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BERLIN/ Deutsche Oper: AIDA – ein einzigartiger, faszinierender Opernabend

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Giuseppe Verdi: Aida – Deutsche Oper Berlin, 28.11.2015, 3. Aufführung der Inszenierung von Benedikt von Peter – Ein einzigartiger, faszinierender Opernabend

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Der Dirigent Andrea Battistoni, ein Wuschelkopf wie Dudamel. Foto: Marcus Lieberenz

Die Kritiken waren ja so, dass ich schon geschwitzt habe, wie ich einen Totalverriss formuliere, ohne allzu beleidigend zu sein. Meine Opernbegleitung ist mir auch kurzfristig abhanden gekommen wegen so mancher medialer Erregung. Aber wie so oft im Leben: Es kommt alles anders. Die Aida, die ich und auch viele andere an diesem Abend an der ausverkauften Deutschen Oper Berlin erleben durften, war in jeder Hinsicht festspielwürdig: Eine Besetzung und ein Dirigent, die jedem Opernhaus zwischen New York und Mailand, Wien und London zur Ehre gereichen würden. Eine kluges dramaturgisches Konzept, musikalisch und szenisch vollkommen im Einklang mit der Partitur realisiert. Verdi-Gesang nicht  nur auf der Höhe unserer Zeit, sondern allgemeingültig, hinreissend, heißblütig, genau die Traumwelt deutend, die uns der Regisseur an diesem Abend teils politisch aktuell, teils augenzwinkernd anbietet.

Die Szene will ich nicht mehr im einzelnen beschreiben, das haben die beiden Vorgängerkritiken im Merker ausführlich getan. Nur soweit: Die Idee, den Gegensatz zwischen den intimen Seiten der Partitur, den fragilen Seelen der Protagonisten Aida und Radames sowie dem nach Krieg, Triumph und Pomp lechzenden Kollektiv szenisch abzugrenzen, ist genial. Benedikt von Peter setzt das Orchester kurzerhand auf die Bühne, den Chor ins Publikum und lässt nur die drei Protagonistin Amneris, Radames und Aida auf dem überdeckten Orchestergraben wie in einem Kammerspiel ihr persönliches Leid und Elend ausleben. Aida als Projektion einer unmöglichen Liebe, als ephemere Luminosa der Liebe, Verführerin, als Mythos in ein weißes Hochzeitskleid gewickelt, Amneris als mit brachialer machtloser Geste am Küchentisch Wurstbrot schneidend, Radames als introvertierter Intellektueller und in die Kunst als Scheinwelt Abgetauchter.  Das weiße Kleid dient auch als Fetisch, als Hauptrequisit der projizierten Emotionen. Die Aufführung gewinnt dadurch etwas Semiszenisches, Sängerinnen und Sänger sind dem Publikum so nah, dass das Publikum irgend wie mit Partei ergreift. Es identifiziert sich klarerweise mit dem dem Kollektiv, dem Chor, der am Ende auch den meisten Applaus einheimst. Wie sind wir doch da dem Regisseur auf den Leim gegangen. Wenn er eine Versuchsanordnung, eine Geometrie der Liebe à la Pasolini gelegt hätte, ist sie voll aufgegangen. Automatisch wird auf Distanz zu den verlorenen Seelen gegangen, wenngleich ihr Schicksal voyeuristisch anrührt, aber nicht mehr wie eine Kriegssequenz im Fernsehen oder Fotos von Flüchtenden in den Zeitungen.

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Alfred Kim als idealer Radames. Foto: Marcus Lieberenz.

Da ich nicht mit dem „Regietheaterverachtungsgen“ geboren bin, fand ich diese Auslegung besonders in der spezifischen optischen Umsetzung, wo nicht Requisiten und Pappmaché im Vordergrund stehen, sondern die „nackte“ Kreatur, höchst gelungen. Auch ist die Idee, das Konzept auch und mittels der Partitur auf die räumliche Dimension zu erstrecken, toll und faszinierend (weit mehr als Dolby Surround).  Man sitzt im Theater, umgeben von Choristinnen und Choristen, Solisten und erlebt eine musikalische Initiation, wie ich sie nur aus meiner Zeit als Sänger im Singverein und der Singakademie auf der Bühne kenne.

Dazu kommt, dass die musikalische Seite der Aufführung abseits des grandiosen Chors meine kühnsten Erwartungen übertroffen hat. Ich beginne mit dem Dirigenten Andrea Battistoni, einem quirligen Wuschelkopf à la Dudamel, der einen einfühlsamen und gleichzeitig zupackenden Verdi wie aus dem akustischen Bilderbuch dirigiert. Battistoni hat alle Hände voll zu tun, die doch komplexe Koordination zwischen dem Theaterraum, wo sich nicht nur der Chor, sondern auch die Sänger des Königs, des Ramfis und des Amonasro  befinden, mit der Vorderbühne und dem Orchester herzustellen. Das gelingt ihm beinahe immer, manch rhythmische Verschiebung verzeiht man aber angesichts der Intensität des unmittelbar erlebten Klangs gerne. Dabei nutzt der junge Dirigent Arm und Bein und springt bisweilen wie einst Leonard Bernstein das tat. Das Publikum liebt ihn offenbar dafür und überschüttet ihn am Ende mit Ovationen. Die Aida der Tatiana Serjan braucht keinen Vergleich zu scheuen, sie ist für mich um Meilen besser als Harteros oder Stoyanova. Serjan verfügt stilistisch über einen echten Verdi Sopran, das piano angesetzte Nil-C kommt wie Butter, das Schlussduett singt sie ätherisch schön. Ein Traum für alle Liebhaber schöner, warm timbrierter Stimmen. Dazu die Amneris der Anna Smirnova, stimmlich so überzeugend und voller Aplomb wie es einst Fiorenza Cossotto war (die Gerichtsszene gerät atemberaubend), mit einer Bühnenpräsenz und Ausstrahlung sondergleichen gesegnet. Soweit so gut, das konnte und durfte man irgendwie erwarten. Aber dass Alfred Kim nach dem etwas zaghaften Celeste Aida einen Idealradames singen würde, war für mich die Überraschung des Abends. Heldisch auftrumpfend in den Ensembleszenen, voll zarten Schmelzes und vokaler Empathie in den Duetten mit Aida, störrisch in der Begegnung mit Amneris. Kim hat sicher nicht das Timbre eines Jonas Kaufmann (kann auch nicht jeder haben), aber dafür verkörpert er auch vokal die Rolle des tragischen Helden wider Willen mehr als überzeugend. Wie alle Kritiken einhellig befunden haben, war Tobias Kehrer ein idealer, mächtig orgelnder König und Markus Brück ein erstklassiger, im Duett mit Aida herrisch auftrumpfender äthiopischer König. Allein der Ramfis des Alexei Botnarciuc klang etwas rau.

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Alfred Kim, Tatiana Serjan. Foto: Marcus Lieberenz

Das Publikum akklamierte den Abend heftigst, die Erregungen der Premiere scheinen verflogen. Berlin verfügt mit dieser Aida über eine der überzeugendsten und experimentell mutigsten Opern-Inszenierungen, die man sich vorstellen kann. Regietheater at its best, weil diese Arbeit vollkommen aus der Musik geschöpft ist und mit dieser eine seltene Symbiose eingeht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Fotos Marcus Lieberenz

 

Foto 1 Alfred Kim als idealer Radames

Foto 2 Alfred Kim als Radames, Tatiana Serjan als Aida

Foto 3: Dirigent Andrea Battistoni

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