der gewinnende Politiker. Figaro ist der kleine drahtige Jewgenij Alexejew mit wundersam dunkel timbriertem Baßbariton, dem Susanna sicherlich nicht widerstehen kann. Aber auch sie ist in der Gestalt Katharina Göres‘ vom Nationaltheater äußerst agil und mit schönstem süßem Sopran besetzt. Iris Kupke singt von der linken Seite die Contessa und verbleibt mit ihrer Dove-sono-Arie in schmerzlich großartiger Erinnerung, und mit ihren duftig dramatischen Stimme gibt sie der schlanken Gestalt von Irina Simmes auf der Bühne großes Gewicht.
Friedeon Rosén