Theater an der Wien L’INCORONAZIONE DI POPPEA – 19.10.2015 (Premiere am 12.10.)

Monika Rittershaus
Alex Penda, Valer Sabadus.Copyright: Monika Rittershaus
Es ist schon wieder fünf Jahre her, dass man hier in Wien im gleichen Opernhaus eine „Poppea“, in Szene gesetzt von Regiealtmeister Robert Carsen, bewundern konnte. Regisseur Claus Guth begann eben hier seinen Monteverdi-Zyklus 2011 mit „L’Orfeo“, gefolgt 2012 von „Il Ritorno d’Ulisse in Patria“. Nun hat er sich der letzten erhaltenen Oper von Claudio Monteverdi, der „Poppea“, angenommen.
Ende der 70ger Jahre hatten Nikolaus Harnoncourt und der allzu früh verstorbene Jean Pierre Ponnelle in Zürich mit ihrer exemplarischen Interpretation der drei großen Bühnenwerke Monteverdis eine wahre Renaissance des Cremoneser Meisters eingeleitet. Der prunkvolle und festliche Stil der damaligen Inszenierungen ist in der heutigen Zeit längst überholt und man möchte als Zuschauer auch nicht die reale Welt eines Kaisers Nero (Kaiser von 54 bis 68) vorgesetzt bekommen. Einen Bezugspunkt aber liefert natürlich der extreme Charakter des Kaisers. Und hier setzt Claus Guth an. Ihn interessierten die psychologischen Abgründe dieses Kaisers und der sich in seinem Umfeld bewegenden Personen.
Foto: Monika Rittershaus
Und Ausstatter Christian Schmidt stellt ihm dafür auf die Drehbühne praktikable Bühnenbilder. Im Prolog sehen wir etwa ein Fernsehstudio mit Weltkarte im Hintergrund, vor der die Quotenqueens Fortuna und Virtù, in eleganten weißen Hosenanzügen, einen Zickenkrieg ausfechten. Amore trennt die beiden Streithälse und beansprucht seinerseits den Platz in der Mitte der beginnenden Sitcom „Poppea“.
Wie ein Pathologe seziert Guth auch akribisch Neros zerrissenen Charakter. Ein plötzlich ausbrechender Wutanfall lässt ihn da als unbeherrschten Sadisten erscheinen, der sich dann im nächsten Augenblick zu homoerotischer Freundesliebe hinreißen lässt, um dann das Opfer seiner sehrenden Begierde, aus seinem wollüstigen Traum jäh erwachend, angewidert von sich zu stoßen und zu demütigen.
Senecas tragischer Selbstmord in der Badewanne beschloss den ersten Teil des Abends. Nach der Pause alberte Nero mit dem noch immer in der Badewanne liegenden toten Seneca herum und drückte diesem schließlich ein Sektglas in die Hand. Danach verkostete er das von Senecas Blut getränkte Wannenwasser, was man als einen pervertierten und zugleich blasphemischen Akt, aber auch als einen thyesteischen Akt (Atreus tötete die Söhne seines Bruders König Thyest von Mykene, verkochte sie und setzte diese Speise seinem Bruder vor).
Nero und Poppea finden in dieser Inszenierung natürlich kein Happyend. Ihr schwärmerisches Liebesduett am Ende der Oper gerät zu einem spektakulären „Liebestod“ im Zeitraffer. Der Despot erschießt zuerst Poppea, dann sich selber und die Musik verklingt von langen Pausen durchsetzt verhalten aus. Und instinktiv erinnert diese Szene natürlich an die Tragödie von Mayerling, wo Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera am 30. Jänner 1889 Doppelselbstmord begingen.
Claus Guth schreckte in seiner „Poppea“-Adaption auch nicht davor zurück, durch die Überlagerung bzw Einblendung von „Soundscapes“ von Christina Bauer (nachzulesen im Programmheft), die als elektronische Zwischenmusiken die seelische Situation der Protagonisten elektronisch erhellen, direkt in Monteverdis Musik einzugreifen.
Der musikalische Leiter des Abends, Jean-Christophe Spinosi, ließ sich mit seinem Ensemble Matheus auf diese eingestreuten „Soundscapes“ lustvoll ein. Zur Aufführung gelangte übrigens, wie ebenfalls im Programmheft nachgelesen werden kann, eine, aus dem überlieferten Notenmaterial entwickelte, Spielfassung mit erweiterter Orchesterbesetzung. Leider gelang es dem Dirigenten nicht die anfänglich doch etwas spröde und sperrige Musik mit moderateren Tempi, die vielleicht in der Partitur nicht so verzeichnet sind, doch etwas mehr zu beleben. Immerhin dürften die Befürworter des sogenannten „Originalklangs“ vollends auf ihre Kosten gekommen sein. Erst nach der Pause, wo jedoch bereits ein Teil des Publikums die Aufführung verlassen hatte, explodierte das Orchester geradezu. Und nicht ohne Grunde, den jetzt waren die für jeden Komödianten so dankbaren Travestierollen der beiden Ammen an der Reihe.
Für die beschwingte Choreographie sorgte Ramses Sigl, während Olaf Winter die Szenen stimmungsvoll ein leuchtete und Arian Andiel das Publikum durch seine Videoeinspielungen daran erinnerte, in welchem Akt es sich gerade befindet.
José Manuel Zapata. Foto: Monika Rittershaus
Der rumänische Countertenor Valer Sabadus ging als neurotischer Nero darstellerisch ganz in der Rolle auf, gesanglich allerdings ging er etwas an die Schmerzgrenze, so durchdringend war seine Stimme! Alex Penda (vormals Alexandrina Pendatchanska) in der Titelrolle der Poppea glänzte in schwarzen Dessous und bestiefelt in Lederoutfit wie eine Hetäre. Mit dem warmen einschmeichelnden Timbre ihres satten Soprans vollbrachte sie eine nahezu perfekte gesangliche Leistung. Franz-Josef Selig gefiel in der Rolle des Philosophen und einstigen Lehrer Neros, Seneca, ob seiner stoischen Haltung gleichermaßen darstellerisch wie gesanglich mit warm dahinfließendem Bass. Als die aberwitzigen Ammen Nutrice und Arnalta glänzten Marcel Beekmann und José Manuel Zapata. Ersterer hatte in der Inszenierung von Robert Carsen 2010 noch die Arnalta gesungen. Jennifer Larmore suchte als ungeliebte Gattin Ottavia reichlich Trost im Alkohol, der sie bisweilen zu tobsüchtigen Anfällen hinriss. Wie von Furien getrieben zwingt sie Ottone, der sich von seiner Gattin Poppea verraten glaubt, zum Mordanschlag an eben dieser. Am Ende freilich steht sie als Verbannte einsam mit einem Koffer vor dem Vorhang und stimmt ihr wehmütiges „Addio Roma“, mit dem sie zum Sinnbild aller Flüchtigen der Gegenwart wird, an. Überzeugend auch der verzweifelte Ottone von Christophe Dumaux, der schließlich in diesem römischen Bäumchenwechseldichspiel Drusilla als Ersatz für seine frühere Liebe zu Poppea, fabelhaft gesungen von Sabina Puértolas, erhält. Herrlich anzusehen waren noch Emilie Renard als „dreikäsehoher“ Page Valletto mit frechem Sopran und Gaia Petrone als dessen angebetete Damigella. Sie beide durchleben das Liebeskarussell auf der Ebene der Dienstboten. Manuel Günther gefiel noch als Liberto, der Seneca den Todesbefehl Neros äußerst gehaltvoll überbrachte. Countertenor Jack Arditi war ein wendiger Amor, der sich, pars pro toto, an eine ebenso überdreht agierende Drusilla heran macht. Frederikke Kampmann und Natalia Kawalek traten zu Beginn als Quotenqueens Fortuna und Virtù äußerst glamourös auf. In mehreren kleineren Rollen trugen noch Rupert Charlesworth, Christoph Seidl und Tobias Greenhalgh das ihre zum viel beklatschten Erfolg bei.
Das Ensemble zeigte insgesamt große Einsatzfreude – und das Publikum dankte es diesem auch mit viel Bravorufen und Beifall, etwa neun Minuten lang. Unüberhörbare Missfallensrufe gab es für die Regie und die musikalische Leitung. Der handwerklich sehr gut gearbeitete Abend dauerte inklusive einer Pause und mit einberechnetem Schlussapplaus von 19.00 bis beinahe 23.00 Uhr.
Harald Lacina