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WIEN/ Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL. Premiere

WIEN/ StaatsoperHumperdinck – HÄNSEL UND GRETEL – Premiere Staatsoper am 19.11.2015

(Heinrich Schramm-Schiessl)

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Häsel Knusperhäuschen jpg

Daniela Sindram, Ileana Tonca. Copyright: Barbara Zeininger

Nun ist sie also vorbei, diese schon im Vorfeld vieldiskutierte Premiere. Auch ich habe diese Werkwahl kritisiert und bleibe auch dabei. Dabei richtet sich meine Kritik nicht gegen das Werk an sich. Im Gegenteil, ich schätze es sehr und bezeichne es auch nicht abschätzig als Kinderoper, wie das manche – speziell auch in unserem Forum – nach der Spielplanpressekonferenz gemacht haben. Ich halte es nur schlichtweg für Ressourcenvergeudung. Es gäbe für Christian Thielemann, dem heute wichtigsten und nicht nur in meinen Augen – zumindest im deutschen Fach – besten Dirigenten, in Wien wichtigere Aufgaben. Ich meine damit, würde er jede Saison eine Reihe von Aufführungen einer Wagner- und/oder Strauss-Oper dirigieren, würde es mich nicht stören, wenn er – um sich einen persönlichen Wunsch zu erfüllen, wie er in der Pressekonferenz darlegte – dann auch „Hänsel und Gretel“ dirigiert. Zu hinterfragen wäre in diesem Zusammenhang natürlich auch, inwieweit das sich hartnäckig haltende Gerücht stimmt, dass Thielemann der Direktion als Alternative „Palestrina“ angeboten hat. Andererseits muss man ehrlicherweise sagen, dass „Hänsel und Gretel“ eine – allein schon wegen der Anzahl der Mitwirkenden – kostengünstigere und repertoiretauglichere Produktion ist, denn in der Vorweihnachts- und Weihnachtszeit kann man das Werk immer auf den Spielplan setzen, während „Palestrina“ trotz aller Wertschätzung – auch von mir – und der langen Aufführungstradition in Wien letztlich ein Randwerk des Repertoires bleibt.

Unabhängig von all diesen Einwänden ist „Hänsel und Gretel“ ein großartiges Werk und kann man Engelbert Humperdinck durchaus als Bindeglied zwischen Wagner und Strauss sehen. Schließlich war er Assistent Wagners bei der Einstudierung der Uraufführung von „Parsifal“ in Bayreuth und dort auch noch einige Jahre nach Wagners Tod musikalischer Assistent. Zehn Jahre nach Wagners Tod fand dann 1893 die Uraufführung von „Hänsel und Gretel“ in Weimar statt und der Dirigent war kein geringerer als Richard Strauss, dessen erste Oper „Guntram“ ein Jahr später aus der Taufe gehoben wurde.

Die Musik des Werkes ist naturgemäß von Wagner beeinflusst aber trotzdem von großer Eigenständigkeit und beinhaltet neben vielen tonmalerischen Sequenzen auch Elemente der Volksmusik und sogar einige Kinderlieder, wie z.B. „Ein Männlein steht im Walde“ oder „Suse, liebe Suse“. Höhepunkt ist natürlich der „Abendsegen“ und die daran anschließende Apotheose am Ende des 2. Aktes. Ganz anderes dann zum Teil die Musik des 3. Aktes. Die Szenen der Hexe haben durchaus eine gewisse Skurrilität, der Höhepunkt ist hier natürlich der „Hexenritt“.

All den im ersten Absatz gebrachten Einwänden zum Trotz war es eine großartige, vielbejubelte Premiere. Stars des Abends waren ohne Zweifel Christian Thielemann und das Staatsopernorchester. Was hier aus dem Orchestergraben drang, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. Thielemann ist einer der ganz wenigen Dirigenten unserer Zeit, dem es gelingt, einen Bogen von den ersten Takten bis zum Schluss zu spannen und die Spannung den ganzen Abend über durchzuhalten. Er breitete mit dem Orchester einen ungemein farbenreichen Klangteppich aus und das Orchester folgte ihm willig. Wie immer, wenn sie von einem Dirigenten gefordert werden, spielten die Musiker „auf der Sesselkante“, das heißt, sie agierten mit höchster Anspannung und trachteten die Vorgaben des Dirigenten nahezu überzuerfüllen, sie lasen ihm praktisch jeden Wunsch von den Augen ab. Es war aber nicht nur das Kollektiv, das begeisterte, auch einzelne Soloinstrumente ragten heraus. Beispielhaft sei hier das kurze Cello-Solo am Beginn des 2.Bildes erwähnt. Zugegebenermaßen erwarteter Höhepunkt war natürlich der ungemein feinfühlig begleitete Abendsegen und die mit allen Orchesterfarben gezeichnete Engelerscheinung – hier allerdings Kinder mit Luftballons. Trotz aller Orchesterwogen blieb der Klang jedoch immer durchsichtig und sängerfreundlich.

Etwas von Krankheit gebeutelt war die Besetzung, aber es ging letztendlich gut. Die beiden Titelrollen waren ausgezeichnet besetzt. Ileana Tonca – in den letzten Probentagen für die erkrankte Chen Reiss eingesprungen – war eine resolute aber gleichzeitig liebenswerte Gretel. Sie sang sehr schön, auch wenn man sich etwas mehr aufblühende Höhen gewünscht hätte. Daniela Sindram war ein spitzbübischer Hänsel und sie führte ihren schönen Mezzo wunderbar und mit viel Ausdruck. Clemens Unterreiner – offenbar erst im Laufe des Tages für den erkrankten Adrian Eröd eingesprungen – sang den Vater mit kräftiger Stimme und konnte darstellerisch berühren. Janina Baechle war darstellerisch als Mutter sehr präsent, stimmlich konnte sie gewisse Abnützungserscheinungen leider nicht verbergen. Michaela Schuster bemühte sich redlich um die Hexe. Sie versuchte eine Mischung aus Skurrilität und Humor auf die Bühne zu bringen, aber irgendwie wollte der Funke nicht überspringen. Irgendwie habe ich bedauert, dass man Heinz Zednik zu seinem 75er nicht nochmals eine wichtige Rolle in einer Premiere ermöglicht hat. Annika Gerhards bemühte sich als Sand- und Taumännchen um eine schöne Gesangslinie, allerdings wäre eine etwas vollere  Stimme wünschenswert gewesen. Trotz dieser Einwände war es eine geschlossene Ensembleleistung, die bei diesem Werk sehr wichtig ist. Die mehrfach in der Pause aufgestellte Forderung, ein Haus wie die Staatsoper müsste Topstars aufbieten, geht ins Leere, denn früher wie heute waren Spitzensänger durchaus bereit von diesem Werk Ton- oder Bildträger aufzunehmen, auf der Bühne, bei einer realen Vorstellung, hat man sie, vielleicht mit ganz wenigen Ausnahmen, nie gesehen. Ausgezeichnet auch der von Johannes Mertl einstudierte Kinderchor der Opernschule der Wr. Staatsoper.

Dass ich über die Inszenierung erst am Schluss schreibe, hat einen triftigen Grund. Sie ordnete sich nämlich, was heute sehr selten vorkommt, dem Werk und damit auch der Musik unter. Adrian Noble inszenierte ein Märchen vom Blatt. Er verzichtete auf jegliche ideologische Überfrachtung oder Hinterfragung, bzw, die Sichtbarmachung irgendwelcher tatsächlicher oder scheinbarer aktueller Probleme – und das war gut und richtig so. In diese Produktion kann man ohne Hemmungen auch mit einer/einem Zehnjährigen gehen, der das Werk halt so sehen will, wie er sich vorstellt, wenn er es – hoffentlich – gelesen oder zumindest vorgelesen bekommen hat. Die Bühnenbilder waren zum Teil realistisch (Besenbinderhaus, Hexenküche) oder stilisiert (Wald), aber in jedem Moment stimmungsvoll. Die Kostüme waren hübsch und märchenhaft. Für beides war Anthony Ward verantwortlich. Dass die Ouvertüre szenisch ausgedeutet wurde, war der einzige Tribut an das zeitaktuelle Theater. Man zeigte eine bürgerliche Familie an einem Weihnachtsabend am Ende des 19. Jahrhunderts, die als große Attraktion eine Laterna magica bekam. Das ganze war aber derart unaufdringlich und geleitete durchaus gekonnt in die eigentliche Handlung über, dass man darüber hinwegsehen konnte. Einige andere Kleinigkeiten, wie z.B. das puppenhausartige Hexenhaus vielen nicht wirklich ins Gewicht. Einzig beim Hexenritt hätte ich mir auf Grund der heutigen technischen Möglichkeiten mehr erwartet.

Am Ende gab es viel Jubel – den meisten natürlich für Thielemann und das Orchester – in den auch das Regieteam miteingeschlossen wurde.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

 

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