KÖLN/ Staatenhaus„BENVENUTO CELLINI“- 19.11.2015 (Premiere 15.11.)
Im Rahmen dieser Besprechung muß etwas weiter ausgeholt werden, als es bei Kritiken üblich ist. Die Kölner Oper hat bekanntlich kein eigenes Domizil mehr. Die Instandsetzung des Opernhauses geht nicht voran. Eigentlich sollte bereits für diese Spielzeit die Eröffnung stattfinden. Nun ist es ähnlich wie beim Berliner Flughafen: Ende unabsehbar. Der Hintergrund sind dem Vernehmen nach in erster Linie Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Bauverträge und die Finanzierung des Projekts. Tatsache jedenfalls ist, daß eine neue Spielstätte angemietet werden musste.
Der Rezensent ist seit Jahrzehnten nachhaltiger Freund der Kölner Oper und respektiert auch mit Bewunderung, was die derzeitige Intendantin Birgit Meyer gegen alle Widerstände aufgebaut hat. Leider ist jetzt aber festzustellen, daß es schlimmer eigentlich nicht mehr werden kann. War schon die Unterbringung im Musicaltheater am Hauptbahnhof, einem häßlichen akustisch unzulänglichen und feuerpolizeilich eigentlich nicht genehmigungsfähigen Bau, ein Debakel für den Qualitätsstandard der Kölner Oper, so ist man jetzt im Staatenhaus gewissermaßen ganz unten angekommen. Der Bau aus dem Jahre 1924 liegt auf der falschen Rheinseite weit ab vom Stadtzentrum im öden Kölner Messegelände, in das des Nachts normalerweise keiner freiwillig zu Fuß vordringen würde. Der Zugang mit Pkw oder Taxis ist nicht möglich. Es gibt lediglich einen nur ganz schummerig beleuchteten Fußweg. Wer beispielsweise von dem von der Oper genutzten RTL-Parkhaus ins Staatenhaus will, muß mehrere hundert Meter durch Dunkelheit und strömenden Regen hasten. Das ist ein unmöglicher Zustand auch im Hinblick auf geh- und sehbehinderte Zuschauer. Das Staatenhaus hat zwei Spielsälen mit jeweils nicht einmal 900 Plätzen und damit nur die halbe Kapazität des Opernhauses. Es ist derartig weitläufig, daß man sich verlaufen könnte. Der für die besprochene Aufführung gewählte Saal I ist nicht einmal ein Saal im eigentlichen Sinne sondern offen zu einem riesigen Eingangsbereich. Eine Bühne gibt es nicht, einen Orchestergraben auch nicht. Das Orchester muß vielmehr weit hinter den Sängern postiert werden und klingt akustisch amputiert.
„BENVENUTO CELLINI“ von Berlioz ist zuvor noch nicht in Köln gespielt worden. Deshalb war es auch durchaus problematisch, das Werk dem unter der Marke „La Fura dels Baus“ auftretenden Carlus Padrissa anzuvertrauen. Zusammen mit seinem Team (Bühne: Roland Olbeter, Esterina Zarrillo; Kostüme: Chu Uroz; Choreographie: Mireia Romero Mirales; Video: Fritz Gnad, Alexander Rechberg; Licht: Andreas Grüter) hat er das Stück zu einer Art Pop-Spektakel umfunktioniert. Das ist zugegebenermaßen mit vielen Farben, Lichtwechseln, ständiger Bewegung und technischen Effekten meisterhaft gelungen mit der Einschränkung, daß sich so etwas für ein Helene Fischer-Konzert eignen würde. Dem Werk hingegen ist keinerlei Gefallen getan worden. Wer es nicht andernorts bereits in einer konventionellen Inszenierung gesehen oder sich über die Fachliteratur erarbeitet hat, konnte in keiner Sequenz die Handlungsfolge erkennen. Vielmehr erschienen die zum Teil rasend schnell und darüber hinaus gleichzeitig ablaufenden Effekte eher wie ein ständiges Gehopse und Gezappel. Es sei als Beispiel genannt: Da gibt es eine Schräge, über die eine Viertelstunde lang unentwegt rückwärts und vorwärts Protagonisten, Choristen und/oder Statisten wie Kleinkinder auf einer Rutschbahn hinunterrutschen. Was soll das? Sodann tauchen immer wieder aus dem Schnürboden an Seilen aufgehängte Phantasiefiguren auf und zappeln herum. Ob das Mitglieder des Balletts oder der Statisterie sind, bleibt offen. Zudem fällt auf, daß es dem Regisseur an jedem Gefühl für eine subtile Personenführung oder für intime Szenen fehlt. Das ist ärgerlich, denn ein vergleichsweise unbekanntes Werk sollte dem Publikum eines der wichtigsten deutschen Opernhäuser in verständlicher Form nahegebracht werden und nicht in Selbstbefriedigung des Regisseurs und seiner Mitstreiter ausarten.
Die musikalische Leitung des Abends lag in Händen des französischen Kölner Generalmusikdirektors Francois-Xavier-Roth. Da war sie in der Tat bestens aufgehoben. Roth hatte die erste Pariser Fassung gewählt, welche Berlioz in einer zweiten Fassung bereits umgestaltet und schließlich für die sogenannte Weimarer Fassung anläßlich der deutschen Uraufführung unter Franz Liszt auf knapp drei Stunden Spielzeit gekürzt hatte. Allerdings steht das Werk, auch wenn es im Libretto als Opéra comique bezeichnet wird, eher in der Tradition der französischen Grand Opéra, was in der orchestralen Wucht der breit angelegten Instrumentierung und der Masse notwendiger Mitwirkender deutlich wird. All das wußte Roth hervorragend zu kontrollieren, assistiert übrigens von Chor-Direktor Andrew Ollivant, der zusammen mit der Souffleuse einen speziellen Sitzplatz vor der ersten Zuschauerreihe inne hatte und gewissermaßen als Co-Dirigent die ausladenden Chorszenen leitete. Das war auch nötig, denn Roth selbst konnten die Mitwirkenden naturgemäß nicht sehen, weil er das Orchester in ihrem Rücken dirigierte.
Ähnlich wie das Orchester lief der Chor zur großer Form auf, war überwiegend in Bewegung, marschierte teilweise auch durch die Halle (wobei allerdings der Klang akustisch „zerfledderte“) und durchmischte sich darüber hinaus mit Ballett und Statisterie, sodaß zuweilen gar nicht mehr auseinanderzuhalten war, wer welcher Gruppe zuzuordnen war.
Hinsichtlich der Solisten blieben naturgemäß die Protagonisten in Erinnerung. Allen voran ist Vincent Le Texier (Balducci), ein formidabler französischer Bariton (und früherer Ehemann von Magdalena Kozena) zu nennen. Ihm wurde zugemutet, eine ungesicherte Treppe hinauf- und hinunter zu sprinten, eine Leiter hinauf- und hinunter zu klettern, und das hatte für ihn noch nicht einmal stimmliche Einbußen zur Folge. Den Cellini sang Ferdinand von Bothmer, der etwa acht Jahre lang auch an der Wiener Volksoper engagiert war. Er verfügt über stabiles Material, ein schönes Timbre, eine sichere Höhe und weiß zu phrasieren. Allerdings ließ er sich angesichts der Größe der Halle zu sehr dazu verleiten, auf die Stimme zu drücken, sodaß Brüche in den Registerwechseln nicht ausblieben. Die amerikanische Sopranisten Emily Hindrichs hatte ihr bisheriges Betätigungsfeld eher im lyrischen Fach und wird auch in Köln wieder die Donizetti-Lucia singen. Mit der Teresa wagt sie sich weit vor. Das Timbre klingt ein wenig soubrettig. Das Potential der unteren Lage und das Volumen sind begrenzt, was für diese eher einem dramatischen Sopran anzuvertrauende Rolle naturgemäß schädlich ist. Sie hat durchaus eine gute Höhe, forcierte aber ähnlich wie ihr Tenorkollege, sodaß in der oberen Lage zuweilen ein leichtes Tremolo einsetzte. Die österreichische Mezzosopranistin Katrin Wundsam hatten einen markanten Auftritt als Ascanio, geriet jedoch in den Ensembles ebenfalls in die Versuchung, mehr zu powern als der Stimme gut tat.
Die übrigen sechs Gesangssolisten konnten das Gesamtbild mit ihren über Stichwortgeber nicht hinaus reichenden Rollen nur abrunden und seien daher der Vollständigkeit halber kommentarlos aufgezählt. Fieramosca war Nikolay Borchev, Papst Clemens Nikolay Didenko, Francesco John Heuzenroeder, Bernardino Lucas Singer, ein Wirt Alexander Feddin und Wolfgang Stefan Schwaiger als Pompeo.
Dr. Klaus Ulrich Groth