Münster: Hänsel und Gretel – zauberhaft
Premiere 17. Oktober 2015
Foto: Oliver Berg
An vielen Theatern ist es üblich, vor Weihnachten ein Märchenstück aufzuführen, das füllt die Häuser! Soll es nicht eine Art Kindermusical sein, sondern soll eine „richtige Oper“ mit richtig grossem Orchester gewagt werden, nimmt man das Märchenspiel in drei Bildern „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck auf den Text seiner Schwester Adelheid Wette. Passend wurde es am Tag vor Heiligabend des Jahres 1893 in Weimar immerhin unter Leitung von Richard Strauss uraufgeführt. Kurz vor dem benachbarten Dortmund (8. November) fand in Münster die Premiere am vergangenen Samstag unter der Musikalischen Leitung von Stefan Veselka in der Inszenierung von Andreas Beuermann statt.
Letzterer ließ wie heute fast schon üblich aber immer unpassend bereits zum Vorspiel Handlung auf der Bühne stattfinden. Nach der Tempobezeichnung „Munter“ in der Partitur zeigte er erst die Hexe, dann wie Vater Peter im Beisein von Mutter Gertrud und den noch ganz kleinen Kindern ein Bild vom Ilsenstein an der häuslichen Wand befestigte. Damit wollte der Regisseur, wie im Programmheft angedeutet, erklären, wieso Vater Peter gegen Ende des ersten Bildes, als die Kinder schon im Wald unterwegs sind, im Walzertakt von der Knusperhexe erzählen konnte, während seine Frau von ihr nichts wußte.
Foto: Oliver Berg
Danach wurde die Handlung so erzählt wie wir sie seit Kindertagen kennen. Nach dem ersten Bild prägten das zauberhafte Bühnenbild von Christian Floeren (auch für die konventionellen Kostüme verantwortlich) und das Videodesign von Daniël Veder die Aufführung. Die Drehbühne sorgte während des Hexenritts für eindrucksvollen Ortswechsel vom elterlichen Wohnzimmer zum grünen Wald mit scherenschnittartigen Tannen im Vordergrund. Lichteffekte liessen dann später den Wald mit geisterhaften Nebelfrauen bedrohlich erscheinen. Mit solch bedrohlicher Darstellung des „deutschen Waldes“ haben ja auch etwa im „Freischütz“ oder „Siegfried“ andere Regisseure ihre Schwierigkeiten. Wer „Hänsel und Gretel“ sinngemäß entsprechend der Musik aufführen will, muß in Kauf nehmen, daß die Bebilderung der Pantomime am Ende des zweiten Aktes, nämlich der Auftritt der vierzehn Engel nach dem „Abendsegen“, für manche aufgeklärte Intellektuelle kitschig wirken kann. Hier beschützten statt der Engel Pflanzen des Waldes wie Pilze oder Bäume die schlafenden Kinder – wie sich später zeigte, hatte die Hexe ihre Opfer nicht in Lebkuchen sondern in diese verwandelt. Daß sie dabei auch noch mit den Armen wedeln mußten (Choreographische Mitarbeit Erik Constantin), hätte man vielleicht sparen können. Ergreifend war die Idee, daß sie die beiden Kinder zum Schlafen mit Moos zudeckten. An die hiesige Inszenierung der „Zauberflöte“ erinnerte ein am Himmel erscheinender Koloß, der sich in ein freundliches zum Schlafen die Augen schliessendes Himmelsgesicht verwandelte. Die Drehbühne sorgte dann im dritten Bild wieder geschickt für den Ortswechsel zum Knusperhäuschen – es war auch nur ein Häuschen – der Ofen stand daneben. Lustig war, wie zum gesungenen Hexenritt „Hurr hopp hopp hopp..“ eine Hexe auf ihrem Besen durch die Lüfte ritt.
Foto: Oliver Berg
Betreffend die Darsteller hatte die Aufführung hohes Niveau: Lisa Wedekind spielte jungenhaft burschikos den Hänsel und sang tongenau und textverständlich. Seine (ihre) Schwester Gretel spielte Eva Bauchmüller keck und zum Schluß mutig. Stimmlich war sie sehr tongenau ohne zu forcieren, „tirelierte“ nach dem Aufwachen im dritten Bild die Tonleiter herauf und herunter und ließ auch das hohe b strahlen. Gleich zu Beginn gelang das Duett der beiden einschließlich Triller sehr exakt. Die Partie der Knusperhexe macht für den Zuschauer immer den meisten Spaß. Tenor Boris Leisenheimer machte daraus eine „geile“ Transvestitenshow, sang dazu sehr tongenau und textverständlich.. Wie immer wirkte Suzanne McLeod schon durch ihre Bühnenpräsenz, hier als erst keifende dann verzweifelte Mutter Getrud. Strahlend klang das hohe h, obwohl sie dabei „hau ich euch“ zu singen hat. Das ganz tiefe h bei „Wirf Geld herab“ brauchte sie nur zu markieren, sie soll ja lt. Regieanweisung dabei einschlafen. Eine Luxusbesetzung war für Vater Peter war Gregor Dalal. Mit mächtiger Stimme, textverständlich und anzusehen wie ein westfälischer Kiepenkerl gefiel vor allem sein Lied vom Hunger als dem besten Koch im ersten Bild gesungen im Zuschauerraum und vor der ersten Reihe – auch das anscheinend heutzutage ein Muß! Mit leuchtendem Sopran sang Katarzyna Grabosz Sand- und Taumännchen.
Zum gelungenen Schluß trugen bei zum Singen passend aufgestellt der Damenchor des Theaters einstudiert von Inna Batyuk, sowie die Kinderchöre des Gymnasium Paulinum und der Westfälischen Schule für Musik einstudiert von Jörg von Wensierski und Rita Stork-Herbst.-
Fast am meisten für den Erfolg des Abends sorgte das Sinfonieorchester Münster unter der Leitung von Stefan Veselka. Letzterem kam seine Erfahrung durch mehrere Einstudierungen des Stückes zu Gute, so etwa im Jahre 2010 mit dem Limburgs Symfonie Orkest an der Opera-Zuid, Maastricht, auf you tube zu finden! Gleich zum Beginn des Vorspiels sorgten die Hörner im p rund und schön klingend für Märchenstimmung.. Hier paßte das langsame Tempo, später steigerte der Dirigent dies fast furios und gestaltete rhythmisch-markant die (Hexen-) Tanzszenen. Ebenso erfreute man sich an der Farbigkeit der Instrumentierung mit den Anklängen an „Meistersinger“ , „Waldweben“ und sogar „Parsifal“, besonders in den symphonischen Zwischenspielen. Alle instrumentalen Soli der Bläser gelangen eindrucksvoll, beispielhaft erwähnt seien Flöte und Klarinette. Im zweiten Bild erfreuten die Soli von Cello zu Beginn und der Violine später erfreuten den Zuhörer.
So kam eine Aufführung zustande, die Kinder als erstes Opernerlebnis beeindrucken konnte, an der Jugendliche sich herablassend amüsieren und Ältere nostalgisch schwärmen konnten. Ob angesichts des grossen Orchester für weniger erfahrene Zuschauer nicht doch Übertitel angebracht gewesen wären, mögen die folgenden Vorstellungen erweisen. Trotz gleichzeitigem „Otello“ aus der MET im Cineplex gab es im ausverkauften Haus langanhaltenden herzlichen Beifall mit Bravos für alle Mitwirkenden einschließlich des Leitungsteams. Als in den vorderen Reihen Zuschauer zum Beifall sich erhoben, folgten dem gern die der hinteren Reihen.
Sigi Brockmann 18. Oktober 2015
Fotos Oliver Berg