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WIEN / Vestibül: ES SAGT MIR NICHTS, DAS SOGENANNTE DRAUSSEN

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Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
ES SAGT MIR NICHTS, DAS SOGENANNTE DRAUSSEN von Sibylle Berg
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 6. Dezember 2015

Nicht oft, aber immer wieder taucht sie am Burgtheater auf: Sibylle Berg, geboren 1962 in Weimar, erfolgreich in Prosa und auch auf dem Theater. 2002 sah man von ihr im Kasino „Hund Mann Frau“, 2010 gab es im Akademietheater sogar die Uraufführung von „Nur Nachts“, und nun zeigt man im Vestibül ein Stück mit dem kryptischen Titel: „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“. Uraufgeführt im November 2013 im Berliner Maxim-Gorki-Theater, 2014 von „Theater heute“ zum Stück des Jahres gekrönt. Immerhin.

Die Autorin stellt ihren Interpreten vieles frei – man kann mit dem Text quasi machen, was man will. In Berlin waren es 75 Minuten und der zentralen Figur wurden drei Frauen wie eine Art „Chor“ zur Seite gestellt. In Wien dauert die Aufführung über 90 Minuten und Sabine Haupt monologisiert sich ohne jede Hilfe und Unterstützung allein durch den Abend. Und man muss gleich feststellen, dass es sich um eine Meisterleistung der Konzentration, der Differenzierung, der Ironie handelt, die sie hier bietet, in bewusster sprachlicher Vielfalt von Akzenten hier und dort. Dazu mit einer Traumfigur, die Jüngere nicht mitbringen, in silbernen Metallic-Strumpfhosen und rosa „heißem Höschen“ darüber (Kostüm: Moana Stemberger), wilden roten Haaren und perfekten Showeinlagen. Und dabei doch kein leeres Virtuosenstück – was man auch nicht übel nähme, angesichts von so viel stupendem Können.

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Will man die Geschichte der namenlosen Heldin beim Wort nehmen (die Freundinnen bekommen Namen, die Mutter ist Mutter, der Vater Paul), will man alles glauben, was man erzählt bekommt, wäre es eine Schock-Story: Hat „sie“, der wir allein in ihrer Wohnung begegnen, den verschwundenen Vater gekidnappt und in den Keller gesteckt? Ist sie in früheren Jahren wirklich losgezogen, auf der Straße junge Männer zu verprügeln? Führt sie mit lesbischer Freundin und Schwester ein hoch illegales Chemie-Unternehmen, in dem sie Viagra herstellen? Sie müsste ein Monster sein, und das ist Sabine Haupt sicher nicht, wenn an ihrer Hintergründigkeit auch nicht zu zweifeln ist.

Aber geht es denn um eine reale Handlung? Geht es nicht weit mehr um das Lebensgefühl jener Generation, die heute um die 30 ist und sich mit schweißtreibender Anstrengung damit beschäftigt, den von den Medien vorgegebenen Kriterien des „In“-Seins zu entsprechen? Dünn sein, politisch korrekt sein, shoppen und Fun haben, bloggen und Projekte ausbrüten, alles im Dauerlauf, ohne Lust an der Sache und dennoch unter dem enormen Gruppenzwang, aus dem man sich so schwer löst, weil man längst eine Puppe der derzeitigen schönen neuen Welt ist? Da analysiert die Autorin vieles an Gefühlen und der vergeblichen Unlust daran stellenweise geradezu brillant, da hält sie einen Spiegel vor, in dem viele im Zuschauerraum, die ihre Entscheidungsfreiheit längst aufgegeben haben, sich erkennen könnten, wenn sie wollten.

Regisseurin Martina Gredler lässt ihre Darstellerin im wahrsten Wortsinn schwanken – sie balanciert auf gefüllten Säcken (Bühne: Jura Gröschl), sie strampelt zwischen Dialog mit dem Publikum, zwischen Skype, SMS-Lesen, Chat und Telefon hin und her, bis zur Verzweiflung gehetzt, aber plötzlich verwirrt hilflos, wenn niemand sich meldet. Leider geht dem Text, der in der Mutter-Beziehung dann auch sehr sentimental wird, nach einer Stunde die Kraft aus, aber der Abend schleppt sich doch noch einigermaßen überzeugend auf sein Ende zu.

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Eines jedenfalls scheint fest zu stehen: In Wien ist das kein Wutfrauen-Stück (wie es in Berlin gelegentlich bezeichnet wurde), weit eher eine Studie der Hilflosigkeit angesichts dessen, was das Leben ist und was man damit anfängt. Sicher, die Frage hat sich immer gestellt, aber noch nie waren die Vorgaben, was man zu tun habe, um zu entsprechen, so Facebook-, Twitter- und Co. reglementiert…

Die anderen Frauen kommen in dieser Inszenierung als gezeichnete Comic-Figuren vom Video (Sophie Lux), gelegentlich wird man per Kamera auch über Menschenhaut oder in Menscheninnereien geführt. Das Stück braucht es nicht, es hat genug Substanz, und vor allem: Es hat die Darstellerin, die es trägt. Für diese war der Applaus so stürmisch wie verdient.

Renate Wagner

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