WIEN / Staatsoper: ELEKTRA am 25.11.2015 – Derniere
Nina Stemme. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Mit der vierten Vorstellung ging diese denkwürdige Serie leider schon wieder zu Ende.
Strauss–Interpretationen in der Wiener Staatsoper haben üblicherweise ein erfreulich hohes Niveau; wenn Peter Schneider am Pult steht, darf man noch etwas mehr erwarten und so wurde diese Elektra-Serie zu einer Aneinanderreihung von orchestralen Sternstunden.
Das Staatsopernorchester lieferte eine perfekte Leistung und folgte konzentriert und leidenschaftlich den sparsamen Anweisungen des erfahrenen Kapellmeisters, der jedezeit die Spannung aufrecht hielt und in jeder Szene und jeder Stimmung den authentischen Ausdruck fand. Der Unterschied zum guten Dirigat von Mikko Franck in der Premierenserie ist einige Jahrzehnte Erfahrung.
Die Laufenberg-Inszenierung beweist in der zweiten Serie Repertoiretauglichkeit und lässt eine spannende Darstellung dieser blutrünstiger Geschichte zu. Man kann zwar grundsätzlich hinterfragen, warum man den Stoff aus der griechischen Mythologie in den Kohlenkeller eines Palais im 20. Jahrhundert incl. schlecht gewarteten Paternoster-Aufzug verlegen muss – doch die packende Musik von Richard Strauss lässt die Irritationenen über manch fragwürdigen Regieeinfall leicht vergessen.
Neben dem wunderbaren Orchester sind die Töchter des Agamemnon für das intensive Opernerlebnis verantwortlich:
Nina Stemme ist – wie schon in der Premierenserie – eine hochdramatische Elektra, die inzwischen souverän in die Rolle hineingewachsen ist und sich dank perfekter Technik ausdrucksstark und mit nie überforderter Stimme auf die Gestaltung dieser extremen Frauengestalt konzentrieren kann.
In dieser letzten Vorstellung erhielt Regine Hangler ihre Chance als Chrysothemis und nützte sie. Die junge Sopranistin besitzt für die Rolle der jüngeren Schwester, die nicht nur Rächerin sondern auch „ein Weib mit einem Weiberschicksal“ sein möchte, die nötigen lyrischen und hochdramatischen Fähigkeiten für die Auseinandersetzung mit der rachedurstigen Schwester.
Auch der zum Rächer des Vaters und somit zur Fortführung des Familienfluches erzogene Bruder wurde in dieser Vorstellung umbesetzt. Die Stimme des schottischen Baritons Iain Paterson wirkte schlanker und jugendlicher als die des Rollenvorgängers Matthias Goerne, passte gut zur Figur des Orest und so wurde die Wiedererkennungsszene mit Elektra dank einer furiosen Nina Stemme zu einem eindrucksvollen Höhepunkt des Dramas.
Anna Larsson ist als Klytämnestra wohl die beeindruckendste Weiterentwicklung seit der Premierenserie gelungen. Sie zeigte diesmal sowohl stimmlich als auch darstellerisch das Psychogramm einer zerrissenen Frau, die einerseits Opfer eines hartherzigen Gemahls wird, der aus kriegstaktischen Gründen die älteste Tochter (Iphigenie) opfert und andererseits als Gattenmörderin von den verbliebenen Kindern gehasst wird. Die Szene mit Elektra, in der sie den verhöhnten Hilfeschrei artikuliert, ist großes Theater und wird – im Gegensatz zu früheren Interpretinnen – nicht geschrien, sondern ausdrucksstark gesungen.
Diese Serie von aussergewöhnlichen Vorstellungen ist nicht zuletzt dem hervorragenden Ensemble der Wiener Staatsoper zu danken. Die kleineren Rollen waren ausnahmslos mindestens gut besetzt:
Herbert Lippert sang und spielte den Aegisth – wie von Elektra beschrieben – unheldisch, Il Hong war, wie erwartet ein stimmschöner Pfleger des Orest, Thomas Ebenstein und Hans Peter Kammerer ergänzten als Diener das männliche Personal.
Simina Ivan als Vertraute, Aura Twarowska als Schleppenträgerin und Donna Ellen als Aufseherin gestalteten – wie schon bei der Premiere – ihre Aufgaben in der sinnveränderten Umgebung dieser Inszenierung optimal, sodass die Geschichte den geringstmöglichen Schaden nahm. Die Besetzung der Mägde ist mit Monika Bohinec, Ilseyar Khayrullova, Ulrike Helzel, Caroline Wenborne und ganz besonders mit Ildiko Raimondi, die sich fast als „Hochdramatische“ präsentierte, luxuriös.
Ein Glück, dass Hugo von Hofmannsthal Richard Strauss zur Komposition der Elektra überreden konnte – dieses Meisterwerk ist mit den ausdrucksstarken, atonalen Sequenzen richtungweisend für die Zukunft und hat die Musikgeschichte geprägt. Dass Strauss selbst in der Folge seines Schaffens in die Spätromantik zurückgekehrt ist, ist eine andere Geschichte.
Maria und Johann Jahnas