Fotos: Website / Produktion
Haydn Kino, Wien:
LONDON / Barbican:
HAMLET von William Shakespeare
Dritte Reprise: 6. Dezember 2015
Opernfreunde, die in ihrer Neugierde auf Aufführungen “anderswo” auf das Live-Ereignis verzichten (das man sich: Flug / Unterkunft / Karten, oft gar nicht leisten könnte), werden in den Kinosälen bestens bedient. In Wien geht man via Cineplexx in die New Yorker Met, bei Lugner in die Pariser Oper, im Haydn Kino in die Royal Opera Covent Garden in London, und dass man künftig aus italienischen Opernhäusern auch übertragen wird, wurde bereits angekündigt.
Das Haydn Kino auf der Wiener Mariahilferstraße hat allerdings noch einen neuen Programmschwerpunkt, der sich als wahrer Publikumshit erweist: Man übernimmt die Kinoübertragungen aus Londons Theatern. Und das ist ein solcher Erfolg, dass man immer mindestens eine Reprise ansetzen musste – jene für „Hamlet“ am 6. Dezember war bereits die vierte, eine weitere wird es zu Silvester geben. Und wenn es auch „nur“ Kino ist: Man kann erleben, was in London angeblich den größten Kassensturm und den größten „Hype“ seit langem ausgelöst hat: „Sherlock“ Benedict Cumberbatch als Shakespeares berühmtester Held…
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Die Londoner Kritiken waren durchwachsen, und wenn man den englischen Geschmack kennt, weiß man auch, warum: Regisseurin Lyndsey Turner hat für den dortigen Geschmack dramaturgisch und szenisch viel zu sehr in den „heiligen“ Shakespeare eingegriffen. Für Regietheater-gewohnte Mitteleuropäer hingegen ist es eine ungewöhnlich spannende Inszenierung, die das Stück in eine Gegenwart führt, die dennoch nach Zeitlosigkeit schmeckt (Degen und Pistolen nebeneinander, Uniformen und Straßengewänder, und es gibt wenig, an dem man sich hierzulande stoßen würde).
Die Bühne bietet eine riesige Halle in einem Schloß, wo alle Szenen spielen, und die geschniegelte Welt des Beginns (mit großem Gala-Diner) versinkt nach und nach in einem von Stürmen herbei gewehten Schmutz, der aus den Szenen von Hamlets Verbannung kommt…
Um Hamlet dreht sich alles, wobei die englische Kritik ziemlich böse war, dass das Stück die Erscheinung des Geistes zu Beginn gestrichen hat, hingegen den Prinzen in seinem Zimmer zeigt, am Boden hockend, eine Schallplatte läuft, er blättert in einem Fotoalbum, Horatio kommt… Wir, die wir Shakespeare in anderer Weise für heilig halten (nicht so, dass man ihn nicht auch nach Wunsch und Willen gestalten dürfte), finden das eindrucksvoll. Auch, dass alle seine zentralen Reflexionen und Monologe im Lichtkegel isoliert gesprochen werden, was die Zuspitzung auf seine Person verstärkt.
Das muss der Darsteller tragen, und Benedict Cumberbatch ist die Persönlichkeit dafür, wenn er auch nicht die überexakte Shakespeare-Artikulation bringt, die man von britischen Interpreten der Rolle kennt. Er ist ein Hamlet, der wütender ist als die meisten, an die man sich erinnert, wütend auf die Mutter, die den angebeteten Vater verraten hat, wütend auf den Usurpator-Onkel, dessen Macht er nur seine willkürlichen Wahnsinns-Spielchen entgegensetzen kann, was er mit nie erlahmender Virtuosität tut. Cumberbatch ist atemberaubend und psychologisch immer richtig. Leider erreicht an diesem Abend (in London ist man anderes gewöhnt) nur ein Darsteller sein Niveau, nämlich der ebenfalls filmbekannte Ciarán Hinds, der einen Claudius von eiskalter Berechnung und kalkuliertestem Machtwillen auf die Bühne stellt.
Renate Wagner
Weitere Londoner Theatertermine im Haydn Kino:
8.Dezember 2015 Jane Eyre
28. Jänner 2016 Les Liaisons Dangereuses
25. Februar 2016 As you like it
7. Juli 2016 Romeo & Juliet
Nächster Operntermin im Haydn Kino ist „Cavalleria“ / „Bajazzo“ in der eben vielfach besprochenen Interpretation von Damiano Michieletto am 10. Dezember aus Covent Garden