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WIEN / Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL

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Hänsel Scherenschnitt breit x 
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Staatsoper:
HÄNSEL UND GRETEL von Engelbert Humperdinck
Premiere: 19. November 2015

Thielemann hat es gewollt, Thielemann hat es bekommen, und Thielemann rechtfertigt das Unternehmen. Damit kann man eine „Hänsel und Gretel“-Neuproduktion der Staatsoper zusammenfassen, mit der man letztendlich nicht ganz glücklich geworden ist, ohne dass konkret viel dagegen einzuwenden wäre. Aber beginnen wir mit dem, was schlechtweg wunderbar ist: Christian Thielemann dirigierte „Hänsel und Gretel“.

Hänsel Wald

Was hat man sonst von dieser „Kinderoper“ des Engelbert Humperdinck im Kopf? Viele Kinderlieder, schöne Musik und ein bisserl fad. Zumindest Letzteres bezieht sich in dieser Aufführung nur aufs Szenische (und es ist die Frage, ob man wirklich viel damit tun kann, denn das Libretto von Adelheid Wette ist alles andere als ein Wurf). Aber Thielemann hat mit Hilfe der Wiener Philharmoniker, die zur Höchstform aufliefen, bewiesen, dass man es hier mit einer großartigen Partitur zu tun hat, nicht nur, weil man bei ihm auf einmal nachdrücklich den Wagner neben der beabsichtigten Schlichtheit hört. Hier öffnen sich auch die Ohren für die raffinierte Machart dieser „romantischen“ Musik, der farbenreiche Einsatz des Orchesters, die teils kunstvoll modulierten Soloinstrumente, der Reichtum an Stimmung über die Volkstümlichkeit hinaus, von der im Grunde infernalischen Rhythmik („Die Hex ist tot“) bis zu den hymnischen Chören und mit höchster Spannung erfüllter „flirrender“ Passagen… Es schien, als hätte man vieles davon absolut zum ersten Mal wahrgenommen, und das ist ja im Grunde das Geheimnis der großen Dirigenten. Dieses erstaunte innerliche „Ja? So?“ des Zuhörers, der sich überwältigt fühlt.

Dazu hatte der Brite Adrian Noble die Aufgabe, „Hänsel und Gretel“ so auf die Bühne zu bringen, dass man es erträgt, aber – nach seinem eigenen Wunsch – das Werk auch so zu realisieren, wie es ist (und jedenfalls nichts dagegen zu tun): Kurz, der Versuch, sich zwischen picksüß altdeutsch einerseits und verbogen neudeutsch andererseits durchzuwinden, was keinesfalls leicht ist.

Der Rahmen, den Noble während der Ouvertüre für das Geschehen kreiert, ist ein bisschen „Nussknacker“ – eine Familienszene aus dem späten 19. Jahrhundert, ein Weihnachtsbaum („Hänsel und Gretel“ wird ja immer als Weihnachtsoper eingesetzt), und Papa setzt den Laterna Magica-Apparat in Szene: Große rund Bilder anno dazumal werden an die Wand im Hintergrund geworfen, und irgendwann, als sich zwei kleine Kinder im Nachthemd, er mit Zipfelmütze, sie mit Engelsflügeln, ins Wohnzimmer zurückschleichen, reitet da eine Hexe (als Silhouette) – und die beiden schreiten in das Geschehen hinein wie Alice ins Wunderland – und sie dürfen im Märchenland dann später auch noch zweimal auftauchen und gewissermaßen ein Teil davon sein. Ein Gefühl, das der Regisseur auch dem kindlichen Publikum vermitteln will.

Häsel die zwei jpg xxx

Nach diesem durchaus lieblichen Beginn herrscht aber keinerlei Tendenz der Verharmlosung oder Versüßlichung, im Gegenteil: Die Szenen in der Hütte des Besenbinders zeugen wirklich von Armut, Hänsel und Gretel sind einfache Kinder, arme Kinder in reizlosen Gewändern, nicht herzig, sondern eher bedrückt – vor allem vom Hunger, der bekanntlich so schwer zu ertragen ist. Und wenn die Mutter heimkommt und keine Spur von „mütterlichen“ Qualitäten zeigt, vielmehr ein Weib am Rande des Nervenzusammenbruchs ist und dies gnadenlos gegen die Kinder ausagiert, dann wird einem regelrecht bang, und die Kinder fürchten sich zu Recht vor ihr. Der Vater, halb beduselt, halb noch ein Mensch, kann da eigentlich nicht viel ausbügeln, diese Szene ist schlechtweg düster, fast ein Sozialdrama.

Häsel Knusperhäuschen jpg

Ausstatter Anthony Ward hat dafür gesorgt, dass der Wald, in den die Kinder geschickt werden, keiner „mit Bäumen“ ist – und doch ein solcher, der aus Schattenrissen von Bäumen besteht, kunstvoll ornamental, was immerhin eine Art heutiger Poesie ausstrahlt. Das Knusperhäuschen freilich ist mikrig, das ist ja kaum eindrucksvoller als ein großes Tortenstück… und wenn es dann zur Hexe geht, dann sind die nötigen Versatzstücke von Käfig bis Ofen in den nun abstrakt wirkenden „Wald-Rahmen“ eingefügt, und es ist die Lichtregie von Jean Kalman, die hier für die jeweilige Stimmung sorgt. Ohne Video (Andrzej Goulding) geht es heute wohl nicht, aber im Grunde ist nur der grimassierende Mond wirklich lustig…

Hänsel Mond

Man dankt es Adrian Noble, dass er auf den Rauscheengel-Kitsch verzichtet: Kinder mit Luftballons bieten da eine wirklich gute Alternative, und auch Schmetterlinge dürfen (per Video) flattern. Sicherlich ist es eine Art „Mischmasch“, wie hier versucht wird, ein Märchen einerseits Märchen sein zu lassen, andererseits seines Klischees zu berauben. Kriegen wir dann solcherart keine „Poesie“ im üblichen Sinne (oder was man darunter versteht), vermissen wir offensichtlich doch was. Doch wenn sie auf der Bühne erschiene, würden wir „Kitsch!“ rufen. Ja, was denn. Eine No-Win-Siuation, oder: Wie man’s macht, macht man’s falsch.

Man darf von der Besetzung des Abends sagen, dass sie so weit gut war, aber im letzten doch durch die Bank nicht überzeugt hat. Nun muss man das Krankheitsproblem einbeziehen – da wurde wohl viel ins Leere geprobt, und die, die dann auf der Bühne standen, waren vielleicht nicht völlig sicher. Schon bei den Titelrollenträgerinnen ging es besetzungsmäßig hin und her, zur Premiere fiel dann noch der Vater, den Adrian Eröd tadellos bei der Generalprobe gesungen hatte, aus. Nennen wir gleich Clemens Unterreiner, der den Ritt über den Bodensee unternahm und hier mit einer sehr ordentlichen Leistung einsprang. Opernsänger brauchen wirklich Nerven wie Drahtseile.

Daniela Sindram (der/die seit der Generalprobe wieder genesene Hänsel) und Ileana Tonca (die Einspringerin für Chen Reiss) sind beide in einem Alter, wo es ihnen nicht mehr gelingen kann, auch nur annähernd wie Kinder zu wirken (wo sind denn die vielen schönen Zwanzig-Plus-Damen des Direktors?). Auch darstellerisch nicht wirklich ausgefeilt und beweglich, waren sie zumindest stimmlich gut: Daniela Sindram mit einem schönen Mezzo, Ileana Tonca mit einem noch immer glockenhellen Sopran.

Annika Gerhards wankte als Sandmännchen seltsam mit blauem Schirm herum und sang als Taumännchen aus einem Schleier heraus – mit beiden Rollen könnte man stimmlich entschieden mehr Effekt machen.

Als böse Mutter war Janina Baechle nicht nur als Erscheinung überzeugend, sie trug ihre Wut und Unfreundlichkeit auch gelegentlich quälend in der Stimme.

Hänsel Hexe x

Man will der Knusperhexe der Michaela Schuster nicht vorhalten, welche „Hexen“-Erlebnisse man schon in der Volksoper hatte, die man hier vermisste. Tatsache ist auch, dass sie oft nicht einmal zu hören war und solcherart auch gesanglich wenig überzeugte.

Aber Thielemann… Das dachte auch das Publikum, das ihn mit einem verdienten Beifallssturm überschüttete. Man hätte ihm allerdings eine etwas glanzvollere Besetzung gewünscht (irgendwann darf Heinz Zednik schon die Hexe singen, gelt?). Das Publikum klatschte allen Beteiligten freundlich, und wen ein einzelner Buh-Rufer meinte, war nicht auszumachen.

Renate Wagner

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