Stuttgart/ Studiotheater: Premiere „Die Blaue Liste“ im Studiotheater Stuttgart am 18.11.2015
IM DICHTEN ERMITTLUNGSDSCHUNGEL
Als Live-Hörspiel hat Günter Maurer Wolfgang Schorlaus Roman „Die Blaue Liste“ im Studiotheater inszeniert. Die drei Darsteller Boris Rosenberger, Sebastian Schäfer und Susanne Theil nehmen hier an drei Tischen Platz, telefonieren, bedienen den Computer und imitieren Tierstimmen (vor allem Hunde und Schweine), was immer wieder ausgesprochen witzig wirkt und dem Ganzen eine fast satirische Aura verleiht.
Im Mittelpunkt steht hier Georg Dengler, der im Unfrieden vom BKA geschieden ist und sich als privater Ermittler im Bohnenviertel niedergelassen hat. Im ersten Fall teilt ihm ein Anrufer mit, dass es um seine Freundin gehe, deren Vater vor zwölf Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Er habe sie vorher angerufen und gesagt, dass er die Maschine verpasst habe, was seltsam sei. Es stellt sich heraus, dass der Vermisste Mitarbeiter der Treuhand und Verfasser der „Blauen Liste“ ist. Dieses Dokument hat der Deutschen Vereinigung einen völlig neuen Weg gewiesen. Und hier beginnt die Handlung spannend zu werden und gerät in einen geradezu elektrisierenden Sog, der vor allem auch die drei gut aufeinander abgestimmten Schauspieler erfasst. In Originalaufnahmen vernimmt man dann die Stimme Detlef Carsten Rohwedders, der am 21. April 1991 als Präsident der Treuhandgesellschaft erschossen wurde. Man erfährt, dass er bei den Ostdeutschen unbeliebt und regelrecht verhasst war. Und der Stasi-Apparat mischt ebenfalls immer noch mit. Sechs Wochen nach diesem Attentat stürzt die vollbesetzte Boeing 767-300 ER der Lauda Air über dem Dschungel Thailands ab, wobei 223 Menschen sterben. Besonders intensiv und spannungsreich stellen die drei Schauspieler jene Szene dar, bei der das RAF-Mitglied Wolfgang Grams auf dem Bahnhof von Bad Kleinen erschossen wird. Das Bundeskriminalamt hat in diesem Zusammenhang immer wieder behauptet, Grams sei am Tatort des Mordes an Rohwedder gewesen, obwohl hier der eindeutige Beweis fehlt.
Die folgende fiktive Handlung lässt bei dieser interessanten Inszenierung viel Spielraum für mögliche Verdachtsfälle. Dabei tappen die Zuschauer dann oftmals im Dunkeln. Dengler wird von der Tochter des Vermissten inständig gebeten, nach diesem zu suchen, was daraufhin zur unfreiwilligen Weltreise wird: „Herr Dengler, finden Sie meinen Vater!“ Filmschnittartig wechseln die Szenen und nehmen dabei eine immer konzentriertere Gestalt an. Diese Tatsache fängt der Regisseur Günter Maurer (Assistenz: Lea Gammerdinger, Nadja Ramsaier) bei dieser kompakten Inszenierung des Live-Hörspiels sehr gut ein. So wird man Zeuge eines spannenden akustischen Entstehungsprozesses. Man begreift, dass Polizei, Justiz und Politik versagt haben. Sie sind unfähig, die Mörder des Polizisten und auch des Siemens-Managers und Atomphysikers Karl Heinz Beckurts zu finden. Es beginnt die fieberhafte Suche nach dem berühmten roten Faden, der sich im Laufe des Abends aber nicht entwirren lässt. Hinweise auf Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader als eigentliche Drahtzieher der RAF-Morde helfen den Ermittlern hier aber auch nicht entscheidend weiter. Und die CSU lamentiert über die schlechte soziale Lage, die die Situation erheblich verschärft. Gut beobachtet sind zudem die Wohnungsdurchsuchungen durch die BKA-Ermittler auf beengtem Raum (Bühnenbildbau: Florian Wilhelm). Und das Herzklopfen wird mit Klopfgeräuschen am Mikrofon verdeutlicht. Wolfgang Schorlaus Roman „Die blaue Liste“ ist als KiWi Paperback erschienen, Günter Maurer hat auch die Textfassung besorgt.
Für die Darsteller gab es am Premierenabend begeisterten Schlussapplaus.
Alexander Walther