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NÖ / Festspiele Reichenau: MADAME BOVARY

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© Festspiele Reichenau, Fotos: Carlos de Mello

NÖ / Festspiele Reichenau:
MADAME BOVARY von Gustave Flaubert
Neue Bühnenfassung von Nicolaus Hagg
Uraufführung
Premiere: 6. Juli 2013 
Besucht wurde die Generalprobe

Die großen Ehebrecherinnen der Weltliteratur dürfen in Reichenau durchmarschieren. Im Vorjahr war es Tolstojs „Anna Karenina“, heuer ist es Flauberts „Madame Bovary“, und nächstes Jahr kann man wohl mit Fontanes „Effie Briest“ rechnen. Frauenschicksale von anno dazumal, Zeitporträts großer Dichter, an sich in der epischen Form eines Romans, was nicht immer ganz einfach und selten verlustlos auf die Bühne zu bringen ist. Immerhin ist es Nicolaus Hagg gelungen, der Madame Bovary eine Fassung zu verleihen, die sowohl ihr individuelles Schicksal wie ihre Umwelt umreißt. Dennoch ist die Geschichte manchmal zu lang (mit fast drei Spielstunden), und gewissermaßen tut man sich heute damit schwer, wenn man es nicht nur als historischen Bilderbogen nimmt.

Natürlich ist es ein Fehler, gestriges Verhalten aus der Sicht von heute zu beurteilen oder gar zu verurteilen (was so oft geschieht) – andererseits sind wir von heute und fragen das Gestrige, was es uns zu sagen hat. Nun, vom Standpunkt einer Frau von heute, die einen Beruf und damit ihre finanzielle Selbständigkeit und persönliche Unabhängigkeit besitzt, die weiß, was man von Männern zu halten und wie man mit Geld umzugehen hat, ist Madame Bovary (und ihr Verhalten) schlicht eine Katastrophe (was man auch bei der Lektüre des Buches empfindet). So naiv. So unreflektiert. So dumm. Aber eine historisch begründete Katastrophe.

Flaubert schildert – wobei wichtig ist, dass die Geschichte in der Provinz mit ihrer gegebenen sozialen Enge spielt und nicht in der Großstadt Paris – , wie bürgerliche Frauen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Vorstellungen vom Leben aus Kitschromanen bezogen – vielleicht ist sein Roman vor allem ein Buch über die unreif-kindische Vorstellung, dass das Leben wie ein Roman sein soll. Ein Mädchen wie Emma, das aus dem Kloster kommt und an einen älteren (und in diesem Fall: milden, weichen, schwachen) Mann verheiratet wird, das keinerlei Pflichten auf sich nimmt (auch die der Mutter nicht – da müssen Ammen und Kindermädchen her), muss in das verfallen, was man damals Melancholie nannte, heute als Depression bezeichnen würde und was sich aus der Inhaltsleere einer Existenz begründete. Hier nach romantischen Gefühlen zu suchen und zum willigen Spielzeug routinierter Männer zu werden, ist ebenso folgerichtig wie das, was wir heute als „Kaufrausch“ bezeichnen, um das Sein durch das Haben zu ersetzen. Nun, die arme Emma wird bekanntlich schwer bestraft und stirbt durch eigene Hand.

Überaus geschickt arbeitet die Bearbeitung und die Aufführung im Neuen Raum in Reichenau das Thema auf zwei Ebenen ab: Einerseits ist da die Entwicklung von Emma, die wirklich als unschuldig-naive, mädchenhafte Erscheinung in das Provinzkaff in der Normandie kommt, wo ihr Gatte die Stelle des Arztes angenommen hat. Durch ihre Unruhe, Langeweile, Unzufriedenheit führt ein langer Weg – über den Gutsherrn und den Studenten zwecks Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse (und zur daraus folgenden enttäuschenden Einsichten in männliches Verhalten), bis zur Verstrickung in den finanziellen Untergang, der von einem betrügerischen Geldmenschen ganz leicht gemacht wird. Die Emma, die am Ende Gift nimmt, ist durch alle verzweifelten Erkenntnisse über die Mitmenschen gegangen (weniger durch die Erkenntnis ihrer selbst) und stirbt im tragischen Rasen gegen die Welt: keine leichte Aufgabe. Stefanie Dvorak -  von Erika Navas  dankenswerterweise so gekleidet, dass sie in vollem Reiz erstrahlt – meistert das fulminant, weil sie als der Typ der Durchschnittsfrau gelten kann, der man dennoch glauben kann, an den Stäben ihres Käfigs zu rütteln – und die die Verwandlung in eine Gehetzte, Verzweifelte, am Ende Zerstörte bewundernswert vollzieht.

 

Rund um Emma lebt die Kleinstadt, die „Provinz“, wie Flaubert sie in ihrer Mischung aus Engstirnigkeit und scheinbarem Fortschrittsglauben, aus Klatsch und Bosheit, Tücke und Berechnung dargestellt hat, wie man sie in jedem kleinen Biotop findet. Da man in Reichenau immer hoch besetzt, sind etwa der halbseidene, sich so progressiv gebende Apotheker mit dem schneidend scharfen Peter Matic und der Pfarrer, der eigentlich nichts zu den Seelenschmerzen seiner Schäfchen zu sagen hat, mit dem exzellent evasiv wirkenden Günter Franzmeier besetzt. Glänzend der schleichende Versucher, der in den Untergang geleitet: Hans Dieter Knebel, der anfangs scheinbar nur seine Schals verkaufen will, dann Kredite, schließlich am finanziellen Zusammenbruch profitieren möchte – eine Figur, die sich mit minimalen Schattierungen zur Schreckensfigur wandelt. Und ein „Honoratior“ der Stadt wie Rainer Friedrichsen ihn darstellt, würde für ein Schäferstündchen mit der schönen Arztgattin auch bezahlen… gar nicht unglaubhaft. Alles ist ganz schrecklich typisch und wirkt sehr wahr.

Viel holt Regisseur Michael Gampe auch aus den Frauen – wenn Elisabeth Augustin eine verbitterte Schwiegermutter spielt (deren Klagen, dass die gute Emma einfach etwas arbeiten sollte, bei uns auf offene Ohren stößt), Wanda Worch ein halb loyales, halb käufliches Dienstmädchen (was sollen die armen Geschöpfe schon tun) und immerhin Marianne Nentwich eine Apothekersgattin zwischen Ängsten und Intrigen, dann hat das schon bemerkenswertes Niveau. Und auch wie Michael Pöllmann (wenn auch an der Grenze zum Klischee und letztlich sehr „romanhaft“) den Behinderten darstellt, der Madame Bovary anbetet, fügt sich in das reiche Figuren-Panorama dieser Geschichte.

Als  höchst interessantes Gesicht stellt sich Mario Klischies als jener Student vor, der schnell lernt, für Madame Bovary die Hosen herunter zu lassen, nachdem sie bei Michael Dangl (souverän, verlogen, oberflächlich als Gutsherr) gelernt hat, dass sie auf ins Ohr geschwafelte Gefühle nicht zählen kann. Aber nicht die Liebhaber sind die interessanten Männer des Abends, sondern jener, der als der uninteressanteste gemeint ist: der arme Doktor Bovary, der seiner Emma so blind ergeben ist, dass er blind sein möchte für alles, was sie tut (und so evident falsch macht, dass man kaum darüber hinwegsehen kann). Dass da kein Trottel auf der Bühne steht, über den man nur den Kopf schüttelt, sondern ein zutiefst bedauernswerter, in allen Bereichen seines Lebens überforderter Mensch, dankt man einer Meisterleistung von André Pohl.

Der Mann, der all dies zusammenhält (die nötigen Versatzstücke – auf der Raumbühne ist ja weiter nichts möglich – hat wie immer „Chef“ Peter Loidolt beigesteuert), ist Michael Gampe, der das „Sittenbild“ ausspielen lässt, ohne es zu überdrehen, und der nur gut daran getan hätte, auf mindestens eine halbe Stunde Spielzeit zu verzichten (zumal sich vieles wiederholt – was natürlich auch seine Begründung hat).

Wer den Roman nicht kennt und sich die Mühe des Lesens gerne spart („Did you read ’Madame Bovary’?“ „No, but I know the movie!“), kann hier im Theater statt im Kino einen inhaltlich sehr guten Umriss des Romans bekommen.

Renate Wagner

 

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