KÖLN (PHILHARMONIE)
FRANCESCO B. CONTI: DON CHISCIOTTE IN SIERRA MORENA
Konzertaufführung am 25. November 2015
„Die Oper enthält gefährliche Längen. Man lässt sie weg“, so ein frivoler Ratschlag in Straussens „Ariadne“. Bei „Benvenuto Cellini“ vor knapp zwei Wochen im „Staatenhaus“, dem gegenwärtigen Ausweichquartier der Kölner Oper, hätte man diese Empfehlung durchaus geben wollen. Und jetzt auch bei „Don Chisciotte In Sierra Morena“ von Francesco B. Conti in der Philharmonie. RENÉ JACOBS soll bei den Innsbrucker Festwochen 2005 (szenische Aufführung) das Werk bereits zurechtgestutzt haben. Dennoch dauerte die halbszenische Aufführung in der Köln Philharmonie (zuvor Aufführungen in Wien und Paris) bis kurz vor Mitternacht. Die bis zuletzt Verbliebenen zeigten sich allerdings hochbegeistert und waren offenbar auch nicht irritiert, das Werk innerhalb der Abo-Reihe „Operette und …“ präsentiert zu bekommen.
Die Figur des Don Quichotte ist musikalisch vor allem durch die Tondichtung von Strauss, das Mitch-Leigh-Musical „Der Mann von La Mancha“ und die Oper von Massenet manifest. Besonders das letztgenannte Werk zeichnet den ritterlichen Traumtänzer von Cervantes als liebenswert-tragische Figur, für die in der Welt des Irdischen im Grunde kein Platz ist. Sein Tod erscheint somit als ein logischer. In Contis Oper (1719) bekommt er nur das Verbot aufgebrummt, ein Jahr lang keine seiner Bücher mehr zu lesen, um auf diese Weise seinem Fantasieren zu entkommen, was für den Titelhelöden freilich eine „Qual“ bedeutet. Die angebetete Dulcinea tritt in Contis Oper übrigens nicht in Erscheinung, dafür gibt es eine Reihe von Nebenpersonen und -handlungen, welche das eigentliche Sujet gelegentlich zu ersticken drohen.
Auch bei einem Barock-Gott wie Händel kann einem die Zeit schon mal lang werden. Wie nicht erst bei vier Stunden Conti. Dennoch ist u.a. positiv festzuhalten, dass viele seiner Arien nicht in Standarttempi und ohne Variation ablaufen, sondern sich die Zeit für rezitativische Einschübe u.ä. nehmen, was zu dramatischer Steigerung führt. Und sagt man etwas Neues mit der Bestätigung, dass René Jacobs‘ immer etwas unorthodoxe Lesart und sein theatralisches Temperament (aktuell auch bei seiner Einspielung von Mozarts „Entführung“ bewiesen) selbst schwächere Stellen einer Partitur zu überspielen versteht? In Köln tat er das übrigens mit dem B‘ROCK ORCHESTRA statt mit der Akademie für Alte Musik Berlin wie in Innsbruck. Ein mit allen Wassern der historischen Aufführungspraxis gewaschener Klangkörper, den auch keine noch so rasante Gangart ins Schwitzen bringt. Köstlich die Percussionistin MARIE-ANGE PETIT, vor allem bei einem von Kastagnetten begleiteten Duett im ersten Teil. Einem improvisierenden Continuo-Spiel, bei Jacobs sonst häufig zu erleben, waren bei Contis nun doch vielfach schematischer Musik zwangsläufig Grenzen gesetzt, dennoch atmete die ganze Widergabe (trotz Neigung des Dirigenten zu breiten Schlußritardandi) höchste Lebendigkeit und Esprit.
Dass die szenischen Andeutungen auf dem Podium der Philharmonie aus der Innsbrucker Inszenierung von Stephen Lawless stammen, steht zu vermuten. Über sie las man Positives. Bei der Kölner Präsentation machte man ansonsten wieder einmal die Erfahrung, dass Andeutendes oft mehr sein kann als vollständig Ausgeführtes. Es machte beispielsweise keine Schwierigkeiten, eine „Rampen“-Arie als Moment szenischer Stagnation nicht nur zu tolerieren, sondern gar als stimmig zu empfinden.
Von den Sängern waren JOHANNES CHUM und DOMINIQUE VISSSE mit ihren etwas marginalen Partien (Lope, Rigo) schon in Innsbruck beteiligt. Chums lyrisch-samtiger Tenor bewährt sich mittlerweile schon bei Verdis „Don Carlo“ und Wagners „Meistersingern“, bei dem quirligen Counter waren leicht keifende Töne gewollt und rollenangemessen lustig. MARCOS FINK (Sancio Pansa) und FULVIO BETTINI (Gastwirt Mendo) machten ihre Sache gut. Bei den anderen ging’s dann zu anderen Qualitätshöhen. Die Sopranistinnen ANETT FRITSCH (als liebesleidende Dorotea) und SOPHIE KARTHÄUSER (als von gleich zwei Männern adorierte Lucinda) wetteiferten mit vokaler Geläufigkeit und Timbreschönheit, GIULIA SEMENZATO bewies (in der Hosenrolle des clownesken Ordogno am nachhaltigsten kostümiert) buffoneske Qualitäten, ANGÈLIQUE NOLDUS ergänzte das Ensemble mezzosatt mit ihrem Porträt der skurrilen Maritorne.
Das Counter-Fach vertraten außer Dominique Visse noch CHRISTOPHE DUMAUX (Fernando) und LAWRENCE ZAZZO (Cardenio), letzterer mit weichem, leicht dunkel getöntem Stimmklang, ersterer (bei noch besserer Koloratur) durchschlagskräftig, mitunter sogar etwas schneidend – ein rollenpsychologisch guter Kontrast. In der Titelpartie: STÉPHANE DEGOUT, wahrhaft ein Ausnahmesänger. Sein Bariton klingt kernig, ausladend, eminent maskulin (sogar mit etwas Wotan-Farbe), verfügt über eine stupend ausladende Höhe, vermag aber auch mit Piano-Melancholie (ohne Larmoyanz) anzurühren. Mit seinen 40 Jahren dürfte er in seiner Karriere noch für Überraschungen sorgen.
Christoph Zimmermann