
Szene mit dem Sandmännchen Annika Gerhards
Wiener Staatsoper
Engelbert Humperdinck “HÄNSEL UND GRETEL”
29.November 2015 4. Aufführung in der Regie von Adrian Noble
Der Klangzauberer erzählt uns ein altes Märchen
Dass dieses Stück seine Rezeption als weihnachtliche Kinderoper durchlebt hat, ist eher ein Nebeneffekt, sie ist so viel oder so wenig ein Kinderstück, wie die “Zauberflöte”, sollte aber durch die stoffliche Wahl als Märchenoper einen leichteren Zugang für Kinder ergeben. Doch es war nicht zu übersehen, dass trotz der kinderfreundlichen Beginnzeit an diesem Sonntag jene Erwachsenen in der Überzahl waren, die sich vom Klangzauberer und seiner Interpretation am Pult der Philharmoniker in dessen Bann ziehen ließen.
Es war eher Zufall, der Engelbert Humperdinck zur Gattung der “Märchenoper” führte, die Dichtungen seiner Schwester zum Thema “Hänsel und Gretel”, anfangs als “Kinderstuben-Weihefestspiel” apostrophiert, wuchsen allmählich zur Oper heran, machten den Komponisten zu einem weltweit anerkannten und berühmten, aber vor allem auch zu einem schwerreichen Mann. Richard Strauss bettelte förmlich, die Uraufführung dirigieren zu dürfen, die europäischen Opernhäuser und jene aus Übersee rissen sich um die Aufführungsrechte. Und doch sollte unter den vielen späteren Werken keines mehr sein, das einen auch nur annähernd so dauerhaften Erfolg haben sollte, wie die Erstlingsoper Humperdincks, dessen Ruhm aber trotzdem ungebrochen blieb. Selbst Cosima Wagner inszenierte persönlich das Werk in Dessau und war die Erste, welche die Hexe durch die Bühnenlüfte fliegen ließ.
Es war der letzte Abend von Christian Thielemann in dieser Premierenserie, ein Abend der Dank seiner modellhaften Klangentfaltung, die sein allein schon so unprätenziös wirkendes Dirigat auszeichnet und mit dieser, durch reichliche Anklänge an Richard Wagner so gesättigten Musik in der Lage ist, tatsächlich ein klangliches Wohlfühlbad zu bereiten.
Dass hier die Regie von Adrian Noble – laut Thielemann sei diese in ihrer Qualität tatsächlich auch ein Omen des Namens des Regisseurs – das Märchen frei von Deutungen, Gags oder Überfrachtungen schlicht erzählt, trägt ebenfalls zum unaufgeregten Genuß eines solchen Abends bei und sind doch die anwesenden Kids, sofern sie Opernfans werden, in späteren Aufführungen noch genug mit Stoff regielicher Interpretationen konfrontiert. Auf die Beurteilung der Visualisierung des Stoffes sei auf die zahlreichen Beiträge im MerkerOnline verwiesen, wobei noch auf das Gesicht des Vollmondes verwiesen sei, das offensichtlich ein Zitat aus dem Stummfilm “Le voyage de la Lune” darstellt, den der Franzose Georges Méliès 1902 gedreht hat.

Mondszene aus dem Stummfilm von Georges Mélièrs aus 1902 (Internet)
Daniela Sindram und Ileana Tonca spielten und sangen das titelgebende Geschwisterpärchen mit jenem kindgerechten Charme und Understatement, welches sie als Darsteller von Kindern glaubwürdig machte. Besonders die Gretel war in dieser Hinsicht bezaubernd. Die Eltern hingegen müssen schon einen darstellerischen Spagat hinlegen zwischen diesen schrecklichen altvorderen Erziehungsmethoden des Märchenstoffes, der schon verfeinerten Behandlung der Kinder im Opernsujet und heutiger Selbstverständlichkeiten im Umgang mit dem Nachwuchs. Adrian Eröd ist ein, noch dazu äußerst schönstimmiger Vater, der eher der Mutter mit dem Besen droht, als den Kindern wegen eines kaputten Topfes bös ist. Und Janina Baechle bereut stimmlich überzeugend, die Kinder in den Wald gejagt zu haben und hadert ebenso erbarmenswürdig mit Gott in ihrem Klagearioso.

Michaela Schuster mit Daniela Sindram und Ileana Tonca
Die Hexe hat offenbar die Premierenkritiken gelesen und versucht, gesanglich prägnanter und hörbarer zu agieren. Michaela Schuster ist das auch teilweise gelungen, nur ist nicht alles auch wortdeutlich genug. Nicht umsonst haben sich ausgewiesene Charaktertenöre immer schon leichter getan mit dieser Rolle. Die Rolle verlangt noch mehr an Outrage, womöglich mit akustischer Verstärkung oder nach einer noch mehr durchdringenden Stimme. Mit dem Knusperhäuschen in dieser auslagenartigen Größe werden sich die kleinen Besucher sicher auseinandergesetzt haben. Da kann bereits die Beurteilung von Änderungen der Librettoangaben geübt werden, sozusagen Theaterregie als Grundschule.
Annika Gerhards sang ihre Beiträge für das Sandmännchen und das Taumännchen tadellos, als Sandmännchen sah sie aus, als wäre sie eben von der Regenbogenparade hereinspaziert.
Man darf den jungen Besuchern attestieren, dass sie alle unauffällig und ruhig die Vorstellung verfolgten und manche geradezu mit sportplatzmäßiger Begeisterung ihres zum mehr als viertelstündigen Schlußapplaus beitrugen.
Peter Skorepa
MerkerOnline
Fotos Copyright: Michael Pöhn/WSO